
Hinter den Kulissen
32 Stunden bis zum Halleluja Teil 2
von Patrick McEvily
Am ersten digitec Hackathon ging es heiss zu und her. Elf Teams traten gegeneinander an. 222 Flaschen Fritz Kola, 190 Dosen Red Bull, 60 Pizzas und 498 Biere wurden verzehrt. Zu gewinnen gab es Preise und ganz viel Fame. Gemeinsam mit Mitstreitern an einer Mission arbeiten: Unbezahlbar.
Donnerstage sind hart. Jeder will vor dem Weekend noch rechtzeitig alle Pendenzen erschlagen. Drum mag ich sie nicht, diese Donnerstage. Doch heute ist alles anders. Im Gebäude com.west in Zürich-West herrscht eine andere Stimmung als sonst. Obwohl die Uhr erst verschlafene 7:55h anzeigt, tummeln sich in den Offices auffällige viele UX Designer, Engineers und Product Owner. Alle sind mit weissen T-Shirts und der Aufschrift «hacker» für den bevorstehenden Showdown bestens ausgerüstet.
Tobias Quelle-Korting, Head of Product in der Online Shop Area, sprudelt vor Energie: Er erzählt, wie die Crew gestern innert weniger Stunden fast das gesamte Stockwerk umgestellt hat, wie Teams ihre Plätze getauscht und wie sie sich in Projektgruppen zusammengetan haben. Das «wir» ist ihm heilig. Er sagt es immer wieder. Hier wächst etwas zusammen.
Um den Event auf die Beine zu stellen, mussten Tobias und seine Seelenverwandten Überzeugungsarbeit leisten: Bei vollen Entwicklungspipelines neun Entwickler-Teams für zwei ganze Tage abstellen, ist ein verwegener Plan. Eben was für echte Piraten. Mehr als 30 Ideen sind zusammengekommen. Dann wurde es demokratisch: Die Ideengeber präsentierten ihre Ideen vor versammelter Mannschaft und buhlten um die besten Hacker. Es stellten sich grob drei Kategorien von Ideen heraus: Solche, die in leicht abgeänderter Form eh schon in der Pipeline sind; solche, die in zwei Tagen nur schwer realisierbar gewesen wären; und solche die eine gute Mischung aus Ambitionen und Pragmatismus vereinten. Elf haben's schliesslich geschafft. Eine paar Beispiele:
8:25 Uhr: Eine nicht kleine Menge Bier wird im Hack-Labor angeliefert. Naja, irgendwo auf der Welt ist es sicher schon vier Uhr.
9:00 Uhr: Tobias eröffnet den Event. Im Raum versammelt sind zwischen 60 und 70 Personen. Wie so oft, wenn Grosses entsteht, wirkt anfänglich alles noch etwas nüchtern. Die Ruhe vor dem Sturm eben. Als Tobias bei der Umsatz-Schätzung für die kommenden Tage Millionen mit Milliarden vertauscht, bricht Gelächter aus. Trotzdem: Ich spüre den Ernst der Sache. Der Shop ist ein sensibles Ökosystem: Kleinste Veränderungen können einen grossen Einfluss haben – im positiven wie im negativen. Und das hier ist keine Trockenübung. Hier können Grundsteine für unser zukünftiges Wachstum gelegt werden.
Ich schau mich um und stelle fest, dass nicht alle Kolleginnen und Kollegen am Hackathon mitmachen. Die Nicht-Teilnehmer halten den Hackern die nächsten zwei Tage den Rücken frei. Die Welt ruht nicht, nur weil wir einen Hackathon veranstalten. Respekt, Leute. Respekt.
9:25 Uhr: Die einen kommen direkt zur Sache: Kaffee in die Tasse, Kopfhörer rauf und los geht’s. Die anderen stehen zusammen und diskutieren erst mal das Vorgehen. Aus einem Team schnappe ich folgenden Gesprächsfetzen auf:
«Ich denke nicht, dass wir das in zwei Tagen schaffen… aber so hab ich’s mir vorgestellt.»
9:30 Uhr: Meine erste Station ist das Team «Chuchichäschtli», das digitec und Galaxus einen schweizerdeutschen Auftritt verpassen will. Zu meiner Überraschung ist mein erster Ansprechpartner im Team kein Schweizer: Krzysztof kommt aus Polen. Auf meine Frage nach der grössten Herausforderung für das Team antwortet er schmunzelnd: «Hast du schon mal ein Wörterbuch für Schweizerdeutsch gesehen? Ich auch nicht. Wir waren uns nicht mal einig, ob man ‘Schwiizerdütsch’ mit einem oder mit zwei ‘i’ schreibt.»
