Meinung

O Tannenbaum

Es ist ein emotionales Thema, das mit dem Weihnachtsbaum. Gross, klein, künstlich, echt, gar keiner – jede Familie besteht auf eine andere Tradition. Sogar Katzen werden miteinbezogen.

Bei Familie Teufelberger ist der Christbaum Dreh- und Angelpunkt in der heimischen Stube. Für meinen Vater gibt es nur eine wahre Sorte: die Nordmanntanne. Beim Verkäufer aus der Nachbarschaft lässt er alle Exemplare unter zwei Meter links liegen, zum Bedauern seiner Frau. Die wäre mit einem mickrigen Bäumchen durchaus zufrieden, hat sie doch in ihrer Jugend ganz gegen den Brauch gekämpft. Stichwort Waldsterben. Einmal in die Stube bugsiert, ist er Blickfang und Störfaktor zugleich. Er bringt eine gewisse besinnliche und ruhige Atmosphäre mit sich, die, Nadeln sei Dank, durch vermehrte Saugaktionen aber wieder zerstört wird. Auch als Stolperfalle eignet er sich hervorragend. Dabei kann rasch eine der filigranen Christbaumkugeln in Mitleidenschaft gezogen werden, was wiederum zu einem weiteren Staubsaugereinsatz führt. Trotzdem mögen wir ihn alle, denn er gehört nunmal dazu.

Plastik und Lametta

Es gibt aber ganz andere Typen. Was meinem Vater die Galle hochkommen lässt, ist für andere die perfekte Lösung: der Plastikbaum. Kollegin Natalie kannte echte Bäume lange nur aus Weihnachtsfilmen.

«Das Exemplar, das unsere Stube zierte, stand in starkem Kontrast zu dem, was ich in den Filmen zu sehen bekam: ein echter Baum, vom Stamm bis zur Spitze in ein durchdachtes Farbschma gehüllt und mit erlesener Deko verziert. Die Kerzen? So echt, dass die Feuerwehr mit dem Schlauch um die Ecke wartet. Oft habe ich mir gewünscht, dass auch neben meinen Geschenken Tannennadeln liegen würden. Stattdessen waren da Kabel und eine Zeitschaltuhr, die den bunten Lichtlein signalisierte, wann sie im Zusammenspiel mit der grosszügig gestreuten Lametta ihr Disco-Flair versprühen sollten. Heute haben wir einen echten Baum – ich habe ganze Überzeugungsarbeit geleistet. Nur die Idee mit den Kerzen hat bei meinen Eltern noch nicht so ganz gezündet.»

Auch Pia ist der Duft echter Tannennadeln unbekannt.

«Unser Weihnachtsbaum war tatsächlich einer der ersten aus Kunststoff. Lametta war ein Muss. Deshalb hatten wir keine Kerzen, sondern eine Lichterkette sowie stets eine Spitze auf der Baumkrone. Obwohl der Fake-Baum eine perfekte Form hätte haben müssen, war er genau wegen dieser Spitze leicht krumm. Der Baum wurde klassisch mit handgemachten Kugeln und maximal mit zwei Farben – entweder mit warmen Farben (Gold und Rot) oder mit kühlen (Blau und Silber) geschmückt. Nur selbst gebastelter Schmuck von meinem Bruder und mir hat es auf den Baum geschafft.»

So in etwa müssen die Bäume von Natalie und Pia ausgesehen haben.
So in etwa müssen die Bäume von Natalie und Pia ausgesehen haben.

Gross, grösser, Weihnachtsbaum

Michaels Kindheitserinnerungen dagegen klingen eher wieder wie meine eigenen. Auch den Restins kam kein mickriger Baum ins Haus.

«Die Geschenke gehören unter den Baum. Also muss ein grosser Baum her. Meine Meinung. Beziehungsweise meine verklärte Erinnerung aus Kindheitstagen, in denen Papa die jeweils grösstmögliche Nordmanntanne ins Wohnzimmer zu wuchten hatte. Erst, wenn die Spitze leicht gestutzt werden musste, damit der Strohstern noch unter die Decke passt, waren meine Schwester und ich wirklich zufrieden. Dort nadelte sie, dezent geschmückt mit Chrisbaumkugeln, Holz- und Strohanhängern unbedingt lamettafrei vor sich hin, bevor sie frühestens am 10. Januar vom Balkon fliegen durfte. Ein Baum bis zur Decke, der fast bis zur Verwesung stehen bleiben darf. Das ist der Goldstandard, den ich jahrzehntelang gewohnt war.»

Bei Michaels eigener Familie hat sich dieser Standard (noch) nicht durchgesetzt.

