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Meinung

Kinder beim Sport: Was Eltern alles falsch machen

Vielen Eltern fällt es schwer, ihre Meinung über die sportliche Leistung der Kinder für sich zu behalten. Selbst wer sich am Spielfeldrand noch kontrollieren kann, setzt auf der Heimfahrt zum Debriefing an. Das kann nur schiefgehen.

Stell dir mal vor, Eltern, insbesondere Väter, würden sich unter der Woche in der Schule gleich verhalten wie am Wochenende bei sportlichen Wettkämpfen. Im Klassenzimmer wäre die Hölle los. «Multiplizieren jetzt! Looos! Lös’ die Gleichuuung!» – «Vor und nach dem Relativsatz steht ein Kommaaaaaaaa!» – «Ey, Lehrerin, wie lange noch?»

Während kaum ein Elternteil auf die Idee kommt, dass der Sohn oder die Tochter auf dem besten Weg zur Mathe-Professur ist, weil das Kind unfallfrei das Einmaleins beherrscht, sieht es im Sport ganz anders aus. Speziell in Disziplinen, die eine Karriere versprechen, bricht der elterliche Ehrgeiz ungeniert durch. Es könnte ja was Grosses draus werden. So wie bei Frank Lampard, der als Fussballer ein Projekt seines Vaters war.

Ich habe das Trauerspiel auf Sportplätzen aus drei verschiedenen Perspektiven beobachtet: Als Kind, als Trainer und als Vater. Bei Teamkameraden, am Rande von Turnieren und in anderen Vereinen. Zum Glück verhält sich die Mehrheit der Eltern korrekt. Es ist wie meist eine kleine, aber laute Minderheit, die Probleme macht und damit nicht nur dem eigenen Kind das Wochenende versaut.

Die Spezies, die vom Spielfeldrand oder der Tribüne aus coacht und Trainerinnen oder Trainer übertönt; die stets mit einem Fuss im Feld steht, wenn der Veranstalter keine klaren Grenzen zieht; die verunsicherte Kinder nicht aufbaut, sondern stumpf anbrüllt; die Kreativität und Spielfreude erstickt, weil in ihren Augen nur der Sieg zählt.

Gewinnen wollen die Kinder von alleine. Sie müssen aber auch lernen, damit umzugehen, dass das nicht immer klappt. Und dabei sollten die Eltern helfen.

Raum für Entspannung bieten

Es ist nicht immer leicht, zuzuschauen, wenn du emotional involviert bist. Doch auch wenn du brav am Rand gestanden und mitgefiebert hast, wartet noch eine Herausforderung auf dich: Der verletzliche Moment, in dem du wieder mit deinem Kind alleine bist. Häufig findet dieser Moment im Auto statt. Wenn die Tür geschlossen, die Aussenwelt ausgesperrt und ein Gespräch fast unumgänglich ist. Es gibt sogar eine aktuelle Studie, die sich mit dieser Situation befasst und die Gespräche zwischen britischen Tennistalenten und ihren Eltern auf der Heimfahrt analysiert.

Wenig überraschend kam unerbetene Kritik gar nicht gut an, während vom Kind initiierte Gespräche zu vertieften Unterhaltungen auf Augenhöhe führten. Während empathische Eltern dem Kind Raum geben und vorsichtig ergründen, wie es um das Seelenleben des Nachwuchses bestellt ist, heisst es bei anderen: Tür zu, jetzt rede ich. Und das ist, unabhängig vom sportlichen Ergebnis, selten schön fürs Kind.

Bist du zufrieden???

Eine dieser Szenen hat Thierry Henry eindrücklich beschrieben. Der ehemalige französische Weltklasse-Fussballer hatte einen dieser Väter, die nie zufrieden waren. Der ihm bei Geburt schon eine Weltkarriere prophezeite und später als höchste Instanz am Spielfeldrand stand, um sein Urteil zu fällen. So eine Szene aus seiner Kindheit schildert Henry in diesem Podcast.

Ein Jugendspiel ist vorbei und der Vater, dessen Körpersprache der junge Thierry selbst auf dem Feld immer im Blick hat, ist spürbar geladen. Die Autotür fällt ins Schloss. «Bist du zufrieden?», fragt der Vater. Thierry, unsicher, was er antworten soll, sagt zögerlich «ja». Ein Fehler, wobei es wohl keine richtige Antwort gegeben hätte. Die übrige Fahrt hält ihm sein Vater jede kleine Spielszene vor, die seiner Meinung nach nicht optimal gelaufen ist. Zuhause fragt die Mutter den niedergeschlagenen Thierry: «Habt ihr verloren?» Antwort: «Nein, wir haben 6:0 gewonnen – und ich habe sechs Tore geschossen.»

