Produkttest

Praller Ball: Die Sitz-Alternative zu Bürostühlen von der Marke Vluv im Test

Pia Seidel
29.8.2022

Dieser Gymnastikball von Vluv hat nicht viel mit Sport, sondern mit Arbeit zu tun. Zumindest bei mir. Denn «Bol» habe ich im Homeoffice als Alternative zum Bürostuhl getestet.

Eigentlich sollen alle guten Dinge ja drei sein. Drei Anläufe habe ich gebraucht, bis ich Anfang Sommer wieder einen ordentlichen Kopfsprung machen konnte und ebenfalls drei Versuche dauerte es, bis mir ein geniessbarer Cold Brew gelungen ist. Nur bei der Suche nach einem geeigneten Bürostuhl für mich haben drei Tests noch nicht ausgereicht. Bei allen hat mir etwas gefehlt. Entweder gewisse Einstellmöglichkeiten oder das nötige Kleingeld. Deshalb gehe ich jetzt mit einem weiteren Modell in die vierte Runde. In den Kommentaren meiner Testberichte habt ihr mir zu einem Sitzball geraten und auch ein konkretes Design erwähnt: den «Bol» der Marke Vluv.

«Bol» ist ein Gymnastikball, der alles andere als sportlich aussieht. Er versteckt den klebrigen Kunststoff unter einem Stoffbezug, damit er als Möbelstück glänzt und mit der Einrichtung harmoniert.

Um herauszufinden, ob auch ich mit dem Sitzball eins werde, bestelle ich mir das mittlere Modell «Sova» in der Farbe «Pesto» ins Arbeitszimmer. So kann ich es ausprobieren und mit den drei Vorgängern vergleichen. Dabei werde ich weniger wie eine Wissenschaftlerin und mehr wie eine Ästhetin vorgehen.

Zusammenbau und erster Eindruck

Wer den Ball als Sitzgelegenheit nutzt, soll laut Vluv vor allem seine Körpergrösse beachten. Da ich 174 cm gross bin, habe ich für meinen Test den Durchmesser 65 cm gewählt, der sich für circa 155 bis 180 cm grosse Menschen eignet. Wer kleiner oder grösser ist, hat zwei weitere Ballgrössen zur Auswahl – 55 oder 75 cm. Für diese Modelle wird ein höhenverstellbarer Schreibtisch empfohlen, damit du dir einen ergonomischen Sitzplatz gestalten kannst. Für meine Grösse ist mein Tisch mit einer Höhe von 74 cm perfekt.

Als «Bol» ankommt, freue ich mich über die kompakte Grösse. Ballhülle, berstsicherer Innenball, Anleitung, Handpumpe und Zubehör passen in eine einzige Baumwolltasche.

Im Lieferumhang ist alles enthalten, was du brauchst.
Im Lieferumhang ist alles enthalten, was du brauchst.
Obendrein gibt's ein Ersatzventil für den Fall aller Fälle.
Obendrein gibt's ein Ersatzventil für den Fall aller Fälle.
Quelle: Pia Seidel

Den Innenball hätte ich sicher in fünf Minuten aufgepumpt, wenn da nicht zwei Zwischenschritte gewesen wären. In der Anleitung heisst es, dass der Innenball nach dem Auspacken erst mal circa zwei Stunden bei Raumtemperatur ausgebreitet liegen soll, bevor ich mit dem Aufpumpen starte. Also warte ich geduldig und stecke den Ball nach der abgelaufenen Zeit in den Stoffbezug. Das gelingt mir dank einfacher Erklärung ohne Weiteres, sodass ich gleich die Handpumpe zentriert ansetzen und mit dem Aufpumpen beginnen kann. Ab und zu mache ich zwar eine Pause, aber der Krafteinsatz hält sich in Grenzen.

Nachdem du den Innenball zwei Stunden links liegen gelassen hast, kann's losgehen.
Nachdem du den Innenball zwei Stunden links liegen gelassen hast, kann's losgehen.
Beim Aufpumpen ist wichtig, dass die Ventilöffnung mittig zu den beiden Reissverschlusshälften ausgerichtet ist.
Beim Aufpumpen ist wichtig, dass die Ventilöffnung mittig zu den beiden Reissverschlusshälften ausgerichtet ist.
Quelle: Pia Seidel

Der Ball entfaltet sich auf Anhieb korrekt, nur füllt er die Hülle nicht vollständig aus. Das liegt laut Vluv zum einen daran, dass der PVC-Innenball produktionstechnisch immer kleiner als die Stoffhülle ist. Zum anderen traue ich mich nicht, «Bol» weiter aufzupumpen. Was, wenn er platzt? Wenn jemand unsicher ist wie ich, rät Vluv dazu, «Bol» zwei bis drei Stunden mit dem grossen Ventilverschluss ruhen zu lassen und erst dann weiter zu pumpen. Diesmal liegt die Verzögerung also an mir, aber es lohnt sich. Später pumpe ich weiter drauflos und in weniger als einer Minute ist der Ball prall.

