
Hintergrund
«Als Visagistin habe ich viel Abfall produziert – dahinter konnte ich irgendwann nicht mehr stehen»
von Natalie Hemengül
Ein Interview, das zum Scheitern verurteilt ist, nimmt mitten im Gespräch eine überraschende Wendung. Über Schminktipps und die Job-Beichte von Make-up Artist Caroline Madison.
Caroline Madison wirkt zurückhaltend, als ich sie in der Lobby eines Pariser Hotels treffe. Überraschend für jemanden, der seine Brötchen nicht nur als Make-up Artist, sondern auch als (Akt-) Model verdient. Die Französin mit asiatischen Wurzeln lässt sich in den bequemen Plüschsessel fallen, wirft ihre rot gefärbte Wallemähne aus dem Gesicht und schaut mich mit einem festen und gleichzeitig leicht gelangweilten Blick an. Während unseres Gesprächs werde ich das Gefühl nicht los, dass sie eigentlich gar keine Lust auf dieses Interview hat. Ist das, was ich für Zurückhaltung gehalten habe, reines Desinteresse? Mir fehlt das Feuer in ihren Augen, die Leidenschaft für das, was sie tut. Bis ich den Grund dafür erfahre.
Du lebst den Traum vieler. Wie ist dir der Sprung in die Modebranche geglückt?
Caroline Madison, Make-up Artist und Model: Das war ein Zufall. Vor zehn Jahren sprach mich ein Fotograf auf der Strasse an. Damals hatte ich keinerlei Interesse und lehnte dankend ab. Als ich ein Jahr später erneut «gescoutet» wurde, wollte ich dem Ganzen eine Chance geben. Meine Leidenschaft fürs Make-up ist hingegen schon als kleines Kind entfacht. Als ich bei diversen Modelaufträgen am Set mit Visagisten ins Gespräch kam, realisierte ich, dass ich mich nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera wohlfühle. Mein erstes professionelles Make-up-Kit kaufte ich mir vor sechs Jahren.
Habe ich das richtig verstanden: Du hast keine Make-up-Schule besucht?
Genau. Ich habe mir alles selbst beigebracht und viel geübt, an mir und an Mannequins. Weil ich selbst modle, habe ich ein gutes Netzwerk, auf das ich zurückgreifen konnte. Das hat vieles vereinfacht. Als ich die ersten Editorials als Make-up Artist realisiert und somit die ersten Bilder für mein Portfolio zusammen hatte, erstellte ich eine Website und kontaktierte Fotografen. Je mehr ich auf Social Media postete, desto mehr Aufträge zog ich an Land.
Inwiefern zeigte sich in jungen Jahren deine Leidenschaft für Schminke?
Mich fasziniert nicht das Produkt per se, sondern das Spiel mit den Farben, das Berühren von Texturen. Als Fünfjährige schlich ich mich ins Bad und schnupperte heimlich am Lippenstift meiner Mutter. Lippenstifte waren damals stark parfümiert. Den Duft habe ich immer noch in der Nase. Das hätte ich stundenlang tun können. Da ich eine katholische Privatschule besuchte, wo striktes Make-up-Verbot galt, schminkte ich mich erst in der Mittelschule. Mein erstes Produkt war ein Wangenrouge von Chanel.
Alle schreien nach Naturkosmetik. Kannst du weitere Wandel in der Branche erkennen?
Heute besitzt jeder einen Make-up-Pinsel. Das war vor zehn Jahren noch anders. Teenager besitzen bereits ein Profi-Make-up-Kit und ein Arsenal an Schminke. Dieser Generation und Social Media haben wir es zu verdanken, dass sich heute fast jedes Mädchen als Make-up-Guru bezeichnet. Das macht die ganze Branche kaputt, da ein guter Visagist viel Übung und Engagement braucht. Es reicht nicht aus, wenn du dich bloss beim Schminken filmst und das Video anschliessend postest. Zudem lancieren Kosmetikmarken viel zu viele Produktneuheiten. Der Verbrauch ist ins Unermessliche gestiegen. Das ist nicht nur für die Haut, sondern auch für die Umwelt schädlich.
Du bist kaum geschminkt. Trägst du privat Make-up oder hast du in deiner Freizeit die Schnauze voll?