Die falschen Vorbilder

Eltern spielen im Sportleben ihrer Kinder eine grosse Rolle. Und es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen dazu, welches Verhalten motivierend und förderlich ist. Die Kinder sollten selbstbestimmt Sport treiben und positiv begleitet werden. Doch leider gibt es einige elterliche «Vorbilder», die ihre Kinder erfolgreich in die Weltspitze getriezt haben. Thierry Henry gehört zu den 0,0001 Prozent, bei denen die Rechnung des Vaters auf den ersten Blick aufgegangen ist.

Fühlen sich die Kinder selbstbestimmt, bleiben sie ihrem Hobby länger treu.
Fühlen sich die Kinder selbstbestimmt, bleiben sie ihrem Hobby länger treu.

Erfolg, Geld und Ruhm überstrahlen nach aussen alles. Die Depressionen, der Dauerdruck und die Selbstzweifel bleiben unsichtbar. Schon gar nicht die der anderen 99,9999 Prozent, die es nie so weit geschafft haben und einfach nur an fremden Erwartungen zerbrochen sind. Die als Kind kein Hobby haben durften, sondern eine Mission erfüllen sollten.

Oder ihren Sport gehasst haben wie Andre Agassi. Er hat ihn sich nicht mal selbst ausgesucht. Weil er, genau wie seine spätere Frau Steffi Graf, vom Vater getrieben wurde. In seiner Biografie beschreibt er, wie sich die beiden Männer, stramm auf die 70 zugehende Überväter, bei ihrer ersten Begegnung im Streit um die besten Trainingsmethoden fast prügelten.

Tiger Woods, die Ball-Brüder aus der NBA mit ihrem exzentrischen Vater LaVar oder die Williams-Schwestern, deren Vater sogar fremde Kinder dafür bezahlte, seine Töchter während des Trainings aufs Übelste zu beleidigen. Das sind nur einige Beispiele von Karrieren, die sich Eltern für ihre Kinder in den Kopf gesetzt hatten.

Vom Vater früh auf Erfolg getrimmt: Serena und Venus Williams.
Vom Vater früh auf Erfolg getrimmt: Serena und Venus Williams.
Quelle: Leonard Zhukovsky/Shutterstock

Die Liste ist lang genug, um etliche Nachahmerinnen und Nachahmer auf den Plan zu rufen. Das mag sich in einem von einer Million Fällen auszahlen, zumindest finanziell. Seelische Narben bleiben bei allen.

Das Selbstwertgefühl nicht an die Leistung knüpfen

Die meisten Wettkämpfe finden auf einem Level statt, das keine Weltkarriere erwarten lässt. Und doch führen sich manche Eltern so auf, als wäre ein Spiel alles, was wirklich zählt. Sie sollten sich überlegen, ob es wirklich eine gute Idee ist, das Selbstwertgefühl eines Kindes an seine sportliche Leistung zu knüpfen. Kinder stark machen heisst, ihr Selbstvertrauen aufzubauen. Was wiederum nicht bedeutet, kritiklos alles zu bejubeln, was der Nachwuchs anfasst.

Ein Wettkampf ist immer sehr emotional, weil Erfolg und Misserfolg, Über- und Unterlegenheit, Fairness und fieses Verhalten vor aller Augen sichtbar werden. Deshalb lässt sich im Sport so viel fürs Leben lernen, wenn man die richtige Balance im Umgang damit findet. Wie die Unterstützung gelingen kann, lässt sich zum Beispiel auf der Seite von Swiss Olympic nachlesen:

  • Dem Kind unabhängig von der sportlichen Leistung Wertschätzung entgegenbringen.
  • Rückmeldungen sollten sachlich geäussert werden.
  • Ich-Botschaften für Beobachtungen und Eindrücke verwenden.
  • Konkret sein, sodass das Kind nachvollziehen kann, warum die Eltern stolz sind.
  • Positiv bleiben und daran denken, dass es schwierig, ist Kritik einzustecken.
  • Dem Kind zuhören und Raum geben, eigene Eindrücke zu schildern.
  • Das Kind bei Bedarf trösten und Unterstützung bieten.

Ich habe gelernt: Es ist gar nicht wichtig, was mir beim Zuschauen durch den Kopf gegangen ist. Es ist wichtig, zu verstehen, was die Kinder bewegt hat. Denn das sind nicht selten ganz andere Themen.

Titelbild: Shutterstock/athichoke pim

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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