
Produkttest
Schrott oder Schnäppchen? Billig-Gitarre Dimavery ST-312 im Test
von David Lee
Die Jet JS-300 ist eine E-Gitarre im Stratocaster-Stil. Sie kostet sehr wenig, und an gewissen Punkten merke ich das auch. Im grossen Ganzen bietet sie aber für den Preis viel und macht Spass.
Dies ist mein zweiter Versuch, eine günstige und empfehlenswerte Einsteigergitarre zu finden. Die letzte, die ich getestet habe, kostete weniger als 150 Franken, hat mich aber nicht überzeugt. Ich würde sie auch bei einem kleinen Budget nicht empfehlen.
Die Jet JS 300 kostet etwas mehr, momentan etwa 200 Franken. Das ist immer noch sehr günstig. Sie ist wie die zuvor getestete Dimavery ST-312 eine E-Gitarre im Stile einer Fender Stratocaster. Die Jet JS 300 hat aber eine andere Tonabnehmerkonfiguration als die Dimavery: Anstelle von einem Humbucker und zwei Single-Coils haben wir hier ganz klassisch drei Single Coils. Falls dir diese Begriffe nichts sagen: In einem separaten Artikel habe ich die wichtigsten Teile einer E-Gitarre erklärt – anhand der Gitarre, um die es hier geht.
Mein Testexemplar sieht etwas anders aus als auf den Produktbildern. Schlagbrett, Regler und Tonabnehmer haben einen deutlichen Gelbton. Obwohl ich sonst gar kein Fan von vergilbtem Plastik bin, gefällt es mir hier sehr gut. Es muss an der Farbkombination liegen. Der Body hat hier die Farbe «Sea Foam», eine Art Türkis. Es gibt ihn auch in Weiss, Schwarz und Sunburst. Beim Hals gibt der Hersteller «Canadian Roasted Maple» an, also ein Ahornhals, der etwas dunkler ist als üblich.
Der Gitarrenhals wurde beim Transport leicht beschädigt. Ein kleiner Hick, eine halb abgerissene Stelle und die schwarzen Griffbrettpunkte weisen im Holz verlaufene Konturen auf. Als Kunde würde ich diese Gitarre zurückgeben. Als Tester finde ich mich damit ab, denn ich musste lange warten und will nicht, dass sich der Test um weitere Wochen bis Monate verzögert. Die Gitarre ist zum Glück noch spielbar.
Noch etwas fällt zu Beginn negativ auf. Beim Saitenziehen fühlen sich die Bünde rau an. Fast ein wenig, als ob da feiner Sand drauf liegen würde. Dieses Kratzen verschwindet mit der Zeit, wenn sich die Bünde etwas abnutzen. Aber die ersten paar Stunden stört es.
Sound-Demonstrationen sind immer schwierig, da die Gitarre nur einer von vielen Faktoren ist. Mindestens ebenso wichtig ist der Verstärker, dessen Einstellungen und nicht zuletzt, wie du spielst. Die Aufnahme soll dir einen ungefähren Eindruck geben. Als Verstärker dient wie üblich der kleine Übungsverstärker Roland Cube Lite. Ich spiele für jede Tonabnehmerposition einige Takte clean, also ohne Verzerrer. Verzerrt sind die Unterschiede nicht mehr so gut zu hören.
Klanglich überzeugt mich die Jet JS-300. Sie klingt wie eine klassische Stratocaster. Das gilt auch für die Tonabnehmer-Positionen 2 und 4, die den für eine Stratocaster typischen «Quack»-Sound liefern. Ziehe ich meine Fender American Professional II als Referenz herbei, ist die Jet JS-300 deutlich lauter. Leider hörst du das in der Testaufnahme unten kaum. Was du gut hörst: Die Jet klingt etwas weniger höhenbetont, aber keineswegs dumpf. Beides dürfte daran liegen, dass die Tonabnehmer der Jet-Gitarre Keramikmagnete, die der Fender jedoch Alnico-Magnete haben.
Die Jet-Gitarre ist angenehm und leicht zu bespielen. Das Ahornholz scheint unbehandelt zu sein und fühlt sich gut an – kein bisschen klebrig. Schon ab Werk war die Saitenlage recht niedrig, ohne dass die Saiten schnarrten. Ich konnte sie sogar noch etwas tiefer legen. Das Halsprofil entspricht dem heute gängigen «Modern C», somit ist es ein relativ flacher Hals. Die Bünde sind in einem 9,5-Zoll-Radius gekrümmt.
Im Gegensatz zur Dimavery ST-312 gibt es hier – zumindest bei meinem Exemplar – keine hervorstehenden Metallbünde, die an der Handinnenfläche stören. Die Gitarre verstimmt sich auch nicht dauernd. Der Sattel soll aus Knochen statt Kunststoff sein. Das ist ungewöhnlich für diese Preisklasse und kann zu mehr Stimmstabilität beitragen. Auch das Tremolo tut seinen Dienst. Es benötigt aber mit der Werkseinstellung viel Druck.
Alles wunderbar also? Nicht ganz. Mit den Tonreglern habe ich ein Problem. Dass der Ton des Bridge-Tonabnehmers nicht geregelt werden kann, ist normal für diesen Typ Gitarre – das ist bei der Original-Stratocaster auch so. Aber auch wenn die Tonregler aktiv sind, arbeiten sie nur im untersten Bereich, etwa von 1 bis 3. Von Stärke 3 bis 10 passiert kaum noch etwas. Vermutlich sind da falsche Potentiometer verlötet. So lassen sich die Höhen jedenfalls nicht gezielt regulieren.
Ich mag diese Gitarre. Anders als bei der Dimavery ST-312 macht es mir Spass, darauf zu spielen. Vermutlich liegt das an der Kombination positiver Punkte: Der Hals ist ergonomisch, erlaubt eine flache Saitenlage und fühlt sich angenehm an. Die Jet-JS-300 sieht zudem gut aus (finde ich jedenfalls). Der Klang ist für diese Preisklasse absolut in Ordnung. Die Jet JS-300 ist zudem stimmstabil. Das Tremolo geht streng, funktioniert aber.
Doch es gibt auch Anlass zu Kritik. Die Metallbünde sollten schon ab Werk fein geschliffen werden und nicht erst durch den Gebrauch. Die ersten paar Stunden fühlt sich das Saitenziehen kratzig an. Das Problem verschwindet allerdings von selbst. Nicht so beim Tonregler: Der tut nur zwischen 1 und 3 wirklich etwas, damit lässt sich der Ton nicht präzise regeln.
Mein Exemplar hatte zudem von Beginn weg zwei Dellen am Hals und die Farbe der schwarzen Punkte verläuft im Holz. Klar, ein Garantiefall, kann man zurückgeben. Einen guten Eindruck hinterlässt es trotzdem nicht.
Unter dem Strich kann ich die Gitarre empfehlen. Aber schau genau, was für ein Exemplar du bekommst und zögere nicht, es zurückzugeben, wenn es Mängel hat.
Pro
Contra
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.