
Ein Bett im Kornfeld – das uns alle vereint
Auf Social Media wimmelt es von Bildern mit Betten, die in malerischen Landschaften stehen. Was die einen als Kopie verhöhnen, sehe ich als Sehnsucht nach Freiheit, die uns zurzeit verbindet.
«Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei», singt der deutsche Schlagersänger Jürgen Drews in den 70ern. Er zelebriert im Titel das Schlafen «zwischen Blumen und Stroh». Er zeichnet damit ein Bild der Sehnsucht nach Freiheit in einem einfacheren, sorglosen Leben. Dieses Sujet lassen einige Gestalter*innen in den letzten Wochen wahr werden.
Unter freiem Himmel
Auf zahlreichen Fotos und Videos auf Social-Media-Plattformen sind Szenen von unterschiedlichen Schlafsituationen an ungewöhnlichen Orten zu sehen. Zum Teil mit Model und gar einem ganzen Bettgestell. Besonders wagemutige Fotografinnen wie Alice Grigoriadi schlagen ihr Lager im Wasser oder wie Elvira Valieva am Hang auf. Ob sie darauf wirklich schlafen, erfahren wir nicht. Wer die Idee als Erstes hatte, auch nicht. Was steckt hinter diesem Trend?

Nachahmung oder Sehnsucht nach mehr?
Die Fashionshow von Modedesigner Simon Porte Jacquemus ging vor Kurzem viral. Sie fand inklusive einem Bett und 100 glücklichen Gästen in einem Weizenfeld statt. Ob Jacquemus als Erstes die Idee dafür hatte, sei dahingestellt. Seither kursieren jedenfalls zahlreiche Fotos von Blogger*innen im Netz, die sich an ähnlichen Orten mal mit, mal ohne Bett ablichten lassen.
Einige Instagram-Accounts wie «Shitbloggerpost» widmen sich solchen Copycats. Sie zeigen auf, wie oft die vermeintlich kreative Szene voneinander abguckt. Wo die einen über die «geklauten» Posts lachen, schreibt die Nutzerin «Terriblehumanbeing»: «Das ist Hingabe ans Handwerk. Stell dir vor, wie lange es dauert, zu einem Weizenfeld zu fahren und Content zu kreieren.»


Auch wenn der Kommentar ironisch gemeint ist, ist etwas dran. Seit ich einige Fotoshootings als Stylistin begleitet habe, weiss ich, wie gross der Aufwand hinter solchen Bildern ist. Es braucht einen geeigneten Ort, das perfekte Licht und Arrangement sowie ein eingespieltes Team. Im Beispiel der Modenschau von Jacquemus kommt ein 600 Meter langer Holz-Laufsteg, der erst noch gezimmert werden musste, dazu.
Ähnlich ist es mit den Fotos von Betten im Freien. Blogger*in Alice Grigoriadi gibt Einblicke hinter die Kulissen ihrer Betten-Shootings: Mindestens zwei Personen tragen die Matratze an ungewöhnliche Locations und zum Teil auch auf Dächer. Das braucht Vorbereitungszeit, Manpower, Zeit und das nötige Kleingeld für den Transport.

Es spielt jedoch keine Rolle, wer von den kreativen Köpfen als Erstes die Idee mit dem Bett im Freien hatte. Selbst die Bilder von Betten im Netz, die mittels 3D-Rendering entstehen, sind aufwendig in der Gestaltung. Die Arbeit hinter all diesen Inszenierungen verdient Applaus, statt einem Account, der sich lustig macht. Ein Bett samt Kissen und Decke ins Kornfeld zu schleifen, macht schliesslich niemand einfach mal so.
Die Sehnsucht nach dem Freiheitsgefühl
Seit Beginn der Corona-Pandemie träumen viele von abgelegenen Orten. Das Reisen ist nach wie vor eingeschränkt. Deswegen sind die Sujets von Sehnsuchtsorten und Open-Air-Betten, die zum Teil auch imaginär sind, so beliebt. Fernab von jeglicher Zivilisation muss niemand Angst davor haben, die Social-Distancing-Regeln nicht einhalten zu können. Nur die Wenigsten machen sich jedoch auf die Suche nach verträumten Landschaften und verlagern ihr Bett dorthin. Wahrscheinlich machen das auch die Blogger*innen nicht. Vielmehr lassen sie uns teilhaben an dieser Sehnsucht nach etwas Freiheit, dem Bett im Kornfeld von Jürgen Drews, weit weg von jeglichem Alltagssorgen.

Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.