«Inzwischen sieht unser Tännchen trauriger aus, ein raumhoher Baum passt auf dem Weg in den Skiurlaub nicht in die Familienkarre. Und in die Ferienwohnung auch nicht. Deshalb habe ich mich in den letzten Jahren mit einer «Tanne to go» zufrieden geben. Erst war es ein kleiner Baum im Topf, der sogar mehrere Weihnachten erleben durfte. Dann nur noch ein geschmücktes Dekoteil aus Holz, das sich auffächern lässt und ein bisschen an einen Kleiderständer erinnert. Deshalb habe ich dieses Jahr das grösste Holzgerippe bestellt, das ich bei uns im Shop finden konnte. Es ist immerhin grösser als meine Kinder, aber immer noch eine Notlösung. Früher war vielleicht nicht mehr Lametta, aber deutlich mehr Baum.»

Achtung, Katze

Bei Raphael tut sich ein ganz anderes Problem auf, das nichts mit Grösse und Material zu tun hat. Sein Augenmerk liegt auf den Ästen.

«Die Tanne darf erst ab ca. 1.5 Metern Höhe Äste haben, alles andere muss weg – weil die Katze sonst nicht nur unter, sondern auch im Baum ihr Unwesen treibt. Früher hatten meine Eltern immer einen Baum, der Äste beinahe bis zum Boden hatte. Der war mit etlichen Kugeln behangen und stand auf unserem Boden, welcher wiederum mit schönem, güldenen Papier ausgelegt worden ist. Seit der Katze gibt’s kein Papier mehr, keine Geschenke unter dem Baum (die kommen ins Regal) und Schmuck, Kerzen etc. erst ab 1.5 Metern Höhe. Get a cat, they said. It’ll be fun, they said.»

Magic Mama

Auch bei Ramons Mama lautet das Motto: Go big or go home! Eine Tanne unter Deckenhöhe gilt bei ihr gar nicht als richtiger Christbaum. Damit diese Grösse tatsächlich jedes Jahr eingehalten werden kann, ist Kreativität gefordert.

«Meine Mama hatte immer den Drang, den grösstmöglichen Baum ins Wohnzimmer zu stellen. Keine Ahnung, wo sie dieses gigantische Ding jeweils aufgetrieben hat, geschweige denn, wie sie es nach Hause gebracht hat. Denn ihr Auto war winzig. Bedingung für den Baum: die Spitze muss die Decke berühren. War dies nicht der Fall, wurde der Baum auf einen Schemel gestellt. Auch bei der Deko verstand sie keinen Spass. Was bei meiner Mutter auf keinen Fall ging: die gleiche Farbe wie letztes Jahr. Oder vorletztes. Oder vorvorletztes. Jedes Jahr musste der Baum anders aussehen. Hunderte verschiedene Christbaumkugeln türmten sich in allen möglichen Farben und Formen im Keller. Mittlerweile könnte meine Mama damit ihr eigenes Dekogeschäft eröffnen.»

So, Ramon, hat deine Mama euren Baum nach Hause gebracht.
So, Ramon, hat deine Mama euren Baum nach Hause gebracht.

Alles nur geklaut

Simon und seinen Freunden hingegen könnte der Baumschmuck egaler nicht sein. Hauptsache sie ist schon dran.

«Vor 20 Jahren hatten wir ein DJ- und Hängerrüümli, das wir eines Abends verschönern wollten. Also haben wir spät nachts in der Stadt einen bereits geschmückten Baum vor einem Geschäft geklaut. Damit wir das Diebesgut auch anständig transportieren konnten, haben wir den fix fertigen Baum durch diese Baumverpackungsmaschine gezogen. Gut ins Netz gewickelt, konnten wir den Baum locker ins Rüümli tragen. Entsorgt haben wir ihn dann erst im nächsten Sommer. Klassisch versifft eben.»

Wie sieht’s in deiner Stube aus?

Jede Familie oder Freundesgruppe hat ihre ganz eigenen Spinnereien, wenn’s um den Weihnachtsbaum geht. Wirklich egal ist der Brauch den wenigsten. Luca und seine Freundin gehen sogar so weit, dass sie in stundenlanger Friemelarbeit ihre eigene Harry-Potter-Baumdeko basteln. Für ihren weissen Baum. Oma und Opa hingegen tauchen ihren echten Baum jährlich in Lametta und in Glitzerpapier verhüllte Pralinen. Ein Kindheitshighlight für mich und meine Schwester, vor allem, wenn eine Lindorkugel zum Vorschein kam. Andere Schokokugeln haben wir ab und zu wieder heimlich verpackt.

Und wie sieht Weihnachten bei dir aus? Hast auch du schöne Anekdoten rund um den Christbaum? Dann erzähle sie in der Kommentarspalte. Ich bin mir sicher, dass nicht nur meine Familie und die meiner Kollegen ihre Eigenheiten haben.

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Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.


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