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Tier im Recht: Leiden Hauskatzen drinnen?

Stubentiger oder Freigänger, was ist tiergerecht? Bei dieser Frage sind sich Katzenhaltende oft uneinig. In der fünften Folge von «Tier im Recht» erfährst du, worauf es drinnen und draussen wirklich ankommt, damit sich das Büsi wohl fühlt.

Meine Kindheits-Katzen zogen ständig um die Häuser. Reine Wohnungskatzen sind mir deshalb suspekt. Ehrlich gesagt: Sie tun mir sogar etwas leid. Das ist einer von mehreren Gründen, weshalb ich mir in einer Dachwohnung ohne Balkon bisher keine Vierbeiner angeschafft habe.

Doch dann war ich kürzlich bei jemandem zu Gast, der für seine Stubentiger ein wahres Paradies eingerichtet hat. Katzenbäume, Tablare, Verstecke und Klettermöglichkeiten kratzten wortwörtlich an meinen Vorurteilen. Wären Wohnungskatzen in meiner neuen Wohnung mit zwei Balkonen doch denkbar? Das möchte ich von Caroline Mulle, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung für das Tier im Recht, wissen.

Caroline Mulle, ist es tiergerecht, Katzen drinnen zu halten?
Die Tierschutzgesetzgebung erlaubt dies grundsätzlich. Büsis sind sehr anpassungsfähig und können sich auch ohne Auslauf ins Freie sehr wohl fühlen. Tierschutzgerecht ist dies aber nur, wenn sie von klein auf in einer Wohnung leben und die Aussenwelt gar nicht vermissen. Da ihr Lebensraum wesentlich weniger abwechslungsreich ist als jener von Freilaufkatzen und sie ihren Hauptbeschäftigungen – zum Beispiel Jagen und Beobachten – nicht nachgehen können, braucht es Kompensationsleistungen.

Worauf gilt es dabei zu achten?
Der Artikel 80 der Tierschutzverordnung schreibt vor, dass Hauskatzen Rückzugs- und Beschäftigungsmöglichkeiten wie Kletter- und Kratzgelegenheiten sowie erhöhte Ruheflächen haben sollen. Für jedes Tier muss zudem ein eigenes Kotkistchen zur Verfügung stehen. Für die artgerechte Haltung muss ihnen genügend Beschäftigung angeboten werden. Dies kann durch unterschiedliche Kratzmöglichkeiten oder Spielzeuge geschehen. Ausserdem müssen die Tiere die Möglichkeit haben, ihr Bedürfnis nach sozialen Kontakten auszuleben.

Hauskatzen sollten drinnen Möglichkeiten zum Klettern, Kratzen, Spielen und Verstecken haben.
Hauskatzen sollten drinnen Möglichkeiten zum Klettern, Kratzen, Spielen und Verstecken haben.
Quelle: Shutterstock/RJ22

Das heisst?
Auch Wohnungskatzen sollten idealerweise eine Zweitkatze als artgerechten Interaktions-, Spiel- und Kuschelpartner haben.

Ist eine zweite Katze zwingend oder zählt auch der Mensch als Ersatz?
Die Tierschutzverordnung betrachtet – zumindest theoretisch – auch den Menschen als adäquaten Sozialpartner. Einzelkatzen müssen jedoch in jedem Fall täglich Umgang mit Menschen oder Sichtkontakt mit Artgenossen haben. Es spielt jedoch auch der Charakter des Tieres eine Rolle.

Was meinen Sie damit?
Nicht jede Katze reagiert anderen Tieren gegenüber sozial. Es gibt auch unverträgliche Einzelgänger oder kranke oder alte Tiere, die durch eine Zweitkatze gestresst wären. Hier ist der ausreichende Sozialkontakt zum Menschen in Form von Beschäftigung und Streicheleinheiten umso wichtiger.

