
Meinung
Warum ich heiss auf die EM bin
von Michael Restin
Ab Freitag ist Fussball-EM. Selten hat mich ein sportlicher Grossanlass so wenig interessiert, eigentlich noch nie. Ich schaue mir das nicht an.
Jetzt ist dann Fussball-EM. Oder Euro oder UEFA EURO 2020, die aber im 2021 stattfindet. Das muss ja anscheinend ganz korrekt geschrieben werden. Nicht, dass ich noch eine Busse von der UEFA aufgebrummt bekomme. Und wo findet das Ganze statt? Irgendwie überall und nirgends: von Glasgow bis Bukarest, von Bilbao bis Baku. Das ist die Hauptstadt von Aserbaidschan. Gehört das nicht zu Asien? Irgendwie ja und irgendwie nein. Der Kaukasus scheint so eine Art Zwischenwelt zu sein. Die Schweiz spielt in dieser am Samstag gegen Wales. Interessiert mich das? Irgendwie nicht. Die Lust auf Fussball ist mir nämlich vergangen.
Warum das so ist? Lass mich kurz Luft holen: Letzten Montag ist die Nati nach Baku geflogen. Nach dem Spiel gegen Wales fliegt sie dann nach Rom zum Mätschli gegen Italien, das also aus irgendeinem Grund, im Gegensatz zur Schweiz, zu einem Heimspiel kommt, um danach wieder zurück nach Baku zu fliegen, um gegen die Türkei zu spielen. Sollten sich die Schweizer Kicker fürs Achtelfinale qualifizieren, würden sie dann in London oder Amsterdam gegen Finnland oder Nordmazedonien, wahrscheinlich nach einem blutleeren Auftritt in einem halb leeren Stadion, 0:1 in der Verlängerung verlieren. So wie immer. Und dann zurück nach Feusisberg fliegen. War da nicht was von wegen Klimawandel und so? Irgendwie sinnlos, mehrmals um die halbe Welt zu fliegen, um vor halb leeren Rängen zu kicken. Haben die Herren bei der UEFA, die sowas organisieren, eigentlich einen an der Waffel?
Nächstes Jahr wird’s dann noch besser. Die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022™ (auch das muss ganz korrekt geschrieben werden; nicht, dass ich noch eine Busse von der FIFA aufgebrummt bekomme) findet von Ende November bis kurz vor Weihnachten in der Wüste statt. Da gibt es dann viele gemütliche Public Viewings bei Minustemperaturen mit Glühwein und Fondue. Bei uns. In Katar hat’s 45 °C im nicht vorhandenen Schatten. Spielt aber keine Rolle, die Stadien im Wüstenstaat werden auf chillige 20 °C heruntergekühlt, damit die Scheichs wohltemperiert ihren Mokka schlürfen können, während es um die Menschenrechte im Land nicht ganz so gut bestellt sein soll. Haben die Herren bei der FIFA, die sowas organisieren, eigentlich einen an der Waffel?
Ganz bestimmt einen an der Waffel haben die Herren der zwölf Vereine, die kürzlich die europäische Superliga gründen wollten. Die Top Shots aus England, Italien und Spanien möchten unter sich bleiben und sich gegenseitig noch ein paar Milliarden mehr zuschieben. Der Druck von der Strasse war dann jedoch zu gross und die massiven Fanproteste verhinderten (vorerst) den Club der Zwölf. FC Arsenal, FC Chelsea, FC Liverpool, Manchester City, Manchester United, Tottenham Hotspur, AC Mailand, Inter Mailand, Juventus Turin, FC Barcelona, Atlético Madrid, Real Madrid sind für mich erledigt. Dass die Pest den diesjährigen CL-Final gegen die Cholera mit 1:0 gewonnen hat? Who cares? Mir ist es wurscht.
Für mich ist der Fussball in dieser Form gestorben. Kein Interesse mehr, diesem Kasperlitheater beizuwohnen. Meine Lieblingssportveranstaltung, die Eishockey-WM, geht zudem sowieso jedes Jahr über die Bühne. Dass Eishockey im Sommer in gekühlten Hallen stattfindet, habe ich allerdings auch noch nie kapiert. Von wegen Klimawandel. Und apropos Kasperlitheater:
Der Präsident des Weltverbandes IIHF, der Schweizer René Fasel, hat sich zwar kürzlich mit seinem Besuch in Belarus beim dortigen Machthaber Lukaschenko ziemlich blamiert. Dann hat der Verband aber auf die politische Lage reagiert und Minsk als Co-Austragungsort der WM gestrichen. Die Spiele fanden ausschliesslich im lettischen Riga statt. Immerhin.
Und im Gegensatz zum Fussball steigt die Schweiz im Hockey gegen Deutschland als Favorit in ein Viertelfinale. Und scheitert nach einem über weite Strecken blutleeren Auftritt in einem halb leeren Stadion im Penaltyschiessen. Das ist dann aber zum Glück die letzte Parallele zum Fussball.
Meine Meinung. Für den Kollegen Restin ist Fussball dagegen noch längst nicht gestorben. Im Gegenteil:
Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.