Wie Eltern mit Ängsten und Sorgen umgehen, färbt auf ihre Kinder ab.
Ratgeber

«Weshalb habe ich so grosse Angst, Mami?»

Ümit Yoker
20.9.2018

Wünschst du dir nicht manchmal, deine Kinder könnten furchtlos durchs Leben schreiten? Eltern fällt es oft schwer mitanzusehen, wie ihre Kleinen sich ängstigen. Doch Angst zu erleben und zu überwinden, ist für Kinder wichtig und gehört zu ihrer Entwicklung.

Es ist vielleicht das Wichtigste, das du über Kinderängste wissen musst: Eltern können Kinder nicht vor Ängsten bewahren – und müssen es auch nicht. Ängste sind wichtig. Sie schützen uns ein ganzes Leben lang immer wieder davor, dass wir uns unbedacht Gefahren aussetzen. Gleichzeitig wächst der Mensch an Ängsten, denen er sich stellt, das gilt auch für Kinder. Es gehört zu ihrer Entwicklung dazu, eigene Wege zu finden, um mit Ängsten umzugehen und sie zu überwinden.

Hunde, Blitz und dunkle Nächte

Wovor Kinder typischerweise Angst haben, ist je nach Alter unterschiedlich: Neugeborene fürchten sich vor lauten Geräuschen. Zwischen vier und sechs Monaten beginnen Babys unbekannte Menschen weniger häufig anzulächeln als vertraute. Viele entwickeln in den Monaten darauf sogar Angst vor Fremden – sie fremdeln. In dieser Zeit wächst auch die Trennungsangst: Kinder weinen, wenn das Mami weggeht oder nur schon den Raum verlässt. Diese Angst lässt im Alter von etwa zwei Jahren meistens nach, aber nimmt beim Eintritt in den Kindergarten oder die Schule manchmal wieder etwas zu.

Zwischen zwei und vier Jahren fangen Kinder an, sich vor der Dunkelheit zu fürchten, wie die Psychologin Sigrun Schmidt-Traub in ihrem Buch «Selbsthilfe bei Angst im Kindes- und Jugendalter» schreibt. Typisch für dieses Alter sind auch Ängste vor Hunden, Einbrechern oder Monstern, vor Blitz und Donner oder der nächsten Impfung. Mit dem Eintritt in die Schule kommen Ängste vor sozialen Situationen dazu: Kinder sorgen sich nun nicht nur, ob sie die geforderte Leistung erbringen können, sondern auch, ob sie Freunde finden oder ausgelacht werden.

All diese Ängste sind normal und lassen meistens von selbst wieder nach. Doch natürlich können auch Kinder schon panische Angst vor Spinnen oder Fahrstühlen entwickeln oder Panikattacken erleben, die sich nicht mehr von selbst legen. Während es bei solchen Ängsten sinnvoll ist, eine Fachperson beizuziehen, reicht bei entwicklungsbedingten Ängsten die Unterstützung der Eltern aus. In ihrem Buch «Was macht das Monster unterm Bett?» zeigt die Psychologin Monika Specht-Tomann auf, wie eine solche Hilfe aussehen kann.

Abschiede: Wann kommst du wieder, Mami?

Früher oder später verbringt jedes Kind auch Zeit getrennt von seinen Allernächsten. Seien es die Stunden in Kita, Kindergarten oder Schule oder dass es mal bei der Nachbarin bleibt, weil Papi einen Arzttermin hat. Das fällt Kindern je nach Alter und Temperament nicht immer gleich leicht.

