
Hintergrund
Apple TV+ gaukelt dir Netflix vor, ist aber Marketing
von Luca Fontana
Das iPhone SE2, das eigentlich nur iPhone SE heisst, ist der jüngste Coup in einem längerne Prozess des Imagewandels des Konzerns Apple. Fertig elitäres Gehabe, mehr Grosis, bitte.
Apple, dein Kumpel. Das klingt schon schief, aber ist in etwa so das, was der Konzern aus Cupertino uns glauben machen will. Apple will dein Freund sein, nicht ein Technologiekonzern. Dein Buddy, der mit dir lacht, nicht der dir von oben herab Gaben aushändigt für den bescheidenen Obolus von mehreren tausend Franken.
Nichts stellt das besser dar als die Werbespots der Smartphones.
Im September 2017 noch hat Apple Ex-Chefdesigner Jony Ive bedeutungsschwanger dahergeschwurbelt und von einem «physischen Objekt, das in der Erfahrung verschwindet» gefaselt. Läck, der Jony, was für ein elitärer Schnösel.
Und das alles zum Sonderpreis von 1500 Franken oder so. Kein Wunder haben Apple-Fans den Ruf, elitäre Arschlöcher zu sein. Wenn das denen schon so vorgekaut wird, dann können die es ja nicht anders wiederholen.
Das alles ändert sich nun. Das iPhone SE ist nur die marktwirtschaftliche Neupositionierung eines Trends, der sich abgezeichnet hat.
Die Kommunikationsstrategie Apples hat sich in den vergangenen Jahren radikal geändert. Als das iPhone 4 sein Hoch hatte, hat sich Steve Jobs recht widersprüchlich auf der Bühne gezeigt. Sein Outfit hat total etwa 400 Dollar gekostet, wovon 270 alleine sein Pulli waren. Kumpelhaft und mit unverwüstlich jugendhaftem Elan hat er dagestanden, aber geschwollen daher geredet. Eine Attitüde, die Starbucks-Hipster, Metrosexuelle und Betrügerin Elizabeth Holmes definiert haben. Parodien haben nicht lange auf sich warten lassen.
Dann Ex-Apple-Chefdesigner Jony Ive, der in Sphären schwebt, von denen manch ein Schweizer Art Director nicht mal zu träumen wagt. Keine Menge Kokain in Zürcher Szeneclubs kann verbalen Müll wie «Die gemeinsame Entwicklung von Phone und Display definiert eine komplett neue Integration» hervorbringen.
Doch nach dem «Best ever» und den oratorischen Klängen des Jony Ive bleiben Rechtecke mit abgerundeten Ecken. Diese sind und waren nie schlecht. iPhones sind solide Geräte mit gut laufender Software, einer guten Kamera und einem extrem gut funktionierenden Ökosystem dahinter. Doch wenn mein Macbook mir anzeigt, dass mich jemand auf meinem iPhone anruft und ich den Anruf auch auf meinem SIM-Karten-losen Developer iPhone entgegennehmen kann, dann denke ich nicht «Oh ja, die Versinnbildlichung der Interkonnektivität im physisch-virtuellen Raum ist wirklich auf Peak Performance optimiert, sodass eine Idiosynkrasie aus Technologie und Mensch entsteht». Nein, ich denke mir «Hah. Cool.», nehme das Telefon ab und verabrede mich zum Bier.
Dem trägt Apple nun nach einem Jahrzehnt prätentiösen Gefasel Rechnung. Spätestens seit dem iPhone SE2 – offiziell einfach nur «iPhone SE» ohne 2 – ist es vorbei mit dem Geschwurbel um die «zutieftst unkompromittierte Vision der Zukunft». Neu gibt sich Apple so:
Das iPhone 11 Pro hat angerufen. Es will seinen Chip zurück.
Humor? Apple? Irgendwo rollt sich einem Zürcher Art Director der Rollkragenpulli runter.
Das reflektiert dann auch im Intro-Werbespot des iPhone SE. Des neuen, nicht dem aus dem Jahre 2016.
