
«Anthem» Let's Play: Trotz fetten Mechs zündets nicht richtig

Mächtige Roboter-Kampfrüstungen, imposante Grafik, kooperatives Gameplay und Bioware-Storytelling? Klingt nach der perfekten Mischung. Warum «Anthem» trotzdem nicht der erhoffte Knaller geworden ist, zeigen euch Simon und ich im Livestream am Freitag 15:00 Uhr.
Der Enthüllungstrailer an der E3 2017 war einer dieser «Fuck, sieht das fett aus»-Momente. Man sah darin wie man mit einem Iron-Man-ähnlichen Kampfanzug durch eine üppige Tropenlandschaft flog und gegen riesige Monster kämpfte. Die Grafik atemberaubend, die Action satt und die Story spannend und geheimnisvoll. Den Machern von «Dragon Age», «Star Wars: Knights of the Old Republic» und ähm ja, auch «Mass Effect Andromeda». Trotzdem. Insgesamt deutete alles auf den nächsten, grossen Hit hin. Trotz dieser Prämisse bleibt das Spiel hinter meinen Erwartungen zurück.
Das positive: Grafik, Action, Javelins
«Anthem» spielt irgendwann in der Zukunft in einer fiktiven Welt. Diese wurde von Göttern, den Shapers (Gestalter), erschaffen. Die Shapers bedienten sich der geheimen Energiequelle namens Anthem. Offenbar haben sie mittendrin die Lust verloren, weshalb die Welt unvollendet ist. Das Ergebnis ist eine von Stürmen und Gefahren geplagte Welt mit zahlreichen Völkern, die den Menschen an den Kragen wollen, allen voran die hochtechnologisierten Dominion.
Du übernimmst die Rolle eines Freelancers, der aus der Siedlung Fort Tarsis Aufträge erledigt.
Dafür stehen dir vier absolut schnittigen Kampfrüstungen namens Javelin zur Verfügung. Colossus, das Equivalent zum Tank, Storm, die Glaskanone, Ranger, der Allrounder und Interceptor, der Nahkampfninja.

Mit deinem Javelin kannst du die Welt frei erkunden. Die Vertikalität der Region Bastion ist beeindruckend. Zwar überhitzt dein Anzug etwas zu schnell für meinen Geschmack, mit Sturzflügen oder indem du durch Wasserfälle fliegst, kannst du die Maschine immerhin runterkühlen. Der Welt mangelt es etwas an ikonischen Wahrzeichen, dennoch wirkt sie durch ihre Grösse und ihre mysteriösen Bauten und Kreaturen imposant.

Die Action steht in «Anthem» an erster Stelle. Da du praktisch immer im Viererteam unterwegs bist, kracht und rumst es an allen Ecken und Enden. Mit Granatwerfern, Blitzangriffen oder Feuerwänden prügeln du und deine Kameraden auf die Gegner ein, bis wortwörtlich die Funken sprühen. Das Spiel setzt auf ein Kombosystem, das mit den unterschiedlichen Waffen und Fähigkeiten ausgelöst werden kann. Besonders auf den Schwierigkeitsgraden oberhalb von Schwer, werden Kombos essentiell.

Den Kämpfen mangelt es daher nicht an Dynamik. Du musst ständig in Bewegung bleiben, wenn du nicht eingekreist oder von Flächenangriffen getroffen werden willst. Die Flugfähigkeit könnte aber noch stärker eingesetzt werden.
Während du zunächst nur einen Javelin steuern darfst, kommen die drei restlichen bei Level 8, 16 und 26 dazu. Ausrüsten darfst du sie jederzeit. Der Colossus beispielsweise kann in einem Slot entweder Minenwerfer, Flammenwerfer oder Blitzangriffe installieren. Ein Craftingsystem ist auch vorhanden. Ein Highlight ist für mich das individualisierbare Design der Javelins. Hier kannst du dich richtig austoben. Es gibt verschiedene Oberflächenmaterialien, Farben und Abnutzungsgrad der Rüstung.
Das Negative: Wo soll ich anfangen?
Bioware unwürdige Story
Nach etwa 15 Stunden hatte ich die Story und praktisch alle Nebenaufträge durchgespielt. Mitgerissen hat mich die Geschichte nicht. Ich könnte sie dir nicht mal richtig erklären. Das von einem Bioware-Spiel zu behaupten, ist schon ein schwerer Schlag. Allerdings ist die Firma durch zahlreiche Abgänge längst nicht mehr, was sie einmal war. Die Story wird primär durch Dialoge in Fort Tarsis übermittelt. Die könnten nicht statischer sein. Die Stadt und die Bewohner wirken absolut leblos. Dabei wären die Geschichten der Menschen spannend. So wie sie mir serviert werden, schläft mir das Gesicht ein. Überzeugt haben mich lediglich die Zwischensequenzen. Dort kommt Leben auf. Würde das Spiel nur aus Missionen und Zwischensequenzen bestehen – ich wär glücklich(er).