Obwohl der Innenball sich hier bereits prall angefühlt hat ...
Obwohl der Innenball sich hier bereits prall angefühlt hat ...
...hatte er erst nach erneutem Pumpen genügend Luft.
...hatte er erst nach erneutem Pumpen genügend Luft.
Quelle: Pia Seidel

Dass ich zunächst gezögert habe, hat etwas Gutes: Ich weiss jetzt, dass das erneute Öffnen und Schliessen des Ventils kein Ding ist. Wenn «Bol» einmal Luft verlieren sollte, könnte ich ihn problemlos wieder aufpumpen.

Funktionalität: Erster Tag

«Bol» sieht wie ein Möbelstück aus, wird mich aber sicher fitter als mein Sofa halten. Beim ersten Probesitzen wippe ich auf und ab und bin erstaunt, dass ich nicht wegrolle. Der Ball bewegt sich erst einige Zentimeter, wenn ich besonders schnell aufstehe. Dank der zusätzlichen Ringnaht auf der Unterseite bleibt er meistens an Ort und Stelle. Wen das bisschen Bewegung stört, der kann ein Gewicht für den Boden ergänzen, damit der Ball garantiert jedes Mal wieder wie ein Stehaufmännchen in seine Ursprungsposition zurück rollt.

Ein Kunststoff-Nahtring verhindert, dass der «Bol» ins Rollen kommt.
Ein Kunststoff-Nahtring verhindert, dass der «Bol» ins Rollen kommt.
Mit der Lasche hast du den Sitzball schnell im Griff.
Mit der Lasche hast du den Sitzball schnell im Griff.
Quelle: Pia Seidel

Welchen Bürostuhl ich mir an meinen Arbeitsplatz hole, hängt stark von der Ästhetik ab. In diesem Punkt schiesst der Ball bei mir ein Tor. Kugeln sind zeitlos und lockern rechte Winkel von Räumen auf. Und auch der mattgrüne Stoffbezug fügt sich nahtlos in mein Interieur ein. Er fühlt sich angenehm an und hat ein zartes, dekoratives Muster durch die Ziernähte. Ein kleines Downgrade in Sachen Optik ist das weisse Logo auf dem Griff. Es stört die vollkommene Kugelform und betont die Lasche, die ansonsten fast untergehen würde.

Nach zwei Wochen im Gebrauch

Unter den drei Modellen, die ich bereits getestet habe, war ein Modell mit Rückenlehne und Sattelsitz: der Håg Capisco 8106, eines mit Rückenlehne, aber keinem Sattelsitz Håg Futu Mesh und eines ohne alles: der Pendelhocker to-swift. Letzterer hat mich bereits darauf vorbereitet, lange ohne Rückenlehne zu sitzen. Der Sattelsitz-Stuhl hat mich hingegen dazu gebracht, ohne Beineüberschlagen auszukommen. Auch «Bol» diszipliniert mich, aufrecht und breitbeinig zu sitzen. Ich kann die Beine schon überkreuzen. Nur ist es doppelt so schwer in dieser Haltung die Balance zu bewahren und zu wippen.

Wie bei dem Pendelhocker fördert das ständige Ausbalancieren meine Konzentration, aber es fordert auch meine Ausdauer: An manchen Tagen sehne ich mich nach einer Rückenlehne. Um Kraft zu tanken, setze ich mich dann für eine Weile aufs Sofa oder den Esszimmerstuhl. Danach kann ich gut auf dem Ball weiterarbeiten. Wie stark mein Rücken durch das «Ausdauertraining» mit «Bol» geworden zu sein scheint, merke ich vor allem nach der Arbeit: Während Freunde sich beim Feierabendtreff über die fehlende Rückenlehne in einer Bar beschweren, wippe ich nur vergnügt auf dem Hocker hin und her und sitze dabei mühelos gerade.