Was hilft:

  • Selbständigkeit des Kindes in vertrauter Umgebung fördern
  • Neugier des Kindes unterstützen
  • Soziales Umfeld des Kindes langsam erweitern
  • Vermitteln, dass sich das Kind auch bei anderen Menschen sicher und geborgen fühlen kann
  • Frühzeitig auf Abschiede vorbereiten («Noch drei Mal schlafen, dann fährt Opa wieder nach Hause.»)
  • Kindern mit konkreten Anhaltspunkten vermitteln, wann das Wiedersehen ansteht («Ich hole dich ab, wenn der kleine Zeiger bei der Drei ist.»)
  • Herzlich, aber entschieden und ohne schlechtes Gewissen vom Kind Abschied nehmen

Schlafenszeit: Wenn den Schatten Arme wachsen

Zur Bettzeit nehmen in vielen Familien täglich kleinere und grössere Dramen ihren Lauf. Viele Eltern sind verunsichert, wie sie sich verhalten sollen, wenn Kinder mit dem Wunsch nach nochmals einem Glas Wasser und einer weiteren Geschichte die Schlafenszeit hinauszögern. Du tust den Kindern keinen Gefallen damit, wenn du dich darauf einlässt, ist Monika Specht-Tomann überzeugt. Wichtig ist es, sich vor dem Schlafengehen bewusst für seine Kinder und auch ihre Ängste Zeit zu nehmen, sich dann aber ebenso klar zurückzuziehen.

Was hilft:

  • Geregelte Abläufe am Abend, bei denen das Kind zur Ruhe kommen kann
  • Den Tag vor dem Schlafengehen gemeinsam Revue passieren lassen
  • Rituale pflegen: Gutenachtgeschichte, Singen, Beten, Kuscheln
  • Kleine Helfer in der Dunkelheit: Kuscheltiere, gedämpftes Licht, vertraute Geräusche
  • Kinder von ihren Träumen erzählen lassen oder sie auffordern, dazu etwas zu zeichnen. Albträume sind normal und kein Grund zur Sorge, solange sie nicht gehäuft und über einen längeren Zeitraum auftreten.

Soziale Situationen: Niemand spielt mit mir

Es braucht für ein Kind nicht nur Mut, abends alleine im Bett zu liegen. Es ist auch nicht immer einfach, auf dem Spielplatz auf andere Kinder zuzugehen, beim Bäcker alleine Brötchen zu holen oder in der Schule zu fragen, wenn es etwas nicht verstanden hat. Kinder (und nicht nur sie) haben Angst davor, ausgelacht zu werden oder keine Freunde zu finden.

Was hilft:

  • Kinder auf neue Situationen wie den Eintritt in den Kindergarten oder Schulwechsel vorbereiten: passende Bilderbücher und Rollenspiele vorschlagen, Schnuppertage und Eingewöhnungszeiten nutzen.
  • Ein geliebtes Plüschtier kann Trost und Sicherheit spenden und eine Brücke schlagen zwischen dem vertrauten Ort und der fremden Umgebung.
  • Kindern ermöglichen, dass sie auch ausserhalb der Schule neue Gspänli finden und Freundschaften pflegen können, beim Sport etwa oder mit den Nachbarskindern.
  • Kinder in die Lösung von (Schul)problemen einbeziehen: «Was müsste ein Zauberer machen, damit es dir in der Schule gut geht?». Kinder finden oft selber Wege, um Schwieriges zu meistern.

Katastrophen: Kann es auch hier Krieg geben?

Was draussen in der weiten Welt passiert, dringt in der Regel nicht bis in den kindlichen Alltag vor. Ob erschütternde Nachrichten Kindern nahegehen, hängt in erster Linie davon ab, wie betroffen die Eltern davon sind. Eine Rolle spielen aber auch das Alter der Kinder und ihr Zugang zu den Medien.

Was hilft:

  • Bewussten Umgang mit den Medien pflegen
  • Schwierige Inhalte mit Kindern gemeinsam anschauen und das Gespräch anbieten
  • Fragen ehrlich beantworten und die eigene Ratlosigkeit zugeben
  • Möglichkeiten aufzeigen, wie das Kind selbst aktiv werden und Solidarität zeigen kann: Kerzen anzünden, Gebet, Spielsachen verschenken

Trennung und Scheidung: Alles meine Schuld

Kinder spüren es, wenn ihre Eltern nicht mehr miteinander auskommen. Oftmals trauen sie sich aber nicht, zu fragen und suchen alleine nach Erklärungen für die Situation. Wenn die Eltern sich dann trennen, kommen sie zum Schluss, dass sie die Schuld daran tragen.

