
Die Unglaublichen The Incredibles
Blu-ray, 2004, Türkisch, Englisch, Deutsch, Italienisch
In einer der denkwürdigsten Szenen aus «The Incredibles» setzt Mutter und Superheldin Helen Parr verzweifelt Funksprüche ab, um ihre Familie zu retten. Dabei schmeisst sie mit kryptischen Begriffen um sich. Das Geniale: Kein einziges Wort ist zufällig.
In «The Incredibles» hat die Superhelden-Familie im Ruhestand mit all den alltäglichen Problemchen zu tun, die jedem irgendwie bekannt vorkommen: Pubertierende Kinder, Midlife-Crisis und Wäsche. Dann tritt eine Bedrohung auf, die «die Unglaublichen» – so der deutsche Titel – dazu zwingt, erneut in ihre Anzüge zu schlüpfen. Nur das Baby bleibt zu Hause.
Die Unglaublichen The Incredibles
Blu-ray, 2004, Türkisch, Englisch, Deutsch, Italienisch
Anno 2004 heimste der Animationsfilm Pixars Kritikerlob und Oscars ein. Denn die augenzwinkernde Hommage ans Superhelden-Genre amerikanischer Herkunft ist fürs Studio typisch witzig und voller Gags, gleichzeitig aber unerwartet düster, angsteinflössend und realistisch.
Besonders eindrücklich ist die Szene, in der Helen Parr (Holly Hunter), die Mutter, einen Learjet 35 pilotiert und von Boden-Lenkraketen angegriffen wird.
Der Grund: Als sie verzweifelt Funksprüche absetzt (ab Minute 2:00), ist kein einziges Wort zufällig. Für einen Film hält sie sich aussergewöhnlich akkurat ans militärische Piloten-Protokoll. Das macht die Szene so eindringlich.
Zeit, dem nachzugehen.
«Island approach, India-Golf Niner-Niner checking in, VFR on top, over.»
Statisches Rauschen.
«Island Tower, this is India-Golf Niner-Niner, requesting vectors to the initial, over.»
Die Funksprüche verraten: Helens Rufzeichen ist «India-Golf Niner-Niner», also IG99. Übrigens eine Anspielung auf «The Iron Giant» aus dem Jahre 1999, dem ersten Film von Regisseur Brad Bird. Dazu fliegt Helen unter VFR-Konditionen – Visual Flight Rules. Salopp gesagt heisst das «auf Sicht», also ohne Instrumente oder Anweisungen eines Fluglotsen. Deshalb ist sie verpflichtet, anderen Flugzeugen auszuweichen (nicht umgekehrt). Das geht nur bei guten Sichtbedingungen. Eben «on top», also über der Wolkendecke.
Helen fordert die Vektordaten für die erste Phase des Landeanflugs an. Etwas einfacher: «Wo ist eure Landebahn und wie muss ich sie anfliegen?». Im Grunde ist das «VFR Flight Following»: Helen will während VFR vom Fluglotsen angeleitet werden. Damit läge es in dessen Verantwortung, mögliche Konflikte mit anderen Flugzeugen zu lösen. Jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Nicht die feine Art. Streng genommen wäre der Lotse auch nicht verpflichtet, der Aufforderung nachzukommen (auch wenn das relativ selten passiert). Es sei denn, es läge ein Notfall vor.
Aber aus den Lautsprechern dringt noch immer nichts als statisches Rauschen. Helen weiss nicht, dass ihr Ziel – eine abgelegene Vulkaninsel, auf der ihr Mann festgehalten wird –, ihr feindlich gesonnen ist. Sie wird nervös und zieht vorsichtshalber ihren Superhelden-Anzug an. Dabei entdeckt sie ihre Kinder, die sich unerlaubt an Bord geschlichen haben. Helen Parr tut und sagt all das, was eine normale Mutter in diesem Moment wohl tun und sagen würde.
Dann ein schrilles Piepen.