Macht jetzt Apple einen auf #yolo, um ein Uralt-Meme auszupacken? Nein, Apple überlässt nichts dem Zufall. Hat der Konzern noch nie, wird er wohl auch nie. Nichts wird so dominierend und gut, wenn die Verspieltheit zur Marktstrategie wird.
Apple braucht neue Käufer.
Die Art Directors aus Wipkingen und Jung-Banker vom Paradeplatz sowie die Kunstkommunikationskulturstudenten im Starbucks sind nicht mehr genug. Teuer ist nicht mehr gut genug.
Apple will die Kantonsschüler aus Hintertupfikon. Apple will, dass deine Mama, die bisher zufrieden mit ihrem 300 Franken Android war, ein iPhone hat. Darum gibt es auch ein Jahr AppleTV+ gratis dazu. Angenehmer Nebeneffekt: In einem Jahr werden viele vergessen, ihr Probe-Abo zu kündigen und Apple macht bitzli mehr Geld. Oder viele haben sich an die Serien und Filme gewöhnt und wollen das Angebot nicht mehr missen, sei es aus Liebe zu AppleTV+ oder aus Bequemlichkeit.
«Teuer ist gut» funktioniert nicht mehr. Bis vor wenigen Jahren sind iPhones die Phones gewesen, die ganz oben geboxt haben mit dem Preis. Zumindest, was die öffentliche Wahrnehmung angeht. Huawei hat mal ein 2000-Franken-Phone auf den Markt gebracht, Custom Built Phones mit Gold und Diamanten können schnell mal 20 000 Franken kosten. Aber von der Stange galt das iPhone als teuerstes Phone.
Dann hat der Markt mitgezogen. Ein brandneues Samsung Galaxy S20 Ultra kostet in etwa so viel wie ein iPhone 11 Pro Max. Apple könnte jetzt sagen «Easy. Machen wir das iPhone teurer» und die Rollkragen-Fraktion würde das nach wie vor kaufen. Warum auch nicht? Denn das Gerät an und für sich ist nicht schlecht. Deine Mutter aber würde die Studenten anblicken und sagen: «Die spinnen doch alle, ich würde niemals...»
Darum macht Apple das genaue Gegenteil. Die 11er-Serie des iPhones ist vergleichsweise günstig und das neue iPhone SE boxt fast schon verboten tief. Deine Mama blickt das iPhone SE an und denkt sich: «Das ist aber hübsch», und der Verkäufer sagt: «Ja, und es kann auch viel». Beide haben Recht und plusminus 450 Franken später ist deine Mama Apple-Kundin. Hoffentlich für den Rest ihres Lebens, wenn es nach Apple geht.
Am 27. Juni 2019 hat Jony Ive Apple verlassen. Nach fast 30 Jahren hat sich Apple gezwungen gesehen, eine neue Kommunikationssprache zu finden. Vorbei war es mit der tiefen und sanften Stimme Ives, denn der macht jetzt seine eigene Firma namens LoveFrom auf, designt aber weiter für Apple.
Mit dem Weggang Ives hat Apple den Titel des Chief Design Officers in Rente geschickt. Einen direkten Nachfolger wird Ive nicht haben. Die Aufgaben übernehmen Chief Operating Officer Jeff Williams und ein Team von Designern. Ihre neue Strategie ist nicht neu. Samsung hat mit der Kommunikation zum Thema Galaxy A auch schon den Shift von technologisch-distanziert zu kumpelhaft-lustig gemacht. Andere werden folgen.
Das neue Image verspricht viel, muss aber mit Leistung aufpoliert werden. Das iPhone SE ist das perfekte Werkzeug dafür. Es liefert viel, kostet wenig, ist unbestreitbar ein Apple-Gerät. Es ist ein Gerät, das mal herunterfallen darf. Ein Handy, das gute Bildli für Instagram macht und nicht gleich Kinofilme dreht. Etwas, das deine Mutter in den tiefen ihrer Handtasche rumträgt und nicht in eine Hülle packt und abends ehrfürchtig auf einem Schrein platziert.
Denn am Ende zählt nicht «die singuläre Vision der technologischen Idiosynkrasie» sondern «Wow. Das iPhone ist jetzt auch rot».
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.