
Ratgeber
Zu Besuch bei einer Sexologin
von Natalie Hemengül
Mit uns selbst gehen wir oft (zu) hart ins Gericht. Sexualtherapeutin Dania Schiftan verrät, wann unser Körperbild am anfälligsten für negative Gedanken ist, wie diese unser Sexleben beeinflussen und wie du mit deinem Spiegelbild ins Reine kommst.
Wie du dich und dein Spiegelbild wahrnimmst, entscheidet darüber, wie du durchs Leben gehst. Und während sich so mancher Selbstzweifel und ein negatives Körperbild im Alltag vielleicht noch ganz passabel verstecken oder überspielen lassen, sieht es in unseren intimsten Momenten anders aus. Dort sind wir buchstäblich nackt, verletzlich. Im Gespräch mit der Sexualtherapeutin Dania Schiftan möchte ich herausfinden, wie stark unsere Körperwahrnehmung unser Sexleben beeinflusst.
Dania, was versteht man in der Psychologie unter einem Körperbild?
Dania Schiftan, Sexologin und Psychotherapeutin: Das Körperbild ist die subjektive Vorstellung, die ich von meinem Körper habe. Ein inneres Bild davon, wie ich aussehe, wie sich dieses Aussehen für mich anfühlt und was ich davon halte.
Wovon wird dieses Bild beeinflusst?
Die Entwicklung des Körperbildes wird von unserer Lebensgeschichte und auch vom Umfeld, in dem wir gross werden, geprägt. Wir sammeln gute und schlechte Erfahrungen mit unserem Körper. Schon in der Kindheit bekommen wir Rückmeldungen dazu, wie wir sind und speichern diese Informationen ab. Als Jugendliche und junge Erwachsene haben wir unsere ersten eigenen Erlebnisse mit Körperlichkeit und Sexualität. Wir sehen, vergleichen, nehmen wahr und stellen dann entweder fest, dass wir ok sind oder dass etwas mit uns «nicht stimmt».
Kann es denn überhaupt so etwas wie ein gesundes Körperbild geben, wenn das Konzept so stark subjektiv geprägt ist?
Ja, das geht. Ein gesundes Körperbild ist realistisch und im besten Falle akzeptiere ich mich so, wie ich bin. Wir wissen zum Beispiel von Menschen mit Essstörungen, dass sie ein sehr unrealistisches Körperbild haben. Sie nehmen sich oft als grösser, breiter und dicker wahr, als sie in Wirklichkeit sind. Und das bezieht sich nicht nur auf die vermeintlichen Problemzonen, sondern zum Beispiel auch auf die Länge der eigenen Nase.
Unser Körper ist Dreh- und Angelpunkt der Sexualität. Wie stark wird diese denn durch unser Körperbild beeinflusst?
Das kommt auf den Menschen an. Wer ein negatives Bild von sich hat, denkt vielleicht viel zu viel darüber nach, was das Gegenüber denkt. Ist meine Brust zu klein, die Hüfte zu breit oder die Nase zu lang? Wenn ich mir ständig Sorgen mache, ob ich gut aussehe oder daran zweifle, attraktiv zu sein und mich das im Umgang mit anderen Menschen ausbremst, beeinflusst das selbstverständlich auch meine Sexualität. Ich kann sie dann nicht frei geniessen. Es gibt aber auch Menschen, auf die das überhaupt nicht zutrifft. Sie leben ihre Sexualität unabhängig von ihrem Körperbild. Sie spüren sich, können sich einlassen und erleben sich mit allen Sinnen.
Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt ein Klischee auspacke: Mir scheint das tendenziell ein eher weibliches Thema zu sein. Gibt es in Sachen Selbstwahrnehmung tatsächlich Unterschiede bei den Geschlechtern?
Es sind in der Tat mehrheitlich Frauen, die sich diese Gedanken machen und häufiger in ihrem Kopf stecken, anstatt den Sex zu geniessen. Doch es gibt durchaus auch Männer, die zum Beispiel ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Penis haben. Da fälschlicherweise immer noch viele davon ausgehen, dass die Grösse das entscheidende Kriterium ist, finden viele Männer ihren Penis zu klein und machen sich deshalb Sorgen. Für alle Geschlechter gilt: Wer zu viel denkt, kann weniger geniessen.
Woran liegt das?
Bei negativen Gedanken wie Sorgen, Zweifeln oder gar Ängsten wechselt unser Nervensystem in den Fight-Flight-Freeze-Modus. Das heisst, wir kämpfen entweder, fliehen oder erstarren. Eine erfüllte Sexualität lässt sich in diesen drei Zuständen aber nicht leben. Wer angespannt ist und sich in seinem eigenen Körper gerade nicht wohlfühlt, wird nur schwer schöne Empfindungen wahrnehmen. Wenn ich mich für meinen Körper schäme, ist es schwierig, mir vorzustellen, dass ein anderer Mensch mich schön und begehrenswert findet.
Wie wirkt sich so ein innerer Konflikt auf die Partnerschaft aus?
