

«Deadpool» gibt es nur, weil jemand ein Verbrechen begangen hat und damit davongekommen ist

Ein Leak hat den «Deadpool»-Film erst möglich gemacht. Die Suche nach dem Schuldigen läuft bis heute. Es gibt genau vier Menschen auf dieser Welt, die dahinter stecken könnten – darunter Ryan Reynolds.
Die Szene beginnt mit Gwen Stefanis Hollaback Girl und endet mit Angel Of The Morning von Juice Newtons. Dazwischen stürzt sich Deadpool durch ein Autodach und verprügelt drei Männer, ehe er einen vierten durch das Dachfenster köpft. Vorher hat er sich zum Publikum gedreht und erklärt, dass er seinen roten Anzug nur deswegen trägt, damit ihn die bösen Jungs nicht bluten sehen. Er macht saudumme Sprüche, schlechte Witze wie sie nur Väter hinkriegen und ist gewalttätig.
Das alles ist computeranimiert. Demomaterial. In Hollywood wird das häufig gemacht, lange vor Drehbeginn, und soll Studiobossen die Idee des Films vermitteln. Aber es ist nie für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt.
Dann passiert es: Die Szene wird unter mysteriösen Umständen ins Internet geleakt.
Wer das Material geleakt hat, ist eines der grössten Geheimnisse der Filmgeschichte. Ein High-Profile-Hollywood-Kriminalfall. Es gibt vier Verdächtige, darunter Schauspieler Ryan Reynolds.
Das Leak und die Verdächtigen
Das Leak passiert im Juli 2014. Regisseur Tim Miller in einem Interview mit dem Collider, Juli 2017:
«Auf einmal klingelt mein Telefon. Jemand sagt zu mir: "Alter! Dein Scheiss ist online! Heilige Scheisse!" Ich war entsetzt. Mir wurde schlecht. Ich war mir sicher, dass mich Fox töten würde.»
Jemand hat entschieden, seine gesamte Karriere aufs Spiel zu setzen, und zwar ganze vier Jahre, nachdem das Demovideo anno 2010 entstanden ist. Das Heikle daran: Das Video gehört 20th Century Fox. Wer es leaked, begeht ein Verbrechen. Ein Verbrechen, das nur dann straflos ausgeht, wenn nie bekannt wird, wer es begangen hat.
Wer hat das Video durchsickern lassen?
Ryan Reynolds selbst hat den Verdächtigenkreis während der OpieRadio-Show im Februar 2016 auf vier Personen reduziert:
«Es gibt nur vier Menschen, die das Material hätten leaken können. Einer von uns war’s. Von Anfang an sagten wir uns immer wieder: "Einer sollte es leaken".»
Die vier Menschen sind:
- Rhett Reese, Drehbuchautor
- Paul Wernick, Drehbuchautor
- Tim Miller, Regisseur
- Ryan Reynolds, Schauspieler
«Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es nicht war», fügt Reynolds in der Show an.
Im Sommer 2010 haben sie die zweiminütige Sequenz zusammen produziert, mit einem minimalen Budget, das ihnen vom Studio zur Verfügung gestellt wurde. Darum gehört das Material auch dem Studio.

Quelle: 20th Century Fox
Dort sind Deadpools Bewegungen von Reynolds, der bereits seit Dezember 2004 im Deadpool-Projekt ist, mittels Motion-Capture-Verfahren aufgezeichnet worden. Er hat dem «Merc with a Mouth» auch die Stimme geliehen. Tim Miller, der im späteren Film Regie führen würde, stellte seine Spezialeffekte-Firma Blur Studio zur Verfügung. Die beiden Drehbuchautoren Reese und Wernick feilten zusammen mit Reynolds an den Dialogen.
Dann haben sie den Studiobossen das Material vorgelegt, hoffend, einen Knüller in Händen zu halten, der die Fans umhauen würde. Aber das Studio hat nicht mitspielen wollen, weil ihnen die big-budget-Gewaltorgie zu riskant war.
Also wurde es ruhig um Deadpool. Vier Jahre lang. Bis zum Leak.
Der Plan geht auf
Wer auch immer das Material online gestellt hat, weiss, dass das Leak die letzte Chance des Films ist. Und er ist überzeugt: Die Fans werden Deadpool lieben. Vielleicht sogar so sehr, dass ihre Reaktion das Studio dazu zwingen würde, den Film zu machen.

