
Einen Monat vegetarisch: Bekenntnisse einer Fleischesserin

«Tanja, schreib mal was Persönliches!» Gut, ich habe mich einen Monat lang vegetarisch ernährt und Essen interessiert irgendwie jeden. Wieso ich das gemacht habe? Die Antwort ist leicht. Doch bevor sich nun Fleischesser und Vegetarier hier in der Kommentarspalte zerfleischen: Was besser ist, muss jeder für sich selber wissen. Was mir aufgefallen ist, was meine Beweggründe sind und was mein Ziel ist, erzähle ich dir gerne.
Zum Brunch Speck, ein Burger mit knusprigem Brötchen und harmonisierenden Zutaten oder gar eine Pizza mit Salami sind für mich persönlich gewichtige Gründe, die gegen eine vegetarische Ernährung sprechen. Wäre da nicht das besserwisserische Ich, das Tiere über alles liebt und sich schon fast über die eigene Schizophrenie ärgert. Ich bin die Erste, die herzige Mini-Schweinchen oder Hochlandrind-Kälbchen-Bilder an Freunde schickt, weil das typische Kindchen-Schema nahezu Muttergefühle in mir auslöst und mir ein mindestens fünf Oktaven höheres «jöööö!» entlockt.
Über die Gründe, kein Fleisch zu essen, müssen wir uns genau so wenig unterhalten, wie die Gründe die für Fleisch sprechen. Wir kennen sie wohl alle und jeder muss es handhaben, wie er will. Andere belehren zu wollen, bringt uns alle genau so wenig weiter, wie die 35 094ste Story über Trumps Eskapaden in Gratiszeitungen.
Wie alles begann
Kurz vor Weihnachten waren einige Arbeitskolleginnen und ich im Kreis 5 in Zürich Essen. Wir haben alle einen Burger bestellt. Er war zweifelsohne gut. Doch bei einem Patty in der Grösse von 9 cm Durchmesser und mindestens 4 cm Höhe komme ich schlichtweg an meine Grenzen. Ich habe nicht einmal die Hälfte des Fleisches gegessen, obwohl ich schon einen Teil des Brötchens weggelassen habe. Eigentlich schade, denn da liegt mein Geld und natürlich auch Essen, welches andere sicherlich mehr gebraucht hätten als ich. Weiter geht es mit dem Weihnachtsbraten und dem Fondue Chinoise mit Freunden im schönen Berner Oberland. Insgeheim frage ich mich ständig, weshalb Gemüse so eine kleine Rolle spielt.
Meine Beziehung zum Grünzeug
Ich mag Gemüse wirklich sehr. Ich wohne alleine und koche häufig was mit Zucchini oder Tomaten und anderem Gemüse. Mit Blattsalat habe ich hingegen schon lange eine schwierige Beziehung. Ich esse ihn zwar ab und zu, aber irgendwie ist «einfach eine Schüssel Salat» unbefriedigend. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, erinnere ich mich an das leckere Gemüse von Mama. Doch irgendwie war auch hier Fleisch der Hauptakteur. Ich wünsche mir mehr Farbe auf dem Teller, denn ich mag Gemüse.
Der Entschluss und mein persönliches Ziel
Es war kein Neujahrsvorsatz, dennoch entschied ich irgendwann in der Neujahrswoche, einen Monat auf Fleisch zu verzichten. Wieso? Bei mir treffen jeweils spontan einzelne Hirnsynapsen aneinander, die manchmal beängstigend kreative, merkwürdige und sogar sinnvolle Ideen generieren. Bei mir funktioniert aber sowas nur mit dem Grundsatz: Ganz oder gar nicht. Der ausschlagende Grund war wohl, dass ich unter dem Strich immer dasselbe esse. «Dasselbe» beinhaltet zu häufig auch Fleisch und Gemüse, welches manchmal mehr Wasser als Ballaststoffe enthält. Um noch eine kurze Rückblende zu machen, um meine Beharrlichkeit auf Fleisch zu verdeutlichen: Ich habe nach meiner Lehre für sehr kurze Zeit im Marketing einer Grossmetzgerei gearbeitet. Ich weiss, was in eine Wurst reinkommt und wie ekelhaft Rinderhälften riechen, wenn sie frisch geschlachtet zur Verarbeitung angeliefert werden. Die musste ich glücklicherweise nicht jeden Tag sehen, aber eine Betriebsführung reichte eigentlich aus. Doch warum hat es bei mir da nicht schon was bewirkt? Ich glaube, es war Bequemlichkeit. Zeit für eine Horizonterweiterung!
Mein selbsterklärtes Ziel: Ganz nach dem Motto «Auch Kleinvieh macht Mist» esse ich einen Monat kein Fleisch, um danach (hoffentlich) seltener und bewusster Fleisch zu konsumieren und mein Essens-Repertoire auszubauen.
