
Hintergrund
«Game of Thrones»: Die White Walkers und die lange Nacht
von Luca Fontana
Wenn die Menschen im Osten Azor Ahai besingen, dann singen sie das Lied von Eis und Feuer. Wer ist Azor Ahai? Und was hat es mit der Prophezeiung des Prinzen, der versprochen wurde, auf sich?
Einst lag die Finsternis über der Welt von «Game of Thrones». Eine lange Nacht, die eine ganze Generation lang angedauert haben soll. Könige und Bauern froren sich gleichermassen die Glieder ab. Säuglinge wurden noch in ihren Kindsbetten erstickt, weil nicht genug Essen da war, um alle hungrigen Mäuler zu stopfen. Eine dunkle Zeit.
In dieser Finsternis zogen die White Walkers zum ersten Mal übers Land. Begleitet von einem Wintersturm ritten sie riesige Eisspinnen und erweckten die Toten zu willenlosen Wights. Doch ein Held trat der Finsternis entgegen: Azor Ahai.
Diese Geschichte beginnt vor achttausend Jahren.
Azor Ahai ist kein Held der Westerosi; seine Taten werden nur von den Roten Priestern R’hllors, wie aus der aktuellen Geschichte Melisandre eine ist, besungen. Sie sind Anhänger einer Religion, die vor allem auf dem östlichen Kontinent Essos zu finden ist.
Die Nacht sei finster und voller Schrecken, so die Anhänger, aber der Tag hell und wunderschön. Ihre Welt besteht aus lauter Gegensätzen: Schwarz und weiss, Hass und Liebe, Tod und Leben – oder eben Eis und Feuer.
Aber zwischen diesen Mächten herrscht Krieg. R'hllor, Herr des Lichts, Herz des Feuers und Gott von Flamme und Schatten, steht für die helle Seite. Die dunkle Seite wird hingegen vom Grossen Anderen beherrscht – vom Herrn der Finsternis, der Seele des Eises und der Gott von Nacht und Schrecken. In diesem Glauben entsteht die Legende des Azor Ahai.
Als der Night King vor 8000 Jahren mit seinen White Walkers und den Wights die Welt heimsucht, erwählt R’hllor, der Herr des Lichts, Azor Ahai als seinen Recken, der die Armeen der Ersten Menschen und der Children of the Forest anführen soll. Um die Stärke zu erlangen, die Azor Ahai benötigt, um den Nachtkönig zu besiegen, muss er zunächst Lightbringer schmieden – ein mächtiges Heldenschwert, das nur in lebendem Feuer geschmiedet werden kann.
Azor Ahai feuert die Esse an und macht sich ans Werk. 30 Tage und 30 Nächte lang schmiedet er, bevor das Schwert vollendet ist, so die Legende. Doch als er die Klinge ins Wasser taucht, um sie zu kühlen, zerbricht der Stahl. Azor Ahai macht sich erneut ans Werk.
Für das zweite Schwert benötigt er 50 Tage und 50 Nächte. Diesmal erlegt er einen Löwen, um die Klinge zu kühlen, und treibt das Schwert in dessen Herz. Doch der Stahl gibt nach und bricht erneut. Verzweiflung macht sich breit.
Beim dritten Schwert arbeitet Azor Ahai schweren Herzens. Mittlerweile hat er begriffen, was mit Schmieden in lebendem Feuer gemeint ist: Um die Klinge zu vollenden, muss er das ultimative Opfer erbringen.
Eine schreckliche Waffe, wenn die alten Geschichten wahr sind. Aber grosse Macht fordert grosse Opfer. In diesem Punkt ist der Herr des Lichts deutlich.
Dieses Mal schmiedet der auserwählte Prinz 100 Tage und 100 Nächte lang. Und das Schwert, das dabei entsteht, ist das beste, das er je geschmiedet hat. Zum Abkühlen ruft Azor Ahai seine Frau herbei, Nissa Nissa. Er bittet sie, ihre Brust zu entblössen. Dann bohrt er das Schwert in ihr Herz.
Nissa Nissa stirbt.
Die Legende besagt, dass der Mond Risse und Pocken erhalten habe, als er die Schreie Nissa Nissas hört. Aber ihre Seele verbindet sich mit dem Stahl des Schwerts, und Nissa Nissas flammende Liebe entfacht das Feuer der brennenden Klinge: Lightbringer ist vollendet.
Bewaffnet mit dem mächtigen Lichtbringer stellt sich Azor Ahai dem Night King. Schlussendlich gelingt es ihm, die Armeen der Toten bis in den hohen Norden zurückzuschlagen. Bran der Erbauer, ein früher Vorfahre der Stark-Familie, lässt daraufhin die Mauer errichten und gründet die Night’s Watch, welche die Schrecken des Nordens vor dem Süden fernhalten sollen.
Azor Ahais Geschichte endet hier. Aber es gibt eine Prophezeiung, die von seiner Rückkehr handelt: Das Lied von Eis und Feuer.
