Produkttest

500km mit dem iXS Tour LT Heat ST: Der Winter kann kommen

Motorradfahren ist ein Sommer-Hobby? Nein, aber trotzdem kommt die Kälte. Stellt sich die Frage, ob geheizte Handschuhe gegen den Zuger Herbst auf einem Elektro-Töff ankommen.

Es ist November. Es ist kalt und neblig. Zumindest in der Stadt Zug. Definitiv kein Wetter für Töfffahrer. Doch wenn du dich wagst, dann kannst du Herbstidylle erleben. Du musst nicht weit. Schwing dich in den Sattel deiner Harley, deiner Ninja oder deiner BMW GS und klettere ein paar Meter in die Höhe. Oben auf den Zugerberg, zum Beispiel. Über dem Nebelmeer, 20 Minuten vom See entfernt, Kaffee.

Klar, es ist kalt. Es gibt schon einen Grund, weshalb Töfffahrer generell im Sommer anzutreffen sind. Eigentlich wäre es doch am schönsten, einfach zu Hause zu bleiben, die Füsse unter einer kuscheligen Wolldecke zu verstecken und etwas fern zu sehen. Oder ein gutes Buch vor dem Cheminée.

Ein Panorama wie kein zweites
Ein Panorama wie kein zweites

Damit du sicher auf den Strassen im Herbst bist, muss dein Equipment angepasst werden. Es ist nicht mehr nur einfach «Kevlar-Alles», sondern du siehst dich einem neuen Gegner gegenüber: Der Kälte. Du hast nicht nur den Fahrtwind, der dich im Sommer abkühlt, sondern bei unter 10 Grad Celsius hast du Kälte plus Fahrtwind. Der Motorradausrüstung-Hersteller iXS bringt mit dem iXS LT Heat ST einen Handschuh auf den Markt, der dich auch im tiefen Winter warm halten soll. Denn nicht nur ist er dick und isoliert, sondern auch aktiv geheizt.

Der Name ist aber nicht zufällig aus marketingtechnischen Gründen gewählt, sondern Informationsträger:

  • iXS: Herstellername, der entweder «Iks» wie der Buchstabe X, «Ixes» oder wie das Englische «Excess» ausgesprochen wird. Kommentarspalte? Hilfe?
  • LT: Leder-Textil. Sprich, das Obermaterial des Handschuhs
  • Heat: Der Part ist einfach; der Handschuh ist geheizt
  • ST: Solto-Tex. Eine atmungsaktive und wasserdichte Membran

Damit weisst du eigentlich schon beim Lesen des Etiketts, worauf du dich einlässt. Ein Handschuh mit Akkus, die deine Hände während der Fahrt aufwärmen. Es bleiben aber nach wie vor Fragen. Denn wenn der Handschuh nicht gerade Aktion ist, ist er verdammt teuer. Zu teuer, als dass du ein «Hilft's nicht, so schadet's nicht»-Experiment wagen könntest.

Vorgekrümmt, mit Grip

Der Heat ST – machen wir es doch einfacher – ist ein Werkzeug. iXS ist hingegangen und hat einen Handschuh entworfen, der nur für eines gemacht ist: Motorradfahren im Winter. Und das macht er sehr gut. Ich bin generell kein Fan von dicken Handschuhen und hätte lieber ein Bike mit beheizten Griffen. Und nach dem Shooting auf dem Zugerberg liebäugle ich mit beheizten Socken. Harley-Davidson bietet alles beheizt an, andere Hersteller wohl auch. Ich mag mich gerade an die sündhaft teuren beheizten Socken erinnern, die nach der Fahrt auf den Berg auf einmal nicht mehr so teuer erscheinen. Denn nun sind die Hände warm, alles andere kalt. Und beheizte Base Layer, Hosen im spezifischen, wären auch nett.

Die Heat ST aber leisten gute Arbeit. Bei dicken Handschuhen ist immer das Problem, dass der Grip schwammig wird, denn zwischen deinen Fingern, Bremse, Kupplung und vor allem Blinker sind mehrere Schichten Stoff, die aneinander reiben. So geht das Feeling für die Maschine verloren. Bei der LiveWire kommt noch der Tempomat hinzu, der schon mit grossartigen Handschuhen wie den Five Stunt Evo etwas seltsam zu bedienen ist.

  • Produkttest

    Five Stunt Evo Review: Von 0 auf 500 km getestet

    von Dominik Bärlocher

Dieses Problem gibt es mit den Heat ST glücklicherweise nicht. Der Handschuh sitzt eng, keine schwabbligen Stoffschichten oder grosser Verlust des Gefühls für den Lenker. Damit hat sich der Handschuh schon grosse Pluspunkte verdient.