Mittelprächtiger Loot
Ein grösseres Versagen ist der Loot. Bei einem Spiel, das in die gleiche Kerbe schlägt wie «Destiny», muss die Beute das Highlight sein. In den Missionen sammelst du aber lediglich bunte Kristalle ein, die den Loot symbolisieren. Erst am Ende der Mission kannst du sie ausrüsten. Das wär noch knapp zu verkraften. Die Variation der Waffen und Ausrüstung fällt aber nicht sehr üppig aus. Von jedem Waffentyp (Shotgun, Sniper etc.) gab es bis jetzt nur eine handvoll Variationen und ihre Boni wirken völlig zufällig. Beispiel gefällig? Eine Shotgun, die 10 Prozent mehr Schaden für die Sniper bringt. Es läuft darauf hinaus, dass du einfach regelmässig Waffen und Ausrüstung gegen solche mit einem höheren Level tauschst, ohne ihnen viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ikonische Waffen stehen erst ab Level 25 zur Verfügung..
Unpompöser Levelaufstieg
Unverständlich ist mir auch, dass dem Levelaufstieg null Aufmerksamkeit geschenkt wird. Keine Fanfaren, keine Effekte, nichts. Nur wenn du ab und zu eine neue Fähigkeit durch einen neuen Level freischaltest, fällt dir auf, dass du wieder ein paar Level gewachsen bist.
Repetitive Missionen
Das Missionsdesign wird auch niemanden vom Hocker hauen. Praktisch jede Mission spielt sich gleich ab. Wegpunkt anfliegen, alle Gegner besiegen, warten, bis der nächste Wegpunkt angezeigt wird und das Spielchen beginnt von vorne. Ab und zu musst du leuchtende Sphären einsammeln oder kleine Bilderrätsel lösen. Auch die Storymissionen weichen nur selten von dieser Formel ab. Immerhin: Die Bosskämpfe, besonders in den Strongholds, bieten etwas Abwechslung.

Ladezeiten
Das Spiel wird regelmässig von Ladefenstern unterbrochen. Der Start einer Mission kann mehrere Minuten dauern. Und auch in den Missionen kommt es immer wieder zu kurzen Ladeunterbrechungen, wenn du eine Höhle oder dergleichen betrittst. Oder geschweige, du fällst mal hinter deine Kameraden zurück. Dann bleiben dir nur wenige Sekunden, bis es dich zu ihnen teleportiert, was in einen Ladebildschirm resultiert.
Mit dem Day One Patch soll das verbessert worden sein. Kollege Simon Balissat hat davon bisher nichts gespürt. Kommt hinzu, dass die Bezeichnung Day One eine absolute Frechheit ist. Das Spiel ist für Origin Access (resp. EA Access) Nutzer schon seit einer Woche verfügbar. Sind die Spieler, die extra bezahlt haben, um früher spielen zu können also bloss Betatester?
Unterhaltsam, aber dennoch enttäuschend

«Anthem» macht vieles richtig. Die Javelins sehen absolut genial aus und wenn du dich mal wie Iron Man fühlen wolltest, dann gibt es kein besseres Spiel. Wenn du mit dem Colossus aus 50 Metern auf den Boden knallst, dann spürst du das Gewicht. Dann knallt es. Kabumm. Und wenn du mit Storm ein gewaltiges Blitzgewitter über Gegnern abfeuerst, dann vibriert die Luft. Vier Javelins, die sich auf eine Gegnergruppe stürzen, zünden ein Feuerwerk, wie ich es noch nie erlebt habe.
Das Kampfsystem ist dynamisch und das Zusammenspiel der verschiedenen Fähigkeiten und Kombos sorgt dafür, dass mir in den Gefechten trotz mangelnder Gegnervariation nie langweilig wurde.

Dem gegenüber steht das leblose Fort Tarsis, eine fade Story, die nur in den Zwischensequenzen etwas aufflammt, repetitives Missionsdesign und Loot, der nur bedingt zum Weiterspielen motiviert.
«Anthem» sieht imposant aus, aber Bioware muss noch einiges nachliefern, damit den Spielern nicht zu schnell der Spass vergeht. Immerhin: Alle zusätzlichen Inhalte sollen gratis nachgeliefert werden. Die Frage ist nur, ob EA das Spiel so lange unterstützen wird, sollte es nicht der erhoffte Millionenseller werden.
Einen Eindruck vom Spiel erhaltet ihr mit unserem Let’s Play.
«Anthem» ist erhältlich für PC, PS4 und Xbox One.


Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.