Die Prophezeiung selbst ist vor fünftausend Jahren in hochvalyrischer Sprache in den alten Büchern Asshais niedergeschrieben worden – ein ferner Ort, der in den südöstlichen Regionen Essos liegt. Sein Inhalt sagt im Wesentlichen folgendes aus:
Der legendäre Azor Ahai soll als ein von R'hllor gesandter Champion inmitten von Rauch und Salz wiedergeboren werden, um Drachen aus Stein zu erwecken. Dies wird nach einem langen Sommer geschehen, wenn die lange Nacht erneut über die Welt herabsteigen und der rote Stern bluten wird. Der Prinz, der versprochen wurde, wird ein weiteres Mal Lightbringer schwingen. Sollte er die Welt nicht von der Dunkelheit erlösen, dann wird sie mit ihm untergehen. Denn sein ist das Lied von Eis und Feuer – A Song of Ice and Fire.
Die Prophezeiung ist gefährlich, weil sie missverstanden werden kann. Denn das Wort, das im Hochvalyrischen «Prinz» bedeutet, ist geschlechtsneutral. Korrekterweise muss also von «Prinz oder Prinzessin» gesprochen werden, wenn die Prophezeiung wiedergegeben wird. Abgesehen davon ist nicht klar, wie wörtlich einzelne Hinweise im Text genommen werden dürfen, um die Identität des versprochenen Prinzen oder der Prinzessin herauszufinden.
Der Hinweis auf «Prinz oder Prinzessin» lässt königliches Blut vermuten. Und die Fähigkeit, Drachen aus Stein zu erwecken, könnte auf eine starke Verbindung zwischen den Targaryens, einer uralten Familie aus dem Volk der drachenreitenden Valyrer, und der Prophezeiung hinweisen. Tatsächlich gilt lange Zeit Rhaegar Targaryen, erster Sohn des verrückten Königs Aerys Targaryen, als die Reinkarnation Azor Ahais.
Geboren wird Rhaegar während eines Brands auf Schloss Summerhall. Eine Tragödie, die so viele Opfer gefordert hat – etwa Rhaegars Grossvater – und so tragisch gewesen sein muss, dass viele der Überlebenden nur unter Tränen über die Geschehnisse sprechen können. Die Feuer Summerhalls werden dem Rauch aus der Prophezeiung zugeschrieben, die Tränen der Überlebenden hingegen dem Salz.
Später wird Rhaegar während Robert Baratheons Rebellion von selbigem getötet. Damit endet nicht nur die Herrschaft der Targaryens auf Westeros, sondern auch der Glaube an Rhaegar als Wiederkunft des versprochenen Prinzen. Zuvor war es Rhaegar selbst, der nicht sich, sondern seinen erstgeborenen Sohn für die Wiedergeburt Azor Ahais gehalten hatte. Schliesslich soll ein Komet über King’s Landing gesehen worden sein, als dieser zur Welt gekommen ist – der blutende Stern aus der Prophezeiung.
Aegon. Welch besseren Namen gibt es für einen König? Er ist der Prinz, der verheissen wurde, und sein ist das Lied von Eis und Feuer.
Im Zuge der Eroberung King’s Landings durch Robert Baratheon wird der junge Sohn Rhaegars noch im Säuglingsalter auf grausame Weise durch die Hand Gregor Cleganes, ein Handlanger der mächtigen Lannister-Familie, getötet. Und mit ihm stirbt die Prophezeiung. So scheint es.
Dann werden aus dem Osten Geschichten über eine junge blonde Frau erzählt, die drei versteinerte Dracheneier ausgebrütet haben soll – die aus Stein erweckten Drachen. Angeblich soll sie ohne Schaden zu nehmen samt Dracheneier in ein riesiges Feuer gestiegen sein. Dieses ist entfacht worden, um den Leichnam ihres Mannes und die noch lebendige, aber weinende Heilerin Mirri Maz Duur zu verbrennen – eine sinnbildliche Wiedergeburt inmitten von Rauch und Salz. Gleichzeitig zieht erneut ein Komet über den Himmel Westeros – der blutende Stern.
Ist Daenerys Targaryen, jüngste und verschollene Schwester von Rhaegar Targaryen, die Wiedergeburt Azor Ahais?
Es gibt noch einen Kandidaten, der in Frage kommt: Jon Snow, der Bastardsohn Ned Starks.
Denn eigentlich ist Jon gar kein Bastard, sondern insgeheim ein Targaryen. Sein leiblicher Vater ist Rhaegar Targaryen, der eben einst für den wiedergeborenen Prinzen gehalten worden ist. Seine leibliche und bei der Geburt verstorbene Mutter ist Lyanna Stark, Ned Starks Schwester. Während Jons Geburt lehnt ein legendäres Heldenschwert an Lyannas Bett: Dawn, geschmiedet aus dem Metall eines gefallenen Sterns. Ist das in Blut getränkte Heldenschwert etwa der blutende Stern aus der Prophezeiung?
Tatsächlich vereint Jon das Blut der Starks, das von den Ersten Menschen abstammt und damit dem mutmasslichen Volke Azor Ahais, mit dem Drachen erweckenden Blut der Targaryen.
Sollte also Jon der Prinz sein, der verheissen wurde, dann ist es wahrlich seins, das Lied von Eis und Feuer.
Das war Teil zwei von sechs geplanten Artikeln zu «Game of Thrones». Nächste Woche geht's weiter mit der rätselhaften Herkunft der Drachen. Wenn's dir gefallen hat und du viele weitere Hintergründe und News rund um die Welt des Kinos und der Fernsehserien nicht verpassen möchtest, dann folge mir mit einem Klick auf den «Autor folgen»-Button.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»