Der Grip ist trotz der mehrlagigen Bauweise des Handschuhs gut und die einzelnen Lagen verrutschen nicht
Der Grip ist trotz der mehrlagigen Bauweise des Handschuhs gut und die einzelnen Lagen verrutschen nicht

Was mir auf den ersten Blick fehlt, sind die Carbon-Teile. Also die Knöchelaufsätze aus Carbon, die im Falle eines Sturzes noch zusätzliche Sicherheit bieten. Auf den Handknöcheln sind beim Heat ST Lederpolster angebracht. Unten an der Handfläche, wo auf dem Handballen bei manch einem Handschuh eine Polsterung oder ein sogenannter Carbon Slider angebracht ist, ist beim Heat ST nichts zu finden.

Die Handposition ist motorradtypisch. Sprich: Du kannst deine Finger nicht ausstrecken, ohne dass das Material rebelliert. Der Heat ST ist halt eben ein Motorradhandschuh, keiner für den Alltag oder Curling oder sowas. Das macht den Griff an den Lenker schon mal recht bequem.

Finger strecken? Fehlanzeige.
Finger strecken? Fehlanzeige.

Der grösste Minuspunkt beim Design des Handschuhs geht an den Klettverschluss am Handgelenk. Am Heat ST sind zwei Klettverschlüsse verbaut. Der grosse hinten an der Manschette hat keine Probleme. Der ist so gross gestaltet, dass du ihn locker mit einem Handschuh greifen kannst. Der kleine vorne am Handgelenk nicht. Da stehst du über Zug, willst ein Foto machen, kramst das Handy hervor und vergisst gerade, dass der Heat ST smartphone-tauglich ist. Irgendwann in der Fummelei kommt dir der Gedanke, dass du den Helm ausziehen könntest und den kleinen Verschluss mit den Zähnen öffnen könntest. Sonst, so denkst du dir, sind die Handschuhe für die Ewigkeit an deinen Fingern. Nicht so dramatisch, denn schön warm sind sie.

Der zweite Charger auf langen Reisen

Die Technologie im iXS LT Heat ST ist recht simpel, aber effektiv. Da sind zwei Akkus, die einen Stromkreislauf bedienen. Der Handschuh wärmt sich auf. Das Resultat: Du hast warme Finger und Handrücken. Das funktioniert einwandfrei.

Spannend wird es bei der Verarbeitung, vor allem der Ladetechnologie. Die Technologie läuft, kurz gesagt, darauf hinaus, dass du einen zweiten Charger auf lange Touren mitnehmen musst. Einen fürs Smartphone, wahrscheinlich USB-C, und den Charger für die Handschuhe, die mit Hohlstecker geladen werden. Auf Nachfrage beim Hersteller, warum iXS bei der Herstellung nicht auf USB-C gesetzt hat, kommt eine simple Antwort: USB-C sei zwar in Planung, aber aktuell müsse iXS noch verhindern, dass die Handschuhe mit einem zu starken Ladegerät geladen werden.

Das Batteriesystem ist recht simpel und dumm gehalten. Bewusst.
Das Batteriesystem ist recht simpel und dumm gehalten. Bewusst.

Genau hier treffen einige recht spezifische Dinge aufeinander, die keinen andere Bauweise zulassen.

  • Eine Motorradfahrerin will so wenig Gewicht wie möglich am Körper tragen
  • Handgelenke müssen beweglich bleiben, also kann da kein klumpiges Material verbaut werden

USB-C aber ist eine Technologie, die mit dem Stromlieferanten verhandelt. Bei Smartphones läuft ein Ladevorgang in etwa so ab:

Phone: «Hey, Charger, ich bin ein Oppo Find X2 Pro und ich hätte gerne 65 Watt von dir.»

Charger: «Hey, Oppo, ich kenne dich und gebe dir 65 Watt.»

Sollte der Charger 65 Watt liefern, das Phone aber nur 40 Watt vertragen, dann sagt das Phone «Ich hätte gerne 40 Watt» und der Charger meint «Ich habe 65 Watt, gebe dir aber nur 40.» Dazu muss ein Gerät aber sagen, was es möchte. Wenn das nicht geschieht, dann liefert der Charger einfach all das, was er kann. Sprich, ein Akku, der 40 Watt verträgt, bekommt 65. Das Resultat kann in Flammen enden. Das will keiner, schon gar nicht auf einem Motorrad.

Damit diese Verhandlung zwischen Charger und Akku stattfinden kann, muss zusätzliche Hardware verbaut werden. Im Smartphone ist das System-on-a-Chip (SoC), das nicht nur diese Verhandlung übernimmt, sondern eine Vielzahl anderer Funktionen, die zu einem Handy gehören auch. Von der physischen Grösse her ist ein System-on-a-Chip zwischen «halb so lang wie dein Smartphone» und «gesamte Länge deines Smartphones».