Der Vorteil von fehlenden Features wie Rücken- oder Armlehnen ist, dass «Bol» nach getaner Arbeit mit einem Stoss unter dem Tisch verschwindet. Oder, dass ich ihn dank seines Fliegengewichts abends ins Wohnzimmer mitnehmen kann, wo er als Fussablage dient oder als zusätzliche Sitzgelegenheit genutzt wird, wenn Besuch kommt. Der Nachteil ist, dass ich seine Höhe nicht verstellen kann, um an anderen Tischen zu arbeiten und ich mich nie mal während eines Meetings zurücklehnen kann.

Material, Pflege und Produktion

Vluv wurde 2009 von Kristof Hock gegründet, der mehr aus den unansehnlichen Gymnastikbällen machen wollte. Heute sind Entwicklung, Design und Vertrieb in der Nähe von Köln, die Produktion ist in Asien. Das Unternehmen bietet einzelne Ersatzteile wie die Handpumpe zum Nachbestellen sowie zusätzlichen Service auf ihrer Webseite an. Mein Modell besitzt die wollweiche Stoffhülle namens «Sova», die besonders scheuerfest sein soll und die es in vier Farben gibt. Sie kann bei 30 Grad in der Maschine gewaschen werden, wenn mal was daneben geht. Für Möbel gelten Stoffe mit 40 000 Scheuertouren als oberste Qualitätsgrenze. «Sova» hat 60 000 Scheuertouren. Deshalb ist er zu Hause sowie in Grossraumbüros eine gute Wahl.

Die Hülle besteht aus einem wasserabweisenden Material.
Die Hülle besteht aus einem wasserabweisenden Material.
Quelle: Pia Seidel

Das einzige, was ich in den zwei Wochen verschütte, ist Wasser, das an der griffigen Polyesteroberfläche abperlt. Nur Fussel bleiben am Sitzball hängen. Dafür genügt es aber, einmal darüber zu bürsten, um sie zu entfernen. Die Ballhülle gibt’s ansonsten auch in weiteren Stoffen, die weniger Fusselmagneten und sicher Hingucker sind: Fake-Leder, Leinen, Schlingenstoff, Samt oder Wollfilz.

Fazit: Trotz Balancieren im Sitzen fehlt der Ausgleich

Ich glaube immer noch daran, dass manchmal alle guten Dinge drei sind. CediMoustache, marcroth oder dr3izehn – alle drei Community-Mitglieder haben unter meinen vergangenen Testberichten kommentiert, wie happy sie mit einem Sitzball sind und ich bin froh, dass ich auf sie gehört habe: Der Test von «Bol» hat mir wieder einmal gezeigt, wie toll aktives Sitzen für die Konzentration und die Muskulatur ist. Und, dass Gymnastikbälle alles andere als einen Gym-Vibe versprühen müssen. Mit einem hübschen Stoffbezug glänzen sie im Arbeits- sowie im Wohnzimmer. Denn dank der kompakten Grösse und des geringen Gewichts ist der Sitzball schnell umplatziert. Auch der Preis spricht für «Bol». Mit knapp 120 Franken befindet er sich an der Untergrenze unseres Bürostuhl-Sortiments. Der Capisco kostet im Vergleich dazu bis zu 1400 Franken.

Doch obwohl «Bol» ein hübsches Alternativ-Sitzmöbel oder Freizeit-Sportgerät ist, bietet mir der Ball im Unterschied zu seinen Vorgängern weniger unterschiedliche Sitzmöglichkeiten. Wo ich beim Capisco mit oder ohne Lehne sowie mit der Rückenlehne vor der Brust sitzen konnte, habe ich hier nur eine Option: ohne Rückenlehne auszukommen. Ausserdem fehlt mir die Höhenverstellbarkeit, um mal in einem Steh-Sitz arbeiten zu können. Vielleicht wäre das Trainieren mit «Bol» eine Möglichkeit, den Sitzball vielseitiger einzusetzen. Aber ich will ihn als ergonomischen Ersatz für einen Bürostuhl nutzen. Da reichen mir die kleinen Bewegungen bei der Arbeit, um im Sitzen aktiv zu sein. Daher gebe ich ihn vorerst an eine Freundin weiter und teste als Nächstes ein fünftes Modell mit Lehne.

Bol macht in jedem Raum eine gute Figur und hilft dir, eine «gute Figur» im Sitzen zu bewahren.
Bol macht in jedem Raum eine gute Figur und hilft dir, eine «gute Figur» im Sitzen zu bewahren.
Quelle: Pia Seidel

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Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit. 


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