Er führt zu Problemen. Im Rahmen meiner Therapiesitzungen erzählen mir Männer, dass sie ihren Partnerinnen ständig Komplimente machen und ihnen sagen, wie schön sie sind und dass sie sie attraktiv finden. Doch die Information kommt nicht an, weil sie nicht gefühlt wird. Wenn ich selbst meinen Körper nicht mag, fällt es mir schwer vorzustellen, dass ein anderer Mensch verrückt nach ihm ist.
Inwiefern ist es überhaupt hilfreich, wenn man seiner Sexualpartnerin oder seinem Sexualpartner versucht, dabei zu helfen, Unsicherheiten zu überwinden? Oder noch wichtiger: Sollte man das überhaupt? Ist das nicht eher ein Ich-Problem, das sich nicht einfach mit gutem Zureden bewältigen lässt?
Das ist das Kernproblem. Wenn ich selbst nicht fühle, dass ich so in Ordnung bin, wie ich bin, wird mir mein Partner das noch tausendmal sagen können – ich glaube ihm das sowieso nicht. Selbstverständlich kann ein liebevoller Partner oder eine einfühlsame Partnerin dazu beitragen, ein positives Körperbild aufzubauen. Wenn ich gesagt bekomme, dass ich schön, attraktiv und begehrenswert bin, ist das stärkend und hilfreich. Doch wichtiger ist es, das in mir selbst zu fühlen. Ein gesundes, positives Körperbild ist nicht abhängig vom Urteil eines Partners oder einer Partnerin. Wenn ich mich in meiner Haut wohlfühle, dann weiss ich: Ich bin ok so, wie ich bin!
Gibt es Lebensabschnitte, in denen wir Menschen besonders verletzlich sind aufgrund des Körperbildes?
Je jünger du bist, desto verletzbarer bist du. In jungen Jahren suchen wir nach unserer eigenen Identität. Wir sind noch dabei herauszufinden, wer und wie wir sind. Gleichzeitig sind wir gezwungen, in dem Umfeld zurechtzukommen, das uns in dieser Lebensphase umgibt. Die Peergroup spielt hier eine wichtige Rolle.
Inwiefern?
Als Jugendliche und junge Erwachsene machen wir unsere ersten eigenen Erfahrungen mit Sexualität. Wir begegnen Menschen nackt, die nicht zur Familie gehören und werden auch in Film, Fernsehen und einschlägigen Zeitschriften mit Körperbildern konfrontiert. Verletzungen, die in dieser Phase geschehen, gehen besonders tief. Positive Erfahrungen von Annahme und gute Erlebnisse helfen uns, ein positives Körperbild zu entwickeln. Selbstverständlich können uns auch auf unserem weiteren Lebensweg Veränderungen begegnen, die Einfluss auf unser Körperbild haben.
Zum Beispiel?
Einschneidende Erlebnisse wie Erkrankungen oder Unfälle, aber auch Schwangerschaften und Geburten verändern unseren Körper und können unter Umständen eine Art Schock für unser Körperbild bedeuten.
Kann uns hier die Body-Positivity-Bewegung helfen oder ist sie mit Vorsicht zu geniessen?
Grundsätzlich ist es eine gute Idee, dass man sich so zu lieben lernt, wie man ist.
Für manche Menschen klingt das allerdings so utopisch, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen können, ihren Körper jemals zu lieben. Es setzt sie unter Druck, dieses Ziel erreichen zu müssen. Und das löst Stress aus. In diesem Fall ist es hilfreich, eine Stufe zurückzugehen und eine neutrale Akzeptanz des eigenen Körpers anzustreben. Das ist für viele Menschen mit einem bisher eher negativen Körperbild machbarer.
Sagen wir, ich bin unzufrieden mit meinem Körper und dieses Gefühl schränkt mich im Bett ein: Was kann ich aus therapeutischer Sicht tun, um das zu ändern?
Ein erster Schritt könnte sein, sich seiner negativen Gedanken erst einmal bewusst zu werden. Was genau denke ich denn in Bezug auf meinen Körper? Betreffen meine negativen Gedanken einen bestimmten Körperteil? Woher kommt es, dass ich so darüber denke? Welche Prägungen aus meiner Kindheit oder welche Erlebnisse haben zu diesem Bild geführt? Wenn wir Antworten auf diese Fragen finden, ist es möglich, genauer hinzuschauen. Oft ist es so, dass wir nicht unseren ganzen Körper ablehnen. Erst, wenn wir uns damit befassen, wird uns bewusst, was wir an uns selbst schön finden und akzeptieren.
Gibt es hierzu eine konkrete Übung, die du uns mit auf den Weg geben kannst?
Klar. Betrachte das Körperteil, mit dem du dich anfreunden willst, im Spiegel. Achte dabei auf die Signale deines Körpers: auf die Atmung, die Spannung im Körper. Je mehr du dich entspannst und in Ruhe atmest, während du dich einer solchen vermeintlichen Problemzone näherst, desto eher gelingt es dir, liebevoll zu dir selbst zu sein und desto wahrscheinlicher ist es, dass du eine positive Erfahrung mit dir selbst machst. Erst in einer solchen Atmosphäre kann dein Gehirn positive Gedanken überhaupt zulassen. So lernst du Schritt für Schritt, anders über deine Brust, deinen Bauch oder deine Oberschenkel zu denken und dich eines Tages auch anders damit zu fühlen.
Alle weiteren Beiträge aus der Serie findest du hier:
Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.