Hintergrund

Top-Talent vs. Dilettant: Chancenlos glücklich in der Tischtennis-Lehrstunde

Tischtennis, das ist Zelluloid* auf Speed. Unglaublich schnell. Mein Duell mit U18-Nationalspieler Pedro Osiro ist vor allem: unglaublich schnell vorbei. Da bleibt im Anschluss genug Zeit, mir einige Tipps zu geben und einen ordentlichen Aufschlag beizubringen.

Pedro lässt den Ball tanzen, ich fuchtle wild dagegen an. Die kleine Zelluloidkugel ist seine Welt, ich bin irgendwas zwischen Mitspieler und Spielball. Nur eines bin ich sicher nicht: ein Gegner. Trotzdem bitte ich ihn zum Duell. Mir gegenüber steht Pedro Osiro Shinohara, 16 Jahre alt, mehrfacher Schweizer Jugendmeister und Mitglied der U18-Nationalmannschaft. Der Tischtennisschläger ist für ihn so etwas wie ein zusätzlicher Körperteil. Mein alter Schläger lagert irgendwo im Keller und kam das letzte Mal zu der Zeit regelmässiger zum Einsatz, als Pedro gerade geboren wurde.

Nicht. Den. Hauch. Einer. Chance.

Wir spielen einen Satz. Keine Gnade bitte. Ich schlage auf, Pedro lächelt – und serviert mich nach allen Regeln der Kunst ab. Was ich auch versuche, der Ball kommt mit so viel Speed und Spin zurück, dass mir nur mit etwas Glück ein kurzer Ballwechsel gelingt. Schlägt Pedro auf, springt mir die verdammte Kugel irgendwo hin, nur einmal bringe ich einen Return auf die Platte. Knapp anderthalb Minuten inklusive Bälle aufsammeln dauert die Demontage, dann heisst es 1:11. Im Video kannst du dir mein Debakel aus jeder erdenklichen Perspektive anschauen.

Der Ehrenpunkt ist ein Geschenk, Pedro macht einen Fehler beim Aufschlag. Vielleicht aus Höflichkeit, vielleicht, weil er in der Nacht zuvor erst spät von der Jugendeuropameisterschaft aus Rumänien zurückgekehrt ist. Mit dem U18-Team gelang ihm dort ein 15. Platz und damit der Aufstieg in die erste Division, ein Erfolg. Im Einzel erreichte er die zweite Hauptrunde. «Insgesamt bin ich damit zufrieden», sagt Pedro. Ich bin auch zufrieden. Zwar hatte ich nicht den Hauch einer Chance gegen ihn – aber ziemlich viel Spass.

Meine Schläge haben die Streuung einer Schrotflinte

Das ist also Tischtennis, wenn es einer richtig kann. Geiler Sport. Ich will mehr. Und etwas lernen. Was kann ich besser machen? Klar, im Grunde alles. Aber irgendwo muss ich ja anfangen. «Nicht so grosse Schlagbewegungen, zieh nicht voll durch», sagt Pedro, der nun in die Rolle des Trainers schlüpft und mir die Bälle so zuspielt, dass ich langsam eine Art Rhythmus finden kann. «Einfach locker dagegenhalten.» Stimmt natürlich. Meine Schläge haben die Streuung einer Schrotflinte, für mich sollte es in erster Linie um Kontrolle gehen.

Das klappt mit kleinen Bewegungen aus dem Unterarm und Handgelenk, wie Pedro sie mir zeigt, viel besser. Trotzdem lasse ich mich immer wieder zu wilden Schlägen hinreissen, die zu 95 Prozent ihr Ziel verfehlen und Pedro zu dem einen oder anderen Ausweichmanöver zwingen. Die Desperado-Taktik aller Freizeitspieler. Kaum ist der Ball im Spiel, draufhauen und auf einen Zufallstreffer hoffen. Alles oder nichts. Nur kommt meistens nichts dabei heraus.

Spielstudie 1: So geht's nicht.
Spielstudie 1: So geht's nicht.
Spielstudie 2: So muss das aussehen.
Spielstudie 2: So muss das aussehen.

Pedro auf der Suche nach Perfektion

Pedros Schläge dagegen sehen für mich ziemlich perfekt aus. Doch auch er antwortet auf die Frage, was ihn noch von den Spitzenspielern trennt: «Sie machen viel weniger einfache Fehler.» Natürlich bei noch mehr Schlaghärte und noch mehr Spin. Da will auch Pedro hin: «Mein Ziel ist es, vom Tischtennis leben zu können», sagt er bestimmt. Dafür trainiert er täglich fünf bis sechs Stunden unter Profi-Bedingungen, weit weg von Zuhause: «Nachdem ich die 9. Klasse abgeschlossen hatte, bin ich nach Schweden gegangen», erzählt er. An der Akademie von Eslövs AI BTK setzt er voll auf den Sport. «Dort kann ich mich zu 100 Prozent auf’s Tischtennis konzentrieren und auch die Trainingspartner sind auf einem hohen Level.»