Ich schminke mich täglich. Je älter ich aber werde, desto mehr Wert lege ich auf meine Gesichtspflege. Zudem esse und lebe ich gesund. Früher habe ich jeden Tag eine Flüssigfoundation aufgetragen. Das mache ich heute nicht mehr.
«Green Beauty? Das wahre Grün steckt in Gemüse.»
Wie sieht denn deine Gesichtspflegeroutine aus?
Die Ernährung spielt zu 70 Prozent eine Rolle. Die restlichen 30 sind von deinem Lifestyle abhängig. Regelmässige Gym-Besuche machen den Unterschied. In Sachen Ernährung setze ich bewusst auf Bio-Lebensmittel, esse viel Obst, Algen und Gemüse. Zudem trinke ich Grüntee. Auf Milchprodukte verzichte ich, so gut es geht. Je schöner meine Haut ist, desto weniger Make-up benötige ich. Green Beauty? Das wahre «Grün» steckt in Gemüse.
Als Schminkprofi kannst du unseren Lesern sicher einen Quick-Make-up-Tipp geben?
Wenn du es eilig hast, benötigst du zwei Dinge: Eine BB Cream und etwas Rouge. Hast du noch einige Sekunden übrig, dann kommt noch eine Wimperntusche zum Zug.
Die passende Make-up-Nuance zu finden, ist aber gar nicht so einfach.
Im Idealfall hast du zwei Töne zur Hand: Einen «dunklen» für den Sommer und einen etwas helleren für die Wintermonate. Trage die Foundation im Laden nicht auf den Handrücken auf – diesen Fehler machen viele Laien –, sondern auf den Übergang vom Gesicht zum Hals. Optional kannst du die Nuance auch auf die Innenfläche deines Arms auftragen. Sobald dein Gesicht nicht dieselbe Farbe wie dein Hals hat, wirkt das Ganze maskenhaft und unnatürlich.
Dein Tipp für das Auftragen eines Lippenstifts?
Das A und O sind gut durchfeuchtete Lippen. Dazu gehören Peelings, die deinen Mund von toten Hautschüppchen befreien. Entweder trägst du als Base einen Puder oder eine Lippenpflege auf. Bei einem matten Lippenstift empfehle ich dir einen Lipbalm. Bei einer cremigen Textur rate ich dir hingegen zu einem Puder als Vorbereitung. So haftet der Lippenstift länger.
Und für den perfekten Lidstrich?
Das klappt am besten mit einem Pinsel mit abgeschrägter Spitze und einem Gel-Eyeliner aus dem Töpfchen. Zieh damit eine feine Linie entlang des Wimpernkranzes. Damit liegst du nie falsch. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Darum heisst's: üben, üben, üben. Hilfreich sind auch Eyeliner-Tapes.
Ein Tipp für voluminöse Wimpern?
Ich benutze verschiedene Mascaras, je nach Bedürfnis. Von falschen Wimpernkränzen lasse ich die Finger, da ich beim Schminken die natürliche Augenform betonen will. Das höchste der Gefühle sind einzelne Fake-Wimpernhärchen, die ich bei feinen oder ganz kurzen Wimpern individuell platziere. Wenn du eine gute Mascara aufträgst, brauchst du keine spezielle Technik. Mein derzeitiger Liebling ist die «Better Than Sex Mascara» von Too Faced. Bei einem beschränkten Budget lege ich dir die Wimperntuschen von L’Oréal Paris ans Herz.
Schwörst du auf ein Beautylabel oder verwendest du bei deiner Arbeit verschiedene?
Ich bevorzuge Brands, die es (noch) nicht in Frankreich gibt. Auf Auslandsreisen stosse ich immer wieder auf Produkte, die mich preislich und qualitativ überzeugen. Ich bevorzuge Marken, die vegan sind und nicht an Tieren getestet werden. Wobei, vegan bedeutet heute ja gar nichts mehr. Die Marke Zoeva hat mich überzeugt, da die Verpackungen aus alten Kartonschachteln hergestellt werden. Das ist mir ein grosses Anliegen, da ich Plastik, wenn möglich vermeide. Ausserdem brauche ich jedes Make-up-Produkt bis zum bitteren Ende auf. Wenn jemand Pseudo-Naturkosmetik vermarktet, diese aber Plastikmüll verursacht, macht das keinen Sinn. Gerade in Zeiten wie diesen, wo Kunststoff die Meere verschmutzt und Tiere tötet. Wenn ich allen eine Botschaft mitgeben darf: Hört mit der Verschwendung auf. Vieles braucht ihr nicht, da es überflüssig ist. Ein Rotton in deinem Make-up-Kit reicht vollkommen aus. Du brauchst nicht zehn verschiedene Schattierungen davon.
