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Grenzen setzen bei Kindern, aber wie?

Ümit Yoker
2.12.2017

Grenzen bringen Kindern mehr bei, als dass man sich nicht nur von Erdbeerglace ernähren kann und es Paul weh tut, wenn man ihn an den Haaren zerrt. Wie viel und was Kinder lernen, hängt allerdings sehr davon ab, wie Eltern vorgehen, sind die Experten Daniel J. Siegel und Tina Payne Bryson überzeugt.

Ohne Grenzen geht es nicht. Davon sind der Mediziner und Kinder- und Erwachsenenpsychiater Daniel J. Siegel und Tina Payne Bryson, Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche, überzeugt.
So wie wir unseren Kindern zeigen, wie man Schuhe bindet und seinen Namen schreibt, müssen wir ihnen auch beibringen, dass sie ihre Wut zwar gerne am Sofakissen auslassen können, nicht aber am Schienbein des Bruders und dass Überraschungseier wirklich nur in Ausnahmefällen als Frühstück taugen. Denn nur so, sind die beiden amerikanischen Experten überzeugt, lernen Kinder, die Gefühle anderer Menschen zu berücksichtigen, mit Frustrationen umzugehen und auch mal einen Wunsch hintanzustellen, um ein Ziel zu erreichen. Drohungen, Strafen und Time-Outs taugen jedoch wenig, um diese Fähigkeiten zu vermitteln, schreiben Siegel und Bryson in ihrem Buch «No-Drama Discipline» und zeigen andere Wege auf.

Da sein

Wer von starken Gefühlen überrollt wird - und das werden kleine Kinder regelmässig, schliesslich muss sich die Fähigkeit, diese im Zaum zu halten, erst noch entwickeln -, der muss erst mal wieder zu sich kommen. Es bringt in solchen Momenten deshalb wenig, wenn wir zu Vorträgen und Ermahnungen ansetzen, und mal ehrlich: Wenn man als Erwachsener gerade ins Kissen heult, weil einem die grosse Liebe davongelaufen ist, helfen Sprüche wie «Du findest bestimmt eine bessere» ja erst mal auch nicht viel. Was wir für unsere Kinder tun können: Da sein, Ruhe vermitteln, in den Arm nehmen, zu verstehen geben, dass wir ihre Gefühle anerkennen («Das hat dich jetzt richtig wütend gemacht, nicht wahr?»). Wenn Kinder toben, kostet das Eltern zweifellos Nerven - aber es ist auch für die Kleinen kein angenehmer Zustand.

Einfach mal die Klappe halten…

«Weisst du, Iris durfte nur fünf Gspänli an ihre Geburtstagsparty einladen, weil ihr Mami gesagt hat, dass in ihrem Wohnzimmer nicht mehr Kinder Platz haben, aber wenn sie einen Garten hätte, wärst du bestimmt auch eingeladen gewesen, ausserdem hat Paula doch auch bald Geburtstag und lädt dich dann sicher zu ihrem Fest ein.» Manchmal müssen Eltern einfach mal die Klappe halten. Vielleicht erzählt die Tochter dann von selbst, warum sie Luisa ihre Ovi auf den Rock geschüttet hat («Luisa hat gesagt, dass Martina jetzt ihre Freundin ist!»). Oder vielleicht müssen erst einfach noch ein paar Tränchen fliessen dürfen. Alles Erklären, Drohen oder Fragen nach dem Warum bringt in solchen Momenten auf jeden Fall wenig. Schon kleine Kinder wissen meist sehr wohl, dass sie ihre Geschwister nicht an den Haaren zerren und die Spaghetti nicht auf den Küchenboden kippen sollten. Wenn sie es doch tun, dann mit ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit, weil sie irgendein donnerndes Gefühl übermannt.

…und etwas Zeit vergehen lassen

Vielleicht reichen zehn Minuten, damit sich die Situation wieder beruhigt und unsere Kinder wieder offenen Ohrs genug sind, dass wir sie nochmals auf ihr Verhalten ansprechen können. Manchmal, und besonders bei grösseren Kindern, kann es aber auch sinnvoll sein, bis nach dem Abendessen zu warten oder das Gespräch auf einen Nachmittag zu verschieben, an dem man entspannt zusammen auf der Couch sitzt. Und: Nicht nur Kinder brauchen manchmal Zeit, um sich wieder einzukriegen, sondern auch wir Eltern. Deshalb gilt auch für uns, dass es in gewissen Situationen besser ist, erst einmal tief durchzuatmen, die Kinder zehn Minuten in den Garten zu schicken und sich einen Kaffee machen, als geradeaus loszuschimpfen.

Grenzen setzen und Alternativen aufzeigen

Wenn wir unserem Sohn Verständnis dafür zeigen, dass er aus Wut am liebsten den Legoturm seiner Schwester zerstören würde, bedeutet das nicht, dass wir ein solches Verhalten auch gutheissen. Die Gefühle unserer Kinder ernst zu nehmen, betonen Siegel und Bryson in ihrem Buch immer wieder, heisst nicht, dass ihr Handeln keine Folgen hat. Wenn wir möchten, dass unsere Kinder an solchen Situationen wachsen und sich Fähigkeiten für ein zufriedenstellendes Leben aneignen, nützen pauschale Strafen wie das Verbannen ins Kinderzimmer aber wenig. Sinnvoll können hingegen Konsequenzen sein, die in direktem Zusammenhang mit dem Verhalten stehen. Hat der Fünfjährige also gerade eine Seite aus dem Lieblingsbuch seines Bruders gerissen, drückt man ihm eine Rolle Klebeband in die Hand und fordert ihn auf, das Buch wieder zu flicken. Und hat die Tochter nicht nur ihr Schöggeli, sondern auch das ihres Cousins gegessen, muss sie ihm halt vielleicht mit ihrem Taschengeld ein neues kaufen. Manchmal reicht es aber auch schon, wenn wir unser Kind darauf aufmerksam machen, dass ein anderes traurig ist oder alleine; wir können es dann fragen, was man da wohl tun könnte, es mit eigenen Vorschlägen zu Wort kommen lassen, wie man seinen Ärger wohl noch äussern könnte, ausser indem man wild mit Sand um sich schmeisst.

Und nicht zuletzt: Alle haben einen Grund für ihr Verhalten, auch die Kleinsten, und wir tun gut daran, nicht einfach von böser Absicht auszugehen, sondern immer wieder mit aufrichtiger Neugier nach den Gründen zu fragen, die unsere Kinder umtreiben. Und wenn wir auch selbst wieder mal wider besseren Wissens unseren Ärger mit uns durchgehen lassen, unverhältnismässig laut werden und mit lächerlichen Drohungen um uns werfen, können unsere Kinder auch von uns lernen: Jeder macht mal Fehler und muss sich danach entschuldigen. Das gehört zum Menschsein einfach dazu.

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Journalistin und Mutter von zwei Söhnen, beides furchtbar gerne. Mit Mann und Kindern 2014 von Zürich nach Lissabon gezogen. Schreibt ihre Texte im Café und findet auch sonst, dass es das Leben ziemlich gut mit ihr meint.<br><a href="http://uemityoker.wordpress.com/" target="_blank">uemityoker.wordpress.com</a> 


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