Jetzt leg dein Phone mal auf dein Handgelenk und versuche, deine Hand frei zu bewegen. Genau deshalb kann der iXS LT Heat-ST kein USB-C. Das ist nach der Sicherheit laut iXS die zweite Priorität: Der Komfort.

Du sollst dich bewegen können. Uneingeschränkt. Darum ist der Akku dort, wo er ist. Hinter dem Handgelenk, oben, stört er am wenigsten. Die Konstruktion ist clever und vernünftig gelöst, bedingt aber eben, dass du nebst dem USB-C oder Lightning-Adapter für das Smartphone den zweiten Charger irgendwo am Bike verstaust.

Jetzt aber: Die warmen Finger

So lässig Konstruktion und Gedanken dahinter auch sind, am Ende hast du einen Handschuh, mit dem du im Herbst und Winter fahren sollst ohne, dass dir die Finger abfrieren. Das ist das zentrale Verkaufsargument des Handschuhs und der Grund, weshalb er überhaupt interessant ist.

Auf dem Handrücken hast du einen Knopf. Wenn du den lange drückst, dann schalten sich die Handschuhe auf der stärksten Stufe ein. Dann leuchtet der Knopf rot und du hast binnen Minuten warme Hände. Drückst du nochmal, dann leuchtet der Knopf orange und du hast etwas weniger warm. Dann kommt grün und blau, aber abgesehen von der Maximalstufe sehe ich während meinen 500 Kilometern mit den Heat ST keinen Use Case für die Modi. Mir würde Ein/Aus reichen.

Stufenweise verstellbare Wärmeabgabe, die eigentlich nur Ein/Aus sein könnte.
Stufenweise verstellbare Wärmeabgabe, die eigentlich nur Ein/Aus sein könnte.

Mit dem roten Leuchten auf dem Handrücken fahre ich also in den Herbst hinaus. Schön warm, bequem und ich habe den Grip, den ich von einem Handschuh erwarte. Saubere Arbeit, iXS.

Dann mache ich einen Fehler. Auf der Fahrt von Zürich nach Zug will ich wissen, ob die iXS Heat ST auch ohne Heizung für schön warme Finger sorgen. Also LiveWire auf die Autobahn, selbst wenn das für den Akku nicht gerade optimal ist – ich habe auf der Fahrt etwa 30% des Akkus des Motorrads durchgeröstet. Am Ende, als ich in Altstetten Richtung Büro von der Autobahn runter bin, waren meine Finger zwar kühl aber nicht kalt. Der Fehler ist nicht der Handschuh oder mein Test sondern die Tatsache, dass da richtig dicker Nebel hängt. Die Fahrt war als solche schon eine schlechte Idee. Ein Fehler sondergleichen, denn ich hatte keinen Meter lang Spass. Ich habe mich in den schlimmsten Nebelfeldern hinter einem Lastwagen versteckt und bin mit grösserem Abstand zu allen gefahren. Grauenhaft. Tu das nicht.

Da war ich dankbar um die lange Manschette, wo der Akku verstaut ist. Kein Lufthauch ist von aussen an meine Finger oder meine Hand geraten. So muss das sein. Gerade bei 120 km/h auf der Autobahn im Herbst bei etwa 10 Grad Celsius Lufttemperatur habe ich absolut keinen Bock auf Lufthäucheleien.

Kurz: Selbst wenn ich nach wie vor ein Freund von dünnen Handschuhen bin, gefallen mir die iXS LT Heat ST gut. Die warmen Finger im Winter gefallen mir noch besser als das das Design und der Komfort ist plüschig-warm ohne, dass ich Grip verliere. Daher kannst du dich, wenn du willst, easy auf dein Motorrad schwingen und den Herbst in vollen Zügen über Zug geniessen. Oder anderswo. Es lohnt sich. Ich meine, wann sonst hast du so tolles Licht und so eine atemberaubende Aussicht?

Willst du dir so eine Fahrt entgehen lassen? Echt?
Willst du dir so eine Fahrt entgehen lassen? Echt?

So. Fertig. Ich investiere mal ein paar Minuten in die Recherche von wegen beheizten Socken. So sehr ich meine Stiefel auch mag, die Zehen werden etwas kalt.

14 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


E-Mobilität
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Produkttest

    Five Stunt Evo Review: Von 0 auf 500 km getestet

    von Dominik Bärlocher

  • Produkttest

    500 km iXS ST-Plus: Leichter Handschuh, der das Wetter draussen lässt

    von Dominik Bärlocher

  • Produkttest

    Harley-Davidson Pan America Review: Neuer Motor, neues Bike, neuer Markt

    von Dominik Bärlocher

5 Kommentare

Avatar
later