
Hintergrund
Sheabutter: Ist gut für die Haut und für ihre lokalen Produzentinnen
von Mareike Steger
Wolle gehört zu den hochwertigsten Textilien – und hat ihren Preis. Auch ethisch gesehen. Nicole Ungureit, Expertin für Strickwaren, spricht im Interview über die schönen und die hässlichen Seiten der beliebten Tierfaser.
Nicole, seit rund 5000 Jahren trägt der Mensch Wolle. Was macht dieses Textil aus?
Wolle hat unvergleichbare Eigenschaften. Sie schützt das Tier vor Kälte und Nässe – und behält diese Qualität auch nach der Verarbeitung zum Kleidungsstück für uns Menschen bei. Sie kann bis zu 30 Prozent ihres Trockengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich feucht anzufühlen. Im Gegensatz zu Kunstfasern wie etwa Polyacryl ist Wolle zudem geruchsneutral und weniger anfällig für Pilling.
Merino, Angora, Kaschmir – es gibt viele Arten. Was genau zählt denn alles als Wolle?
Streng genommen wird zwischen Wolle und Tierhaar unterschieden. Beim Zoll zählt nur das Haarkleid von Schafen als Wolle. Aber in der Umgangssprache und selbst in der Literatur wird diese Abgrenzung oft nicht gemacht.
Worin liegt der Unterschied?
Von Tierhaar spricht man, wenn die Tiere noch einen natürlichen saisonalen Fellwechsel haben. Schafe hingegen sind so domestiziert, dass sie ihr Haarkleid nicht verlieren.
Welche tierische Faser wird in der europäischen Bekleidungsindustrie am häufigsten verwendet?
Ich würde sagen Schurwolle. Dabei handelt es sich um Wolle, die vom lebenden Schaf geschoren wurde.
Und was habe ich dann vor mir, wenn auf dem Etikett nur «Wolle» steht?
Wolle vom Schaf, die auf verschiedenste Arten gewonnen wurde. Wie zum Beispiel Gerberwolle oder Sterblingswolle, die von geschlachteten respektive natürlich gestorbenen Tieren stammt. Dann gibt es noch die sogenannte Reisswolle, ein Recyclingprodukt aus Alttextilien.
Ist das eine hochwertiger als das andere?
Schurwolle ist hochwertiger. Dennoch ist es gut, möglichst viel vom Tier zu verwerten.
Kleidung aus Wolle kann sich direkt auf der Haut kratzig anfühlen. Wieso eigentlich?
Wie kratzig Wolle ist, hängt hauptsächlich von zwei Faktoren ab: dem Durchmesser und der äusseren Schuppenschicht der Faser. Sind die einzelnen Haare sehr grob und weisen eine ausgeprägte Schuppenschicht auf, können sie die Haut spürbar pieksen. In seltenen Fällen reagieren Leute zudem allergisch auf Reste des Wollfetts, auch Lanolin genannt.
Wieso jucken Acrylpullis mit geringem Wollanteil häufig mehr als reine Wolle?
Wenn günstige Wolle verwendet wird, kann es sein, dass der Unterschied zwischen dem feinen Acryl und der pieksenden Wolle umso stärker auffällt.
Wie finde ich besonders weiche Wolle?
Der Preis kann Aufschluss über die Feinheit geben. Grundsätzlich gilt: Je feiner, desto teurer. Das Deckhaar ist am dicksten und dementsprechend günstig. Was wirklich weich ist und wärmt, ist das hochwertige Flaumhaar direkt an der Haut. Darüber hinaus gibt es Tierarten, deren Haarkleid besonders fein ist.
Die da wären?
Unter den bei uns erhältlichen Wollarten gehört die Faser des Angorakaninchens mit einem Durchmesser von 12 bis 14 Mikrometern zu den feinsten. Zum Vergleich: Bei einem herkömmlichen Schweizer Schaf beträgt der Durchmesser ca. 28 Mikrometer. Angora wird jedoch selten rein verwendet, weil es schwer zu verspinnen ist. Aus Tierschutzgründen rate ich ohnehin vom Kauf ab.
Kannst du das erläutern?