Quelle: 20th Century Fox
Fox versucht den Clip wieder aus dem Internet zu entfernen. Aber dessen Ausbreitung kann es nicht mehr verhindern. Der sogenannte Streisand-Effekt tritt ein: Wer versucht, eine unliebsame Information zu unterdrücken, zieht rasch Aufmerksamkeit auf sich und erreicht mit seinem Handeln genau das Gegenteil.
Das Studio scheitert. Der Täter entkommt.
Statt einer Hexenjagd gibt es grünes Licht für «Deadpool». Laut Reynolds sogar innerhalb von 24 Stunden. Fünf Monate später gibt sich Fox endgültig geschlagen: «Deadpool» kommt im Frühjahr 2016.
«Hätte das Material nicht jene Reaktionen erhalten, die es bekommen hat, wäre es ein Desaster gewesen. Das Projekt wäre dann endgültig gestorben», sagt Reynolds zur Variety im Februar 2016.
Heute, vier Jahre nach dem Leak, hat sich die Karriere sämtlicher Beteiligter zum Besseren gewandt. Die beiden Deadpool-Filme haben zusammen über 1,5 Milliarden Dollar eingespielt. Ein Rekord für FSK18-Filme. Und überhaupt ein riesiger Haufen Geld. Für Fox Grund genug, über das Verbrechen hinwegzuschauen.
Aber das Mysterium um die Identität des Leakers lebt weiter.
Eine neue Spur: Der fünfte Mann
Reynolds hat immer schon von vier Verdächtigen gesprochen. Und zwar mit der Begründung, dass sie die einzigen gewesen wären, die Kenntnis vom Video gehabt hätten. Das geht nicht auf. Die Qualität der Animationen ist zu gut um von vier Personen auf irgendeinem Hobby-Laptop irgendwo in einem Keller oder einem Büro oder einem Arbeitszimmer erstellt worden zu sein.
Eine neue Theorie: Wurde das Video von einem fünften Mann geleakt?
Reynolds spielt und spricht Deadpool mittels Mo-Cap. Da müssen also Mo-Cap-Spezialisten vor Ort gewesen sein, mit deren Hilfe gefilmt wurde. Da muss auch mehr als ein Spezialeffekte-Artist beteiligt gewesen sein, der Böse-Jungs-Modelle und Autobahnen programmierte. Wer hat die Server gewartet, wer die Rechenpower zur Verfügung gestellt, mit der die Sequenz gerendert worden ist?

Quelle: 20th Century Fox
Ursprünglich lagerte das Video auf den Servern von Blur Studio. Dann liegt es laut Reynolds vier Jahre brach – bei Fox. Beim eigentlichen Leak ist nicht das Demovideo selbst zu sehen, sondern bloss ein mit Handy abgefilmter Monitor, auf dem das Demo läuft. Das könnte jeder bei Blur Studio oder Fox gewesen sein, der Wind davon bekommen hat und Sympathien für das Projekt hegt. Etwa ein Mitarbeiter, oder ein Hacker, der die Handyaufnahme gesehen und daraufhin die Server geplündert hat.
Die Möglichkeit, dass ein fünfter Mann involviert war, besteht. Reynolds könnte die Person sogar kennen. Und vielleicht stiftet er mit seiner eigenen Verdächtigenliste bewusst Verwirrung, um den fünften Mann zu schützen.
Aftermath: Die Schuldzuweisungen
Reynolds und seine Crew nutzen den Wirbel um den Leaker, um Werbung für die Filme zu machen. Immer wieder. Für Aussenstehende ist nie klar, ob sie die Wahrheit überhaupt kennen. Aber das ist Teil des Spiels.
Ich werde nicht verraten, wer das Video geleakt hat. Aber sein Name reimt sich auf «Byran Breynolds».
Reynolds jedenfalls gibt nichts zu. Stattdessen hat er vergangenes Jahr auf der Pressetour zum zweiten Deadpool-Film folgenden Kommentar abgegeben:
Ich bin mir zu etwa 70 Prozent sicher, dass ich es nicht gewesen bin.
In einem Interview mit Yahoo Movies geht Reynolds sogar weiter. Angeblich seien alle davon überzeugt gewesen, dass Regisseur Tim Miller das Video geleakt hätte. Miller, von Reynolds darauf angesprochen, hat aber alle Schuld vehement von sich gewiesen.
Ich habe ihn mal bei Seite genommen, als schon lange Gras über die Sache gewachsen war und ihm niemand mehr hätte schaden können. Er sagte mir: «Ryan, ich war es wirklich nicht.»
Das letzte Wort
Die Identität des Leakers wird nie enthüllt werden. Oder zumindest nicht in naher Zukunft. Dafür ist die Kriminalstory zu gut, um aufgeklärt zu werden. Denn sie ist extrem, seltsam und rebellisch. Genau wie Deadpool.
Müsste ich raten, dann würde ich auf den fünften Mann tippen, der von Reynolds geschützt wird. Einerseits verdankt er ihm den Deadpool-Film. Andererseits ist der kanadische Schauspieler mittlerweile zu gross, um verwundbar zu sein. 1,5 Milliarden Dollar später sowieso. Und: Reynolds ist als Deadpool unersetzbar.
Das zu Redaktionsschluss letzte Wort gehört dem Kanadier:
«Heute ist das Vier-Jahres-Jubiläum. Update Juli 2018: Wir suchen immer noch nach dem Bastard, der unser Testmaterial ins Internet geleakt und damit grünes Licht für Deadpool erwirkt hat. Zeit, die Ermittlungen selber in die Hand zu nehmen. #Wütend»



Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»