Der fleischlose Monat
Am ersten Tag war mein Mittagessen mit Weizengeschnetzeltem nicht wirklich prickelnd. Und wie es immer ist: «Darf» man was nicht, will man es. Ich esse eigentlich sehr selten Döner, um ehrlich zu sein, höchst selten angeschwipst nach dem Ausgang. Aber warum habe ich gerade in der ersten Woche unbändige Lust auf sowas? Ansonsten lief die erste Woche richtig gut, obwohl mir die Kochideen ausgingen und die Rezepte im Internet nicht wirklich ansprechend wirkten. Erschwerend kommt dazu, dass ich Teigwaren nur bedingt mag (und al dente leider ein Fremdwort ist, wenn ich koche) und Reis nur etwa jede zweite Woche esse. Doch ich halte es aus – zumindest bis zum Wochenende. Wir feiern einen Geburtstag beim Chinesen. Und ich finde tatsächlich nur ein vegetarisches Gericht auf der Karte. Eine lausige Suppe mit Tofu. Tofu? Ach! Ich will doch kein Soja-Gedünse essen. Zeit für meinen einzigen Jokertag. Beim Chinesen war sogar die Karte nach Fleischart geordnet, was will ich da tun? Das Szechuan mit Rind habe ich genossen – wohl noch viel mehr als sonst, was ja eigentlich das Ziel für das Ende des Monats sein soll. Was soll’s, zurück zum Anfang. Der Montag in Woche zwei war für mich mustergültig. Ich habe das erste Mal Süsskartoffeln zu Wedges verarbeitet und mit Sour Cream und Brokkoli gegessen. Im gleichen Zug habe ich noch mehr Gemüse gedünstet, Vollkornbrot gebacken und mich glücklich ins Bett gelegt, da für den nächsten Mittag gesorgt war. Die Woche lief danach genauso gut, wie sie begonnen hatte. Gelegentliche Gedanken an Gerichte mit Fleisch waren vorhanden. Und jetzt habe ich herausgefunden, wieso – ich kenne es ja nicht anders, wie soll ich auf ein wirklich tolles Veggie-Gericht Lust haben, wenn ich bisher unbewusst so auf Fleisch fixiert war?
Die Tage verstreichen und ich gewöhne mich daran, einfach andere Sachen als Fleisch zu essen. Und doch erwische ich mich hin und wieder in der Migros dabei, wie ich mir Sachen denke wie: «Antipasti und Trockenfleisch wären auch eine Idee!». Schneller als mir lieb ist, kommt mir dann doch wieder in den Sinn, dass ich kein Fleisch esse. So schnell, wie der Gedanke gekommen ist, ist er auch wieder weg. Ich mache aber Anfangsfehler. Beim roten Gemüsecurry mit Blumenkohl-«Reis» bedenke ich nicht, dass in der Currypaste Fischöl drin ist. Was soll's, war ein Anfängerfehler. Oder essen das richtige Veggis? Fragen über Fragen. Ende der dritten Woche habe ich mich dann doch an Soja-Geschnetzeltes gewagt, obwohl ich nicht wirklich Fan von «Sojanachbildungen» bin und ich muss sagen: Es hat geschmeckt. Danach wird mein Experiment immer unspektakulärer, ich habe mich daran gewöhnt und es ist auf einmal völlig normal. Und das, obwohl beim Cordon Bleu der Arbeitskollegin am Mittag kurzzeitig doch dezenter Neid hochkommt. Ich kann mich aber damit trösten, dass bis jetzt jede Alternative (abgesehen vom Weizengeschnetzelten) geschmeckt hat. Das Ende ist in Sicht.
Das Experiment ist zu Ende. Es war nicht schwierig, lediglich ungewohnt. Aber was nun?
Das habe ich aus dem Experiment mitgenommen
Ich habe viel mehr Zeit in der Küche verbracht. Natürlich hätte ich einfach Brot und Frischkäse essen können, mir Teigwaren mit Pesto oder einfacher Tomatensauce machen können. Doch das wollte ich nicht. Ich habe viel Gemüse gekocht, gebacken oder gedünstet. Ich habe Sachen gekocht, die ich zwar schon gegessen habe und mag, die bisher einfach nicht den Weg in meine Küche gefunden haben. Ich habe Geld gespart. Körperlich fühle ich mich fitter, trotz meiner gelegentlichen Schokoladen-Ausschweifungen. An dieser Stelle muss ich jedoch sagen, dass ich in dieser Zeit auch mehr Sport gemacht habe als sonst, was hier natürlich auch einen Einfluss gehabt haben könnte – genauso wie mein einmonatiger Alkoholverzicht. Somit will ich das nicht (oder zumindest nicht ausschliesslich) auf die Ernährung zurückführen. Meine geistige Haltung ist immer noch dieselbe wie vor dem kleinen Experiment. Mir schmeckt Fleisch. Ich versuche jedoch, viel bewusster auf Produkte zurückzugreifen, die ich zuvor nicht gekauft hätte und überlege mir primär immer, was mir guttut. Ich weiss jetzt, dass es wirklich nicht nötig ist, so häufig auf Fleisch zurückzugreifen wie in der Vergangenheit. Die Alternativen schmecken genauso – vor allem habe ich für mich neue Gerichte entdeckt, die hervorragend ohne Fleisch auskommen. Ich einige mich mit mir selbst (du kennst bestimmt die Gespräche im Kopf – die komischen, die man mit sich selbst führt) – auf gemässigten Fleischkonsum von vernünftigen ein- bis zwei Mal in der Woche. Das ist zu schaffen und hält sich für mich im vertretbaren Rahmen.
Wenn für dich deine Ernährung so stimmt wie sie ist, dann wird es das Richtige sein. Vielleicht kann ich dich aber auch inspirieren, in andere Gewässer vorzustossen. Für mich hat es sich gelohnt, ich habe so viele unterschiedliche Gemüsesorten gekocht, wie wohl noch nie in meinem Leben.



Freunde, Familie, Katzen und guter Wein sind mein Lebenselixier.