14:45 Uhr: Die weissen T-Shirts sitzen immer noch. Mittlerweile wurden die ersten Biere geöffnet; ein lokal produziertes isotonisches Getränk von der Brauerei Lägere Bräu aus Wettingen.
Die morgendliche Hektik ist verflogen, die ersten Strategie-Sessions abgehakt.
Christian und Yannick vom Team Magic Like nehmen sich die Zeit für mich. Christian zeigt mir die Statistiken der Produktegruppe Tische. Die zehn Bestseller werden massenhaft gekauft und dann fällt es ab – der Tisch, der auf Position 60 auftaucht, wird nur noch äusserst selten gekauft. Doch wer sagt einem, dass es nicht genau dieser Tisch sein könnte, den man möchte? Die grosse Herausforderung ist die Eingrenzung der Produkteigenschaften: Welche Produkte ähneln einander? Und welche nicht? Andererseits muss aber auch die Customer Journey stimmen. Ein Feature muss innerhalb von dieser funktionieren und nicht auf irgendwelche digitalen Friedhöfe verlinken.
15:30 Uhr: Zara vom Team Warenkorbfüller frage ich: Wieso sind diese Geschichten eigentlich nicht sonst schon umgesetzt worden?
«Priorisierung mein Freund, Priorisierung. Wir haben viel um die Ohren und Weiterentwicklungen kosten Zeit und Geld. Deshalb sind Events wie dieser hier Gold wert.»
19:30 Uhr: Es ist Herbst, die Sonne längst untergegangen. Draussen ist das Leben schon ziemlich eingeschlafen. Ich aber suche das Licht und kämpfe mich zwischen rauschenden Autos und dem Wind hin durch zurück ins com.west. Hier ist die Zeit stehengeblieben. Fast alle sind noch da. Vor rund einer Stunde kam der Pizza-Lieferdienst und machte alle glücklich.
Ich mach mich auf zu Krzysztof und frage ihn, wie es läuft: «Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass wir die Schwiizerdeutsch-Version bauen konnten. Die schlechte ist, dass das Ding immer wieder abstürzt. Es ist fast 20 Uhr und im Moment gehen wir mit jedem Schritt nach vorne auch einen zurück.» Sein Kollege Marius zeigt mir, wo das Problem liegt: Da die Übersetzungs-Software DeepL kein Schweizerdeutsch erkennt, spielt sie haufenweise Fehlermeldungen zurück. Das bedeutet horrende Ladezeiten. Nur kurz jubeln die beiden auf, als der Reiter «Über üs» lädt. Sie verabschieden mich mit den Worten:
«Es wartet morgen noch viel Arbeit auf uns.»
19:40 Uhr: Ich gehe am Posten des Teams DG Careers vorbei. Keiner mehr da. «Wo sind die denn?», frage ich Tobias.
«Die sind schon im Schlussspurt und gönnen sich eine kleine Pause.» Wow. Wie es denn sonst so läuft, hake ich nach. «Die Teams sind allesamt in ihren Hack-Modus. Unglaublich wie die produktive Atmosphäre in den neu zusammengewürfelten Teams spürbar ist.»
20:45 Uhr: Auch der tapferste Krieger braucht eine Pause. Manche gönnen sich ein Bier, andere gamen eine Runde.
In diesem Moment merke ich, dass ich mir von diesen ganzen Frontend-Backend-Architekten-was-auch-immer eine ganze Schnitte abschneiden können. Manchmal muss man einfach Dampf ablassen. Generell herrscht eine produktive Stimmung. Die Teams gehen von einem Flow in den anderen. Alles ist super unkompliziert. Die Atmosphäre ist geprägt von gegenseitigem Respekt. Jeder weiss, dass der oder die andere ihren Teil zum Projekt beiträgt und über ein einzigartiges Skill Set verfügt. Den ganzen Tag habe ich beobachtet, wie die Teammitglieder einander immer wieder fragen, challengen und Verbesserungen an der Arbeit der Kollegen anbringen. Eine Art positive Verbissenheit.
21:00 Uhr: Ich gehe nachhause, andere werden dagegen hier übernachten. Ich merke, wie ich in eine andere Welt eingetaucht bin, die aber schneller als ich dachte zu meiner eigenen wurde. Ich bin genau so müde wie die anderen, habe genau so ein paar Snickers zu viel gegessen und fühl mich irgendwie im Delirium... aber in einem guten. Ich bin gespannt, wie das morgen ausgeht.
Mehr erfahrt ihr in Teil 2.
Ob im Lager in Wohlen, in den Shops oder bei der Finanzabteilung: Als Springer im Digitec Galaxus-Wald schwinge ich mich von Liane zu Liane und leuchte den Dschungelboden nach interessanten internen Geschichten ab.