Helen erkennt sofort: Das Piepen ist ein Annäherungsalarm. Sie rauscht ins Cockpit und sieht zwei Raketen, die von vorne aufs Flugzeug zurasen. Die eben noch verärgerte Mutter setzt das Headset auf. Ihre Stimmlage schwingt augenblicklich um.
Jetzt will sie nur noch ihre Familie retten.
Helen greift nicht zu emotionalen Ausbrüchen. Stattdessen verwendet sie das offizielle Funkprotokoll des Militärs. Ein erster Hinweis darauf, dass sie trainiert worden ist. Oder selbst in der Air Force war. Wir Zuschauer wissen: Die Lage ist todernst.
«India-Golf Niner-Niner, transmitting in the blind guard – disengage, repeat, disengage!»
Nochmals ihr Rufzeichen. Dann kündigt sie einen Funkspruch «in the blind guard» an. Das bedeutet, dass sie keinen Kontakt zum Tower herstellen kann aber dennoch hofft, dass sie von selbigem gehört wird. Sie ruft «disengage!», also «Angriff abbrechen!»
Helen schiesst Chaffs ab – einzelne kleinere Düppelwolken mit Raketen, um den Angriff auf diese Falschziele zu lenken. Das klappt nicht. Nur ihre Fähigkeiten als Pilotin wenden einen Treffer ab. Wieder spricht sie in den Funk.
«Disengage, repeat, disengage!»
Drei neue Raketen nähern sich. Helen versucht den Angreifern klarzumachen, dass sie ein befreundetes Ziel – «Friendlies» – angreifen.
«Friendlies at two-zero miles south-southwest of your position, angels 10, track east. Disengage, over!»
Ihre Position: «Two-zero miles south-southwest of your position», also 20 Meilen süd-südwestlich vom Towers aus gesehen, und in 10 000 Fuss Höhe, also «angels 10». Abgesehen davon gibt Helen an, in Richtung Osten – «track east» – zu fliegen. Wie wild kurbelt sie am Steuerhorn, um nicht von den Raketen getroffen zu werden.
«Angels» ist übrigens ein militärischer Begriff. Er steht für Fuss. In der zivilen Luftfahrt würde der Begriff «flight level» verwendet werden. Der zweite Hinweis, dass Helen irgendwann eine militärische Pilotenausbildung genossen hat. Ein Detail, das von Originalsprecherin Holly Hunter, welche die Szene nicht machen wollte, ohne das Protokoll zu verstehen, eingebaut worden ist.
«Mayday! Mayday! India-Golf Niner-Niner is buddy-spiked! Abort-abort!»
Helen setzt «mayday» richtig vor ihr Rufzeichen. Das wird in Filmen immer wieder falsch gemacht. Allerdings hätte sie «mayday» dreimal sagen müssen. «Buddy-spiked» ist ein weiterer Kurzcode des US-Militärs. Vereinfacht gesagt bedeutet er: «Freundlicher Flugabwehrradar hat mich versehentlich ins Visier genommen, bitte nicht schiessen!»
Dann der verzweifelte Hilferuf. Helens Erfahrung als Pilotin ist unbestritten, aber ihre Angst ist real. Sie weiss, dass sie keinen weiteren Angriff abwehren kann.
«There are children aboard, say again, there are children aboard this airplane! Abort-abort-abort!»
Kinder seien an Bord. Wiederhole – im Protokoll korrekterweise «say again», nicht «repeat» –, Kinder an Bord dieses Flugzeugs! Abbruch-Abbruch-Abbruch!
Gegen den Aufprall kann sie nichts mehr unternehmen. Die Raketen reissen das Flugzeug in Stücke.
Zum Glück ist Helen eine Superheldin. Ihr Rufname: Elastigirl. Weil sie jeden Teil ihres Körpers in die Länge ziehen kann, als ob er elastisch wäre. So springt sie in letzter Sekunde aus dem Flugzeug. Ihre Kinder umschlingt sie mit überlangen Armen. Aus ihrem Körper macht sie einen Fallschirm.
Die Drei landen im Wasser.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»