
Das isch en apple, non?

Lange glaubte man, dass es eher Nachteile bringt, mit mehreren Sprachen aufzuwachsen. Heute wünschen sich viele Mütter und Väter, dass ihre Kinder früh schon Englisch, Französisch oder gar Chinesisch lernen. Eltern sollten sich realistische Erwartungen machen, sagt der Sprachwissenschaftler Raphael Berthele. Und das Ganze möglichst unverkrampft angehen.
Es dauert nicht lange, bis Kindern heute zum ersten Mal andere Sprachen begegnen. Sei es, dass die Oma aus der Türkei anruft, auf Youtube russische Zählreime entdeckt werden oder die Cousins aus der Westschweiz zu Besuch sind. Früher glaubte man, dass es eher Nachteile bringt, mit mehr als einer Sprache aufzuwachsen. Heute wünschen sich viele Mütter und Väter, dass ihre Kinder neben Schweizerdeutsch sich früh auch Englisch- oder Spanischkenntnisse aneignen. Oder gar auf Chinesisch hersagen können, wie blau der Himmel sei.
«Eltern sollten sich ihrer Erwartungen bewusst sein und keine Wunder erhoffen», sagt Raphael Berthele, Professor für Mehrsprachigkeit an der Universität Fribourg. Ein Arabischkurs für die Kleinsten oder Gutenachtgeschichten vom Papa auf Französisch machen noch aus den wenigsten bilinguale Wunderkinder. Sogar wenn ein Kind sehr viel Zeit mit einem Elternteil oder sonst jemandem verbringt, der eine andere Sprache spricht, gibt es grosse Unterschiede zur Hauptsprache in seinem Umfeld: So hört es die Zweitsprache meist ausschliesslich von einer Person und das Vokabular ist beschränkt, da es dem Entwicklungsstand des Kindes angepasst wird. Begriffe und Satzkonstruktionen, die in Gesprächen unter Erwachsenen vorkommen, sind selten. Hinzu kommt, dass sich das Kind nicht mit Gleichaltrigen in der Sprache unterhält, sondern weitgehend den Wortschatz der Elterngeneration übernimmt. «Ausserdem sind längst nicht alle Kinder gleich sprachbegabt», sagt Berthele. Diese Unterschiede werden durch die soziale Schicht oft noch verstärkt: Eltern mit guter Ausbildung sprechen viel häufiger mit ihren Kindern und über mehr Themen als bildungsferne Familien.
Das bedeutet aber nicht, dass Kinder nicht mehrsprachig aufwachsen können. Der Sprachwissenschaftler empfiehlt Eltern dabei, mit dem Nachwuchs diejenige Sprache zu sprechen, in der sie sich selbst am wohlsten fühlen und ihre Gedanken und Gefühle am besten ausdrücken können. Eine Sprache weiterzugeben, die man selbst nicht einwandfrei beherrscht, etwa aus dem Wunsch heraus, dass die Kinder dereinst besser Deutsch sprechen als man selbst oder sich früh schon Englischkenntnisse aneignen, hält er für keine gute Idee. Nicht nur bringt man dem Nachwuchs damit allenfalls Fehler bei. Es geht auch verloren, was sich nur in der Muttersprache richtig ausdrücken lässt, Kosewörter etwa oder Verse und Lieder aus der eigenen Kindheit. Die Regel, dass eine Person stets nur eine Sprache mit den Kindern sprechen soll, hält Berthele gerade in zweisprachigen Familien trotzdem für realitätsfern. Schliesslich wolle man sich ja beim Abendessen auf eine Weise unterhalten können, dass jeder jeden versteht.
Das Wichtigste ist laut Berthele, das Ganze möglichst unverkrampft anzugehen und sich zu fragen, welchen Zweck die zusätzliche Sprache denn zu erfüllen hat: Soll das Kind dereinst die Ansprachen des Staatspräsidenten fehlerfrei übersetzen können oder reicht es, wenn es problemlos den Alltagsgesprächen im Kreis der Familie zu folgen vermag? Wer sein Kind zwingt, ständig in einer Sprache zu antworten, die ihm schwerer fällt als eine andere, nimmt ihm ziemlich sicher die Freude daran. Wenn Menschen mit mehr als zwei Sprachen vertraut sind, ist es ausserdem auch bei Erwachsenen üblich, dass sich die jeweiligen Kenntnisse oft auf bestimmte Bereiche wie Beruf oder Beziehung konzentrieren.
Übrigens ist es ganz normal, wenn bilinguale Kinder in Wortschatztests zuerst einmal nicht so viele Begriffe aufzählen können wie ihre einsprachigen Gspänli und ihre Grammatik etwas weniger komplex ausfällt. Dieser Unterschied gleicht sich im Verlauf der Schulzeit meist wieder aus. Nimmt man ausserdem die Wörter aus der Zweitsprache dazu, zeigt sich in den meisten Fällen, dass die Kinder eigentlich über ein gleich grosses Vokabular verfügen - nur verteilt es sich eben über zwei Sprachen.


Journalistin und Mutter von zwei Söhnen, beides furchtbar gerne. Mit Mann und Kindern 2014 von Zürich nach Lissabon gezogen. Schreibt ihre Texte im Café und findet auch sonst, dass es das Leben ziemlich gut mit ihr meint.<br><a href="http://uemityoker.wordpress.com/" target="_blank">uemityoker.wordpress.com</a>