Was gilt bei der Grösse der Wohnung?
Die Faustregel lautet: mindestens ein Zimmer pro Katze. Um ihnen möglichst viel Abwechslung zu bieten, sollten sie idealerweise Zugang zu allen Räumen haben. Katzen lieben es zudem, an erhöhten Stellen zu liegen und ihre Umgebung zu beobachten – gerne auch am Fenster, um einen Blick nach draussen werfen zu können. Zugänge zu Schränken, Regalen und gut fixierten Tablaren an den Wänden vergrössern den Lebensraum zusätzlich. Ebenfalls sind Schlafhöhlen und andere Versteckmöglichkeiten willkommen.

Und was halten Sie von Katzenleinen?
Grundsätzlich sind solche Leinen kritisch zu sehen. Katzen sind sehr eigenständige und freiheitsliebende Tiere, die nicht unbedingt auf den Menschen fixiert sind. Die Leine hindert sie daran, ihren natürlichen Impulsen zu folgen und die Umgebung im eigenen Tempo zu erkunden. Für ein territoriales Tier kann der Aufenthalt in immer neuen Umgebungen zudem zusätzlichen Stress bedeuten. Auch das Anlegen und Tragen solcher Leinen kann das Büsi stressen. Es kann aber durchaus Situationen geben, in denen eine Leine sinnvoll sein kann.

Caroline Mulle hält Katzenleinen in den meisten Fällen für fragwürdig.
Caroline Mulle hält Katzenleinen in den meisten Fällen für fragwürdig.
Quelle: Shutterstock/Kasefoto

Welche könnten das sein?
Beispielsweise nach einem Umzug beim ersten Freigang, quasi als Sicherheitsmassnahme. Aber auch in solchen Fällen müssen die Bedürfnisse der Katze stets an erster Stelle stehen. Bessere Alternativen zur Katzenleine sind sogenannte «Catios», also gesicherte Freigehege im Garten beispielsweise. Oder auch das bekannte Katzennetz, das dem Stubentiger ermöglicht, frische Luft etwa auf einem Balkon zu schnappen.

Gibt es Katzen, bei denen Sie explizit eine Wohnungshaltung empfehlen?
Ja. Es kann unter Umständen sein, dass der Freigang für die Katze aufgrund einer Beeinträchtigung schlicht zu gefährlich wäre. Oder aufgrund einer Krankheit. In solchen Fällen ist eine Wohnungshaltung sogar angezeigt.

Kann eine Wohnungs- zu einer Freigängerkatze werden und umgekehrt?
Hatte die Katze einmal die Freiheit, in der Natur Streifzüge zu unternehmen, gibt sie sich später kaum mehr mit der reinen Innenhaltung zufrieden. Verhaltensprobleme wie etwa Unsauberkeit oder Aggressivität sind dann vorprogrammiert. Katzen, die bisher nur die Wohnungshaltung gekannt haben, können sich aber durchaus auch im Freien zurechtfinden. In diesem Fall sollte das Tier Schritt für Schritt an die Aussenwelt gewöhnt werden und die ersten Freigänge sollten in Begleitung des Katzenhaltenden stattfinden.

Auch bei Freigänger-Katzen gilt es einige Punkte zu beachten.
Auch bei Freigänger-Katzen gilt es einige Punkte zu beachten.
Quelle: Shutterstock/Nils Jacobi

Worauf sollte man beim Freigang achten?
Katzen sollten vor dem ersten Freigang gechippt, geimpft und kastriert sein. Zudem sollte darauf geachtet werden, dass sich in der Nähe keine unmittelbaren Gefahren befinden, wie beispielsweise eine vielbefahrene Strasse. Weiter sollten Katzen im Haus behalten werden, wenn in der Umgebung die Felder gemäht werden. Leider werden auch immer mehr Büsis Opfer von Mähmaschinen.

Wie sieht es mit nächtlichen Streifzügen aus?
In der Nacht und in der Dämmerung sollten die Tiere nach Hause kommen. In dieser Zeit ist die Unfallgefahr am grössten. Um dies sicherzustellen, lohnt es sich, mit den Tieren den Rückruf zu trainieren. Dies klappt am besten, wenn die Katze für das Zurückkommen belohnt wird. Sei es mit Futter, Spielen oder Streicheleinheiten.

Bietest du deinem Büsi Freigang oder hast du eine Wohnungskatze? Worauf achtest du? Schreibe es doch in die Kommentare.

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Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.


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