
Hintergrund
«Se7en» im IMAX: Warum Finchers Meisterwerk auch nach 30 Jahren schockiert
von Luca Fontana
Nach über zehn Jahren kehrt «Interstellar» zurück ins IMAX – und mit ihm all die Fragen, die uns nie losgelassen haben. Über Zeit, Liebe, Verlust. Und darüber, was am Ende wirklich bleibt.
Ich weiss noch genau, wie ich damals im Kinosessel sass, die Hände verkrampft an den Armlehnen, das Herz irgendwo zwischen den Sternen und dieser Orgel, die durch meinen Brustkorb vibrierte. «Interstellar» war kein Film, den man einfach geschaut hat. Er war eine Erfahrung. Eine Wucht. Ein Gebet an die Zukunft – um es mal spirituell auszudrücken – und an das, was wir zu retten hoffen.
Vielleicht auch an das, was wir schon verloren haben.
Jetzt kehrt er zurück. Und zwar nicht irgendwohin, sondern dorthin, wo er hingehört: auf die grösste Leinwand, die’s gibt. IMAX. In originaler Sprache und ohne Untertitel. Und zwar dank euch: Als hätte das Universum selbst abgestimmt, wurde «Interstellar» mit Abstand zum Sieger unseres Votings gekürt.
Am 22. Juni heben wir also gemeinsam in interstellare Gefilde ab – in allen Pathé-IMAX-Kinos der Schweiz. Und zwar in Kooperation mit The Ones We Love und Pathé Schweiz. Hier geht’s zu den Tickets in:
Aber dieser Text soll kein blosser Reminder für den Vorverkauf sein. Vielmehr eine Liebeserklärung. Eine Annäherung an einen Film, der uns noch immer nicht loslässt. Lehnt euch zurück. Spielt im Hintergrund Hans Zimmers Musik ab und geniesst die folgenden Zeilen.
Vorsicht: Spoiler.
Das ist sie. Unsere Erde. Ein blasser, blauer Punkt in der Dunkelheit – kaum zu erkennen, wenn man weit genug weg ist. Kein Kontinent, keine Grenze, kein Geräusch. Nur ein Licht, das einsam durch den kalten Kosmos treibt.
Das berühmte Foto, das diesen Punkt zeigt, wäre fast nie entstanden. Die Raumsonde Voyager 1 war 1990 bereits an allen Planeten des Sonnensystems vorbeigeflogen und bereit, sich für immer ins interstellare Nichts zu verabschieden. Niemand bei der NASA sah noch einen praktischen Nutzen darin, die Kamera erneut zu aktivieren – schon gar nicht, um ein sinnloses, unscharfes Bild von der Erde zu schiessen.
Niemand ausser Carl Sagan.
Der Astronom, Autor, Poet – und ewige Vermittler zwischen Wissenschaft und Menschlichkeit – kämpfte jahrelang dafür, dass genau dieses Bild gemacht wird. Nicht für die Forschung. Sondern für uns. Als Mahnmal, Erinnerung und Perspektive: die Erde, aufgenommen aus fast sechs Milliarden Kilometern Entfernung, eingebettet in einen Lichtstreifen, und kaum mehr als ein halbes Pixel gross.
«Seht diesen Punkt. Das ist hier. Das ist unser Zuhause. Das sind wir», schrieb Sagan später. «Jeder Mensch, den ihr liebt, den ihr kennt, von dem ihr je gehört habt und der je gelebt hat, hat sein Leben auf diesem Punkt verbracht.»
Dieser Punkt. Ist es das, worum es in «Interstellar» geht? Um die Rettung der Menschheit? Um einen sterbenden Planeten, verödete Felder und Staub in jeder Pore, der sich wie ein langsamer Tod auf alles legt? Das sagt zumindest der Plot. Der blasse blaue Punkt hat seine Fruchtbarkeit nämlich längst verloren – und die Menschheit auch ihre Zukunft. Nicht in einem apokalyptischen Feuer, sondern durch das schleichende Ersticken.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Was wirklich auf dem Spiel steht, ist nicht die Menschheit – sondern der Glaube an sie. Die Hoffnung, dass wir trotz all unserer Fehler etwas sind, das es wert ist, bewahrt zu werden. Dass wir etwas sind, das fähig ist, zu lieben.
Das jedenfalls erzählt uns Nolan in seinem Monument aus Wurmlöchern, Quantenphysik und Gravitation. Denn im Herzen seines Films steht nicht die gesamte Menschheit, sondern stellvertretend für sie ein Kind. Murph. Und ein Vater, der seine Tochter zurücklassen muss, um ihr eine Zukunft zu ermöglichen.
Genau das ist die Wette, die «Interstellar» eingeht: Dass Liebe – nicht Technik, nicht Strategie oder Logik – am Ende der Motor ist, der uns durch Raum und Zeit tragen kann. Nicht, weil Liebe magisch ist. Im Gegenteil. Sie ist konkret, postuliert Nolan. Sie bindet. Und das sogar über Distanzen hinweg, die jegliche Vorstellungskraft sprengen, selbst wenn das Universum um uns herum auseinanderfällt.
Vielleicht ist das die stille Botschaft im lauten Spektakel von «Interstellar»: Dass selbst der blasseste Punkt im All ein Ort sein kann, für den es sich zu kämpfen lohnt, wenn dort jemand wartet, den wir lieben. Und vielleicht, wenn wir genau hinhören, hören wir sie noch – die Orgel, die durch unser Herz vibriert. Und uns daran erinnert, dass wir selbst in der grössten Leere nie ganz allein sind.