Endlich erkenne ich die Leidenschaft, das Flackern in Carolines Augen. Ich atme innerlich erleichtert auf, da ich kurz davor war, das Handtuch zu schmeissen. So desinteressiert und mundfaul war noch keiner meiner Gesprächspartner, wenn’s um die eigene Arbeit geht. Erst jetzt wird mir klar, dass die Visagistin gerne spricht. Sehr gerne sogar. Dabei will sie aber nicht auf Make-up-Themen oder ihren Job reduziert werden, sondern über Dinge reden, die ihr am Herzen liegen. Dinge, die sie bewegen. Ich bin positiv überrascht, denn so ehrlich hat mir noch kein Make-up Artist geantwortet. Eine Win-win-Situation.
Das klingt frustriert!
Ja, je länger ich in dieser Branche tätig bin, desto mehr realisiere ich, wie nutzlos mein Job ist. Ich liebe, was ich mache. Das steht ausser Frage. Es leistet aber keinen Beitrag zur Gesellschaft. Im Gegenteil, es fördert den Konsum. Das macht mich unglücklich. Es macht zwar optisch schöner, schadet aber der Umwelt. Zudem bringt es die Leute nicht zum Nachdenken.
Willst du etwas daran ändern?
Ich bin unschlüssig. In letzter Zeit habe ich das Schreiben für mich entdeckt. Vielleicht werde ich eines Tages einen Blog ins Leben rufen. Darin werde ich die unschönen Seiten der Kosmetikindustrie beleuchten. Da ich sehr an den chemischen Komponenten von Kosmetika interessiert bin, könnte der Fokus auch auf Inhaltsstoffen liegen. Immer mehr Brands nennen sich vegan, obwohl nichts dahintersteckt. Wenn das Produkt in einer Plastikverpackung steckt, kann ich das Ganze nicht ernst nehmen. Denn sobald das Produkt aufgebracht ist, landet es im Meer und schadet dem Ökosystem. Das ist alles andere als durchdacht. Es gibt noch so viel zu diesem Thema zu sagen. Darum möchte ich darüber schreiben. Mein Job in der Modebranche hat mich intellektuell kein Stück weitergebracht. Im Gegenteil: Er macht mich dumm.
Du gehst ganz schön hart mit dir ins Gericht!
Ich bin stolz auf meine Arbeit, nur füllt sie mich langfristig nicht aus. Dieses Manko muss ich mit Schreiben kompensieren. Ich sehe mir viele investigative Dokumentationen über die Schattenseite der Modebranche an. Viele Models sind unterbezahlt und müssen bei Castings stundenlang ausharren. Die Arbeitsbedingungen sind unter aller Sau. Daraus schlägt man Profit. Das muss thematisiert werden und nicht nur das Glamouröse der Branche. Zugegeben, das mache ich mit meinen Instagram-Posts auch. Obwohl es nicht die Art ist, wie ich denke.
Machst du das in Zukunft anders?
Jedes Mal, wenn ich mich negativ äussere, verliere ich auf Instagram Follower. Das Problem ist, dass ich meinen Job und die Leute um mich herum liebe. Ich muss mich damit abfinden, dass mir gewisse Menschen aus der Branche wahrscheinlich den Rücken kehren werden, wenn ich ehrlich bin. So weiss ich immerhin, wer meine wahren Freunde sind.
Wenn ich mal nicht als Open-Water-Diver unter Wasser bin, dann tauche ich in die Welt der Fashion ein. Auf den Strassen von Paris, Mailand und New York halte ich nach den neuesten Trends Ausschau und zeige dir, wie du sie fernab vom Modezirkus alltagstauglich umsetzt.