
Hintergrund
«Briket»: Ein Möbelstück voller Überraschungen
von Pia Seidel
Wissenschaftler arbeiten an Hochschulen wie der ETH Zürich mit Hochdruck an innovativen Retorten-Materialien, die die Modeindustrie in Zukunft nachhaltiger machen sollen.
Was lange währt, wird (hoffentlich) endlich gut. Der Klimawandel führt auch in der Fashion-Branche zu einem Umdenken. Langsam aber stetig wagt sie sich an Neues heran. Neues, das dank technologischer Fortschritte möglich ist. Neben umweltschonenderen Produktionsmethoden stehen nachhaltige Materialien aus dem Labor im Fokus. Sie sind nicht nur nachhaltig, sondern sollen auch der Schlüssel zu einem geringeren CO2-Fussabdruck der Modeindustrie sein. Neben aus Schweiss gefertigten Accessoires, und Kleidungsstücken, die mit Bakterien gefärbt werden, klingen auch Pilzkulturen und ein Bio-Schaumstoff erfolgversprechend.
Ein Vorreiter in Sachen Retorten-Leder ist Bolt Threads mit Sitz in San Francisco. Bereits im Jahr 2009 legte das Start-up den Grundstein für die Entwicklung nachhaltiger Materialien. Mehrere Entwicklungsjahre und einige Finanzspritzen später stellte das Biotech-Unternehmen vor zwei Jahren erstmals «Mylo» vor: Ein veganes Leder, das gegerbter Tierhaut in Sachen Haptik und Optik zum Verwechseln ähnlich ist.
Mylo basiert auf Myzel, die Wurzelstruktur von Pilzen. Bolt Threads kultiviert im Labor Zellen dieses Pilzgeflechts auf organischen Materialien wie Sägemehl. Nach rund ein bis zwei Wochen fügt es sich zu Lederähnlichen Material zusammen. Weil sich die Oberflächenstruktur beliebig züchten lässt, können die Forscher damit auch Krokodil- und Schlangenleder nachbilden.
Das Start-up hat gerade bekannt gegeben, dass es mit diversen Luxus- und Sportmarken gemeinsame Sache macht: Labels wie Adidas und Stella McCartney bringen 2021 die ersten Produkte aus Mylo auf den Markt. Die Rede soll von mehreren hundert Millionen Quadratmetern des veganen Leders sein, die zu nachhaltigen Kleidungsstücken und Accessoires verarbeitet werden.
Auch das New Yorker Biotech-Unternehmen Modern Meadow arbeitet an einer veganen Lederalternative. Weil Kollagen die Basis des tierischen und menschlichen Bindegewebes ist, züchten die Forscher ein Kollagen produzierendes Gen aus Hefe. Diese wird wie beim Bierbrauen fermentiert. Daraus wird «Zoa» gezüchtet, ein flüssiges und individuell formbares Bio-Leder, das nach der Reinigung und Gerbung wie Echtleder aussieht.
Mittlerweile haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass auch pflanzliche Proteine, wenn sie modifiziert werden, ähnliche Eigenschaften wie Hefe besitzen. «Customize» lautet das Zauberwort: Je nach gewünschter Dehnung, Farbe und Materialstärke des Endprodukts, wählt Modern Meadow vorab den passenden Baustein aus.
Dank dieser Innovation müssen Kleidungsstücke künftig nicht mehr zusammengenäht werden, sondern lassen sich zusammenfügen. Das ermöglicht Designern, ihre Schnittmuster schon vor dem Nähen nach Bedarf zu gestalten und Materialüberschuss zu vermeiden. Das Start-up ist bereits mit diversen Modelabels in Verhandlung. Bis die Kooperationen spruchreif sind, dauert es allerdings noch einen Moment.
Noch in den Kinderschuhen steckt auch das Projekt der ETH Zürich. Die Hochschule will mit einem neuartigen Verfahren einen Retorten-Schaumstoff aus organischem Müll produzieren. Die Schwierigkeit liegt bei Schaumstoffalternativen darin, dass ein Kunststoff erst durch die Zugabe eines Treibmittels und unter starker Hitzeeinwirkung aufschäumt. Nur so wird Schaumstoff elastisch. Da Bioabfall hitzeempfindlich ist, ist es schwierig, das Endprodukt elastisch hinzubekommen. Abhilfe schafft ein neuartiges Treibmittel, bestehend aus Wasser und Gas, das auch bei tiefen Temperaturen aufschäumt und so der Schlüssel zu einem nachhaltigen Bio-Schaumstoff ist.
Noch sucht die ETH Zürich nach künftigen Partnern, um das Pilotprojekt zu realisieren. Das Material eignet sich zum einen für Verpackungsmaterial und zum anderen für die Schuhbranche. Mit der Materialinnovation lassen sich nämlich nachhaltige Sohlen und Flip-Flops produzieren. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Paradigmenwechsel in der Textilherstellung langfristig durchsetzt und so aus einem Tropfen bald ein Regenschauer auf dem heissen Stein wird. Und im Fall von Flip-Flops aus Plastik das Tragen künftig nicht mehr ein «Walk of Shame» ist.
Wenn ich mal nicht als Open-Water-Diver unter Wasser bin, dann tauche ich in die Welt der Fashion ein. Auf den Strassen von Paris, Mailand und New York halte ich nach den neuesten Trends Ausschau und zeige dir, wie du sie fernab vom Modezirkus alltagstauglich umsetzt.