Um das geht es – und um nichts Geringeres.
Es gibt diese Szene in «Interstellar», die sich nicht anschaut, sondern einbrennt. Nicht, weil sie spektakulär wäre. Kein Raumschiff hebt ab, kein Wurmloch klappt sich auf. Und doch ist es vielleicht die gewaltigste Szene des Films.
Cooper sitzt da. In einem kleinen, kargen Raum an Bord der «Endurance». Nach einer folgenschweren Mission auf einem Planeten, auf dem Minuten zu Jahren werden, kehrt er zurück zur Hauptkapsel. Für ihn sind nur wenige Stunden vergangen. Für die Erde: 23 Jahre. Ein Crewmitglied sagt: «There’s years of messages here.» Dann schaltet Cooper den Bildschirm ein.
Und da sind sie. Seine Kinder.
Zuerst Tom. Noch ein Junge. Er erzählt vom Footballtraining, vom Grossvater, von Murph. Dann wird seine Stimme tiefer. Er erzählt von der Highschool. Vom Tod des Grossvaters. Von der Farm, die stirbt. Von seinem eigenen Kind. Die Jahre gleiten vorbei. Die Frisuren wechseln. Die Stimme wird rauer. Die Haut bekommt Falten.
Cooper sagt kein Wort. Er schaut einfach nur hin. Während die Zeit, die er verpasst hat, wie ein Faustschlag nach dem anderen auf ihn niederprasselt. Er schluckt. Zittert. Schliesslich bricht er. Da ist kein Ton mehr. Kein Score. Nur sein Atem. Sein Schluchzen. Bis Hans Zimmers Orgel schliesslich doch zurückkehrt. Mit jeder Note dröhnt sie tiefer – wie das Echo eines gebrochenen Versprechens.
Und dann kommt Murph.
Sie hat nicht mehr mit Cooper gesprochen, seit er gegangen ist. Jetzt tut sie es. Erwachsen. Klar. Verletzt. Sie wollte ihm eigentlich nie eine Nachricht schicken. «Aber heute ist mein Geburtstag», sagt sie, «und es ist ein besonderer – weil du mir mal gesagt hast, dass wir vielleicht gleich alt sein werden, wenn du zurückkommst. Und heute bin ich so alt wie du warst, als du gegangen bist.»
Da ist nicht nur die Anklage. Nicht nur Wut. Dieser eine Satz – er trägt alles. Hoffnung, Schmerz, Verlust, Liebe. Und eine unendlich traurige Frage: «Wo warst du, Dad?»
Es ist ein Moment, der zeigt, was Zeit wirklich ist: nicht Zahlen auf einer Uhr. Nicht Jahre. Sondern verpasste Nähe. Nicht dagewesene Umarmungen. Geburtstage. Blicke. In dieser einen Szene verdichtet Nolan all das, was «Interstellar» so unerträglich menschlich macht: Nicht der lauernde Tod der Menschheit, sondern der Tod eines Augenblicks, den man nicht zurückholen kann.
Genau deswegen trifft uns diese Szene wie ein Meteorit. Weil wir alle jemanden haben, den wir vermissen. Weil wir alle wissen, wie es sich anfühlt, nicht da gewesen zu sein – oder zu spät.
Vielleicht ist das der wahrhaftigste Moment im Film. Kein Bild vom All. Kein schwarzes Loch. Kein Wissenschaftsmonolog. Sondern ein Mann, der vor einem Bildschirm sitzt und zusehen muss, wie das Leben, das er liebt, ohne ihn weiterging.
Ein Vater. Eine Tochter.
Und dazwischen: 23 Jahre Stille.
Ein blasser, blauer Punkt in der Dunkelheit. So sieht unsere Erde aus, wenn man weit genug weg ist. Ein winziges Licht in einem endlosen, kalten Kosmos. Genau dort beginnt «Interstellar». Und genau dorthin will Nolan zurück: zu uns.
Denn so weit er seine Figuren auch hinauskatapultiert – in Wurmlöcher, Schwarze Löcher, auf Wasserplaneten und gefrorene Eiswelten –, so sehr kreist er doch um eine Frage, die zutiefst menschlich ist: Was tun wir, wenn alles zusammenbricht? Wenn die Welt stirbt, der Staub unsere Ernten frisst und die Zeit gegen uns arbeitet?
Die Antwort: Wir suchen.
Nicht nur neue Planeten. Sondern Hoffnung und Verbindung.
Christopher Nolan erzählt keine Space Opera. Er inszeniert ein Vater-Tochter-Drama im Kleid eines Astrophysik-Thrillers. Mit Raketenstarts und Relativitätstheorie, ja. Aber im Kern geht es um ein Versprechen. Um die Liebe eines Vaters, der seine Tochter zurücklassen muss – in der Hoffnung, dass sie ihn nie vergessen wird. Und darum, ob diese Liebe stark genug ist, Raum und Zeit zu durchbrechen.
Das ist gross. Und gewagt. Und manchmal geradezu überambitioniert. Aber es funktioniert. Weil Nolan es schafft, das Grösste im Kleinsten zu spiegeln.
Im pale blue dot.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»