Die Beine müssen auch mitspielen

Von hohem Level kann hier und heute keine Rede sein. Während Pedro leichtfüssig unterwegs und zu jeder Reaktion bereit ist, klebe ich mit den Füssen am Boden. «Geh’ tiefer in die Knie und steh’ auf den Fussballen», lautet sein Tipp. Je mehr ich Pedros Ratschläge zu beherzigen versuche und seine Bewegungen studiere, desto mehr fällt mir auf, wie sehr bei ihm alles im Fluss ist. Ein perfekt eingespieltes System, bei dem der Schläger ganz locker in der Hand liegt und den Ball immer wieder präzise auf die Reise schickt. Was bedeutet da ein Materialwechsel? «Wenn ich den Belag wechsle, dann dauert es ein bis zwei Wochen, bis ich darauf eingestellt bin», sagt Pedro. «Demnächst will ich auch auf ein schnelleres Holz wechseln, das härter und auch schwerer ist. Damit kann ich mehr Druck machen.»

Passte nicht mehr aufs Bild: Das Leistungsgefälle zwischen Pedro und mir.
Passte nicht mehr aufs Bild: Das Leistungsgefälle zwischen Pedro und mir.

Nicht gleich zuschlagen! Schlägertypen studieren.

Mehr Druck? Für mich war der Schläger bislang nichts, worüber ich mir vermehrt Gedanken gemacht hätte. Es gibt eine rote Seite, eine schwarze Seite und der Belag sollte irgendwie griffig sein. Fertig. Dachte ich. Doch so einfach ist es natürlich nicht. Mein Treffen mit Pedro findet bei unserem Partner Tischtennis Gubler in Winznau statt und hier eröffnet sich mir eine neue Welt aus Millionen möglichen Belägen, Hölzern und Kombinationen.

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Ich habe ein Modell in die Hand bekommen, das vorrangig auf Spielkontrolle ausgelegt ist und Fehler verzeihen soll. Meine Schwächen kann kein Material der Welt einfach ausbügeln, aber es ist schon ein ganz anderes Spielgefühl als mit meiner runtergerockten alten Kelle im Keller. Wenn du spielerisch ähnlich unterwegs bist wie ich und einen neuen Schläger suchst: Nimm dir zumindest die Zeit, die Spieleigenschaften in der Beschreibung zu studieren und kritisch mit deinem Können abzugleichen. Es lohnt sich.

Alle Amateur-Schläger in der Übersicht

Pedro spielt mit einem auf sein Spiel zugeschnittenen Profi-Modell, dessen Beläge er einmal im Monat erneuert. Mit seinem Schläger könnte ich wenig bis gar nichts anfangen, obwohl das Material deutlich teurer ist. Das ist die gute Nachricht: Als Amateur kommst du günstiger weg und bist damit besser bedient. Wer regelmässig spielt, sollte aber trotzdem zumindest einmal im Jahr den Belag wechseln.

Wenigstens einen Aufschlag will ich lernen

Zum Abschluss bitte ich Pedro, mir noch ein Geheimnis zu verraten. Das Geheimnis eines ordentlichen Aufschlags. Er selbst spielt viele verschiedene Varianten und wenn er serviert, haben die Bälle so viel Spin, dass ich sie nie wirklich einschätzen kann. Auf die Frage, welche davon ich lernen könnte, muss er etwas überlegen und zeigt mir dann den Seitschnitt-Aufschlag mit der Vorhand. Klingt doch gut. Ich sehe, dass er den Schläger dafür anders in die Hand nimmt und eine schnelle Bewegung aus dem Handgelenk macht. Aber wie geht es genau? Hier zeigt er es dir und mir Schritt für Schritt.

Er kann's. Ich kann's nicht.

Das mit dem Aufschlag funktioniert nach einigen Versuchen gar nicht mal so schlecht. Ein Erfolgserlebnis! Aber auch die Lehrstunde hat mir Spass gemacht, ich will wieder öfter zum Schläger greifen. Und Pedro setzt sowieso alles daran, dass es mit der Tischtenniskarriere klappt. Zusätzlich zum Training in Schweden wird er künftig in Deutschland für den TTC Bietigheim-Bissingen in der Regionalliga antreten. Er ist ein ruhiger Typ, der sich hohe Ziele steckt und ordentlich Ehrgeiz hat. Ich drücke ihm die Daumen, dass er sich nach oben durchschlägt und den Spass an der Sache behält. Welche Rolle spielt eigentlich der Kopf, wenn es darum geht, die Leistung auch abzurufen? «Schlussendlich kannst du’s im Match, oder du kannst es nicht», sagt Pedro lapidar. Stimmt. Ich kann’s nicht. Werder im Kopf noch mit dem Schläger. Aber ich kann seine Faszination für Tischtennis nachvollziehen.

Nachtrag:

Schon mit dem Wort *Zelluloid habe ich mich wirklich als Dilettant geoutet. Denn inzwischen würden Tischtennisbälle längst nicht mehr aus Zelluloid, sondern aus ABS oder anderen Materialien gefertigt, schreibt mir Daniel Gubler von Tischtennis Gubler. Und das ist auch gut so. Schliesslich brennt Zelluloid wie Zunder und war für einige Brandkatastrophen verantwortlich. Tischtennisbälle als Gefahrgut – das muss heute zum Glück nicht mehr sein.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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