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Stalker Selfie Experiment: Wann werden Reflexionen in Selfies zur Gefahr?

Ein Stalker hat sein Opfer gefunden, indem er Reflexionen in ihren Selfies analysiert hat. Ein Test zeigt: Das ist möglich, hängt aber von einer Vielzahl Faktoren ab.

Alarm! Mindestens! Die Reflektionen in deinen Augen in deinen Selfies verraten deinen Stalkern, wo du wohnst. Das beweist ein Fall aus Japan, wo ein Stalker die Sängerin Ena Matsuoka angegriffen hat, nachdem er herausgefunden hat, wo sie wohnt. Er hat ihre Selfies und Fotos analysiert, so ihre Wohnung gefunden und sie nach einem Konzert abgepasst und angegriffen. Ena hat sich gewehrt, der Mann ist geständig.

  • Hintergrund

    Stalker findet Opfer durch Reflektion in Selfies

    von Dominik Bärlocher

Der Schock aber bleibt.

Nur, dass das Szenario des Stalkers und der Selfies wohl recht spezifisch und die Reduktion des Falls auf Selfies irreführend, wenn nicht sogar falsch ist. Ja, Selfies haben eine Rolle gespielt, aber in seinem Verhört gibt Stalker Sato Hibiki an, dass er auf der Suche nach der Wohnung Enas mehrere Faktoren berücksichtigt hat. Nebst Selfies hat er sich die Vorhänge in ihren angesehen, aufgrund der Schatten den Sonnenstand ermittelt und so festgestellt, auf welchem Stock die Frau wohnt.

Fassen wir also eine These, die wir dann testen: Es müssen extrem viele zufällige Faktoren zusammenkommen, bis eine Reflexion in Selfies deine Wohnung preisgibt. Stellt sich nur die Frage: Was sind diese Umstände? Um diese Faktoren zu finden und zu evaluieren, stellen wir den Stalking-Fall nach. Am Ende dann werden wir Schlüsse ziehen.

Kurzanalyse der Aussage Sato Hibikis

Nebst Angaben über Sonnenstand und dergleichen hat Sato Hibiki nicht besonders viel über seine Selfie-Analyse preisgegeben. Oder die ermittelnde Polizei hat nicht besonders viel darüber preisgegeben. Vernünftig, denn wenn die Polizei Aussagen machen würde wie «Der Mann hat in einer Spiegelung die Tramhaltestelle Technopark gesehen und die Frau zwei Tage später angegriffen», dann würde sie es künftigen Stalkern wesentlich einfacher machen.

Aber die japanische Polizei hat veröffentlicht, dass Sato ein Spiegelbild einer Bushaltestelle oder eines Bahnhofs erkannt hat. Danach habe er auf Google Maps die entsprechende Haltestelle gefunden und von da aus weiterermittelt.

Das kann so interpretiert werden, dass Sato nicht die Haltestelle selbst erkannt hat, sondern lediglich ein Schlüsselelement einer jeden Haltestelle, halte da nun Bus, Tram oder Zug.

Eine Bushaltestelle in Japan
Eine Bushaltestelle in Japan
Quelle: JapanTimes

Primär an diesem Bild wichtig ist ein Element: Der auffällige Indikator einer Busliniennummer.

Der wichtige Teil
Der wichtige Teil

Sobald jemand das «C8» auf dem Bild erkennt, ist es ein Leichtes, mit Google Maps die Route des Buses nachzuvollziehen.

Es ist also nicht wichtig, den genauen Ort aus der Spiegelung ablesen zu können. Es braucht nur einen guten Indikator, damit eine Lokalisierung im Groben möglich ist.

Das Experiment beginnt

Ein Experiment mit Jeanine Meier – Make Up Artist, Fotografin und Mitarbeiterin bei digitec – soll Aufschluss bieten. Jeanine ist die perfekte Kandidatin, da sie nicht nur in etwa die Grösse Enas hat – Jeanine ist 150cm gross, Ena Matsuoka ist 6cm grösser –, sondern auch Ahnung von Licht und Schatten im Kontext der Fotografie . Damit wollen wir sehen, ob die Körpergrösse und die damit verbundene Armlänge eine Rolle spielt.