Offiziell wird das Haarkleid der Kaninchen ja ausgebürstet. Die Realität sieht meist anders aus. Weil die Tierchen sonst nicht genug hergeben, werden sie auf Bretter gespannt, wo ihnen die Haare ausgerissen werden. Es ist zudem schwierig, die Herkunft nachzuverfolgen.
Gut, dass Angora mittlerweile nicht mehr so häufig verwendet wird. Was ich hingegen oft sehe, sind Kaschmirprodukte. Auch sie sollen besonders weich sein.
Kaschmirwolle ist extrem begehrt und gehört mit 14 bis 16 Mikrometern Durchmesser zu den feinsten Fasern – und den wärmsten. Sie ist gekräuselt und sehr leicht, sprich die Faser hat viele Hohlräume. Diese Lufttaschen speichern Wärme perfekt. Beim Kauf ist allerdings Vorsicht geboten.
Inwiefern?
Eine Kaschmirziege ergibt höchstens 200 bis 300 Gramm Wolle pro Jahr. Um einen einzigen Pulli herzustellen, braucht es mehrere Ziegen – und deren Haltung ist ressourcenintensiv. Auch hier wird das Flaumhaar zudem nicht immer nur ausgekämmt, sondern ausgerissen. Hinzu kommt, dass sie teils komplett geschoren werden. Die Tiere leben in sehr kalten Gebieten. Passiert das zu früh, erfrieren sie. Ausserdem wird bei den Angaben gerne gemogelt.
Es ist also wahrscheinlich, dass ein Pulli aus 100 Prozent Kaschmir auch andere Fasern enthält?
Der Kaschmiranteil auf dem Weltmarkt stimmt zumindest nicht mit der Anzahl Kaschmirziegen überein. Eine Beimischung von anderen Tierhaaren oder Viskose ist daher denkbar. Bei Unternehmen, die sich auf den Verkauf von Kaschmirprodukten spezialisiert haben, ist das Risiko jedoch verhältnismässig gering. Sie haben die textile Kette gut unter Kontrolle.
Ist Schafswolle weniger bedenklich? Merinowolle soll ja auch sehr edel sein.
Das Merinoschaf wird extra für Wolle gezüchtet und liefert mit 17 bis 19 Mikrometern die feinste Schafwolle. Die Fasern sind zudem stark gekräuselt und die Schuppenstruktur wird gut vertragen. Aber auch hier gibt es hinsichtlich des Tierwohls grosse Bedenken. Stichwort Mulesing. Ein Verfahren, bei dem die Hautlappen rund um den Schwanz des Lammes abgeschnitten werden. Praktisch ohne Betäubung.
Mit welcher Absicht?
Um Miyasis vorzubeugen, eine Fliegenmadenkrankheit: Larven nisten sich im Analbereich des Schafes ein und ernähren sich parasitär vom Wirt. Für das Schaf kann dies tödlich enden. Mulesing ist in Australien, wo die Merinowolle grösstenteils herkommt, weit verbreitet. Ich empfehle beim Kauf auf Gütesiegel zu achten, wie etwa dem Responsible Wool Standard (RWS), der Mulesing verbietet.
Wieso wird noch Mulesing betrieben, wenn es Alternativen gibt?
Es ist Tradition – und lange hat das Problem kaum jemanden interessiert. Das ändert sich nun endlich. Dank der Medien und der Sensibilisierung von Verbraucherinnen und Verbrauchern erlangt das Thema auch bei Bekleidungsunternehmen grössere Beachtung.
Welche Massnahmen werden ergriffen?
Viele Unternehmen haben bereits in ihre Strategie aufgenommen, zukünftig nur noch Mulesing-frei einzukaufen. Dadurch geraten die Bäuerinnen und Bauern in Australien unter Druck.
Steht die Wollindustrie im Allgemeinen vor einem Wandel?
Das Bewusstsein für Tierleid in der Wollindustrie entwickelt sich erst noch. Aber wir haben es bereits beim Pelz beobachtet: Findet in der Gesellschaft ein Umdenken statt, müssen grosse Unternehmen sich früher oder später anpassen.
Nicole Ungureit ist Dozentin an der STF Schweizerischen Textilfachschule. Sie leitet dort den Studiengang Knitwear Spezialist/in. Als Freelancerin berät sie zudem Unternehmen in den Bereichen Textile Development und Production Management.
Auftaktbild: Seyi Ariyo via UnsplashHat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.