Was hilft:

  • Kindern immer wieder und unmissverständlich vermitteln, dass sie keine Schuld an der Trennung tragen
  • Kinder frühzeitig und in einfachen Worten über die Situation aufklären. Es ist für sie längerfristig viel schlimmer, den eigenen Ahnungen ausgeliefert zu sein als die Wahrheit zu hören. Ehrlichkeit stärkt ihr Vertrauen, dass sie ihren Gefühlen trauen können.
  • Wut und Trauer brauchen viel Raum und Zeit. Nicht erwarten, dass Kinder bereits nach wenigen Wochen oder Monaten die positiven Seiten der neuen Situation sehen.
  • Kinder sollen jederzeit über den anderen Elternteil reden dürfen und sagen, dass sie ihn vermissen, ohne dabei in einen Loyalitätskonflikt zu geraten.
  • Gemeinsame Rituale pflegen und möglichst wenig am sonstigen Alltag der Kinder ändern.

Krankheit und Tod: Warum ist Oma nicht mehr da?

Wie bei einer Trennung gilt auch bei einer Krankheit: Kindern ist nicht geholfen, wenn man ihnen die Wahrheit vorenthält. Im Gegenteil: Sie fühlen sich ausgeschlossen und allein gelassen mit ihrer Angst. Oft ist auch hier das, was sich Kinder ausmalen, viel bedrohlicher als die Realität. Ebenso brauchen Kinder auch hier viel Platz für ihre Trauer.

Was hilft:

  • Krankheit und Tod nicht vor Kindern geheim halten, sondern sie in Gespräche einbeziehen
  • Fragen ehrlich, aber kindgerecht beantworten
  • Kontakt zur kranken Person ermöglichen
  • Kindern das Gefühl geben, dass sie etwas für die erkrankte Person tun können: Zeichnungen, Blumensträusse, gute Gedanken schicken
  • Trauer des Kindes, auch beim Tod eines Haustieres, ernst nehmen

Eltern als Vorbilder

Bei allen Tipps gilt: Eltern leben ihren Kindern vieles vor. Gerade wenn es um Ängstlichkeit in sozialen Situationen geht, orientieren sich Kinder stark an ihren Nächsten. Sie nehmen auf, wie diese sich mit anderen Menschen verhalten. Kinder müssen spüren, dass du selbst Vertrauen in die Welt um dich herum hast. Kinder bei der Bewältigung ihrer Ängste zu unterstützen, bedeutet vor allem: Geborgenheit geben und ihnen etwas zuzutrauen. «Das bedeutet nicht, alles Schwere, Unverständliche und Belastende vor Kindern tunlichst zu verbergen, von ihnen fernzuhalten oder unter den Teppich zu kehren», schreibt Specht-Tomann in ihrem Buch. «Vielmehr geht es darum, Kindern einen Ort zu schaffen, der ihnen Heimat sein kann und einen geschützten Rahmen darstellt, wo Kindersorgen und Kinderängste ausgesprochen werden können.»

Weiterführende Lektüre

  • Monika Specht-Tomann: «Was macht das Monster unterm Bett?»
  • Sigrun Schmidt-Traub:«Selbsthilfe bei Angst im Kindes- und Jugendalter»
  • «Kinderängste, Kinderfragen» (Elternbrief Nr. 31 aus dem Set 4. - 6. Lebensjahr von Pro Juventute)
Titelbild: Wie Eltern mit Ängsten und Sorgen umgehen, färbt auf ihre Kinder ab.

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Journalistin und Mutter von zwei Söhnen, beides furchtbar gerne. Mit Mann und Kindern 2014 von Zürich nach Lissabon gezogen. Schreibt ihre Texte im Café und findet auch sonst, dass es das Leben ziemlich gut mit ihr meint.<br><a href="http://uemityoker.wordpress.com/" target="_blank">uemityoker.wordpress.com</a> 


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