Doch zuerst suchen wir uns einen Ort, den wir unter den gleichen Umständen identifizieren wollen, wie Sato Hibiki das gemacht hat. Unsere Wahl fällt aus Gründen des Pragmatismus auf die Tramhaltestelle Technopark in Zürich.

Hinter Jeanine ist dann das Bürogebäude digitecs.

In der Reflexion versuchen wir, den violetten Part des Schildes mit der Tramliniennummer 4 zu erkennen. Fotografiert wird mit einem iPhone XR in roségold

#1: Das zufällige Selfie

Jeanine stellt sich etwa in der Mitte des Weges zwischen digitec-Bürogebäude und Tramhaltestelle auf und schiesst ein Selfie. Halt genau so, wie sie es im Alltag tun würde.

Menschen, die Selfies von sich schiessen, sehen immer doof aus. Das Resultat aber kann sich sehen lassen.

Ästhetik beiseite, wir interessieren uns für Jeanines blaue Augen. Blau ist dahingehend wichtig zu bemerken, da die Augenfarbe das Resultat verzerren könnte. Enas Augen sind braun, daher funktioniert das erwiesenermassen. Denn, so sagt Jeanine, bei Spiegelungen ist der Kontrast zwischen Licht und spiegelnder Oberfläche von grösster Wichtigkeit. Daher: Sollte das Experiment mit den blauen Augen Jeanines nicht funktionieren, wird es mit braunen Augen wiederholt.

Im Bild ist dann wenig zu erkennen.

Zum einen ist da die Software des iPhones, die das Bild an den Rand der Realität editiert. Dazu packt sie eine Serie Filter auf das Bild, die Bilder für den Genuss auf Instagram und dergleichen optimieren soll.

Zum anderen ist da das Phone in der Spiegelung. Denn ziemlich genau hinter der Reflexion des iPhones wäre das Schild mit der Nummer 4. Ansonsten ist da nicht viel zu erkennen. Etwas, das vielleicht ein Haus sein könnte, aber eigentlich nur dunkel ist, und ein Horizont.

Nach kurzer Beratung kommen wir zum Schluss, dass da vielleicht zu viel Licht ist. Das macht den Kontrast in der Reflexion zu hoch. Sprich: Dunkle Töne werden näher zu Schwarz gepegelt, helle gehen eher zu weiss. Es gehen Details verloren.

#2: Unter LED-Licht

Bevor wir ins digitec-Studio gehen, wo wir die absolute Kontrolle über das Licht haben, wollen wir es nochmal unter natürlich vorkommenden Lichtverhältnissen probieren. In der Eingangshalle der digitec-Büro steht ein Schild. Es ist weiss mit dem blauen D drauf.

Das Schild in der Eingangshalle
Das Schild in der Eingangshalle

Zudem verkürzen wir die Distanz zwischen Jeanine und dem Schild, denn jetzt wollen wir eine Spiegelung erzwingen. Dazu ändern wir den Winkel. Das Smartphone darf nicht das Logo im Auge verdecken. Jeanine verrenkt sich.

Das Resultat müssen wir nicht einmal am Laptop ansehen und das Experiment endet hier.

Denn schon auf dem Bildschirm des iPhones ist das Logo in ihrem rechten Auge klar erkennbar.

Beweis erbracht: Es ist möglich, einen Ort zweifelsfrei anhand einer Reflexion in einem Selfie zu identifizieren. Aber nur, wenn der Ort selbst einen halb-eindeutigen Identifikator aufweist.

Der Twitter Test

Mit diesem Bild können wir das Experiment weiterziehen. Denn Sato hat seine Analysen nicht mit dem Originalbild aus der Kamera Enas gemacht. Er hat ihre Bilder auf dem Social Network Twitter gesehen und danach analysiert. Wenn du ein Bild auf Twitter hochlädst, dann wird die Bilddatei noch einmal komprimiert, die direkt identifizierenden EXIF-Daten werden entfernt und das Bild wird umbenannt.

IMG_0061.jpg – die Originaldatei

Das Originalbild gibt mir folgende EXIF-Daten aus:

  • Kamera: iPhone XS
  • Dateigrösse in Pixeln: 2316 x 3088
  • dpi: 96
  • Dateigrösse: 2.22 MB

Der Zoom auf das Auge zeigt das Logo klar und deutlich

ELFpv1TX0AAc1zg.jpg – Twitters Version des Bilds

Twitter komprimiert und strippt die Metadaten des Bildes weg.

  • Kamera: iPhone XS
  • Dateigrösse in Pixeln: 2316 x 3088
  • dpi: 72
  • Dateigrösse: 1.28 MB

Die Pixelgrösse bleibt intakt, aber die dpi werden reduziert.

Der Direktvergleich zeigt minimale Unterschiede im Logo selbst, aber auch selbst nach Twitter ist das Logo noch klar erkennbar.

Die fotografische Perspektive

Damit diese Reflexion so zu Stand kommt, dass sie klar erkennbar ist, müssen aber nicht nur technologische Faktoren gegeben sein. Auch fotografische Elemente müssen stimmen.

  • Der Identifikator des Ortes darf nicht direkt vor der Person im Selfie liegen. Sonst versperrt das Handy das Bild
  • Das Licht darf der Person im Selfie nicht zu stark ins Gesicht scheinen. Eine Ausleuchtung von hinten hat die besten Resultate erzielt
  • Das gespiegelte Objekt muss wirklich nahe am Auge liegen. Die Schmerzgrenze liegt bei einem Buchstaben von 15cm Höhe bei etwa 50cm Distanz
  • Ausnahme ist, wenn das Objekt farbcodiert ist. Bei der Spiegelung der Tramhaltestelle müssen wir nicht zwingend die 4 erkennen, sondern die Farbe violett reicht
  • Der Kontrast auf der Spiegelung muss so hoch wie möglich sein

Eine eindeutige Identifikation eines Ortes ist aber nur möglich, wenn die Reflexion tatsächlich Wörter abbildet. Sprich, das Wort «Technopark» an der Tramhaltestelle muss lesbar sein. Dass dies passiert, ist aber extrem unwahrscheinlich.

Das heisst nicht, dass die Identifikation eines Ortes mittels Selfie nicht möglich ist. Wenn wir auf dem Foto die Farbe violett erkennen oder die Zahl 4, dann geht das so:

  1. Der ZVV-Linienfahrplan zeigt die Farben und Nummern der Tramlinien
  2. Google Maps kann als eine Art «virtuelle Stadtrundfahrt» benutzt werden, um der Tramlinie zu folgen. Es können dann Häuserzeilen und Strassenschluchten abgeglichen werden

Damit sind dann aber nicht die Reflexionen das Verräterische, sondern der Hintergrund im Selfie. Die Spiegelung alleine kann nur in den seltensten Fällen eindeutig einen Ort identifizieren. Meist sind zusätzliche, indirekte Identifikatoren notwendig, damit ein Ort zweifelsfrei identifiziert werden kann.

Schliessen wir das Experiment ab:

Kann eine Spiegelung in Selfies deinen exakten Standort verraten? Ja, aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass die Spiegelung alleine das hinkriegt. Das liegt nicht an der Technologie, sondern an der Beschaffenheit unserer Welt. In der Regel werden es Dinge im Hintergrund in Kombination mit der Reflexion sein.

So. Fertig. Für weitere Details, wie du sichere Selfies – mit oder ohne Kleidung – machst, habe ich mal in folgendem Artikel erklärt.

  • Hintergrund

    Nackt-Selfies: So schickst du deine Nacktbildli sicher durchs Netz

    von Dominik Bärlocher

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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