
«Biomutant» im Test: Ein paar Mutationen zu viel

«Biomutant» ist ein ambitioniertes Openworld-Action-Game mit einer kunterbunten Spielwelt, das sich leider etwas zu viel aufgebürdet hat. Wer gewillt ist, findet den Spielspass dennoch.
Die Welt ist gross, bunt und voller Leben. Überall gibt es etwas zu entdecken. Die Checkliste mit Freizeitbeschäftigungen in «Biomutant» ist so lang, dass selbst «Assassin’s Creed» ins Schwitzen gerät. Dabei besteht das schwedische Entwicklerstudio Experiment 101 aus gerade mal 20 Personen. Ubisoft, Rockstar und Co. zählen auf hunderte, teilweise sogar tausende Mitarbeiter bei ihren Openworld-Produkten. Die meisten Reviews und User-Bewertungen zeigen dann auch, dass sich das kleine Team mit «Biomutant» wohl etwas übernommen hat.
Die Openworld ist der Klebstoff

Dabei fängt alles ganz gut an. «Biomutant» spielt zur Abwechslung (haha) in einer postapokalyptischen Welt. Menschen gibt es keine (mehr), stattdessen wird die vor Farben sprühende Welt von allerhand flauschigen Säugetieren bewohnt. Die gehen dank irgendwelchen Mutationen (die Story ist leider völlig nebensächlich) meist auf zwei Beinen und haben sich in sechs verfeindete Stämme aufgeteilt, denen du dich anschliessen kannst. Deine Aufgabe ist es, den Weltenbaum zu retten, der von einer Naturkatastrophe und riesigen Weltenfressern bedroht wird.
So weit so unbedeutend.
Davor erstellst du in einem umfangreichen Charaktereditor deinen angehenden Helden. Je nachdem, welche Resistenzen, Skills, Klasse und Rasse du wählst, verändert sich das Aussehen deines Fellknäuels. Die Kreationen sind erfrischend anders, als in sonstigen Openworld-Games und ein kleiner Vorgeschmack, was für eine Vielfalt dich im Rest der Welt erwartet.

Danach folgt jedoch ein erster Dämpfer, der im Verlauf des Spiels immer mehr zum Klotz wird: Der Erzähler. Seine Stimme aus dem Off kommentiert alles, was du tust und agiert sogar als Dolmetscher in Dialogen, die du als Bewohner ja eigentlich verstehen würdest. Zumindest der englische Sprecher macht seinen Job zwar super und die Stimme klingt sehr angenehm. Das ständige pseudophilosophische Naturgebrabel erinnert trotzdem primär an eine Bilderbuchversion von «Captain Planet».
Glücklicherweise kannst du die Kadenz in den Einstellungen selbst bestimmen und das Voice Over sogar ganz deaktivieren.

Wenn der Erzähler endlich mal die Klappe hält, kannst du die wundersame Welt bestaunen. Sie ist fast das exakte Gegenteil der braunen Ödnis eines «Fallout»-Games. Alles ist knallbunt und strotzt vor Leben. Von saftig grünen Wiesen, über ölverschmutze graue Krater bis zu knallroten Felslandschaften wird die Welt von «Biomutant» nie langweilig. Auch die Lebewesen darin, die dir zu 90 Prozent feindlich gesinnt sind, könnten direkt aus dem Pixar-Klassiker «Monsters, Inc.» stammen. Zwar wurde bei vielen Gegnern lediglich ein anderes Skin drüber gestülpt, der Illusion tut das keinen Abbruch.
Wenn du nicht gerade auf der PS5 spielst, die aktuell noch mit Grafik-und Performance-Problemen zu kämpfen hat, ist «Biomutant» ein echter Hingucker. Besonders in Kämpfen geht optisch die Post ab, wenn du mit Fähigkeiten um dich wirfst oder Spezialangriffe auslöst, die von bunten Schriftzügen begleitet werden.

Das Kampfsystem ist jedoch eines von vielen Elementen, das nicht zu 100 Prozent überzeugt. Einerseits fehlt es den Angriffen und den Waffen zumindest anfangs deutlich an Wucht. Ausserdem sind die gegnerischen Angriffe nicht immer klar lesbar oder das Timing abschätzbar, um einen Konterangriff zu landen oder auszuweichen. So verkommen Kämpfe in den ersten Stunden schnell zu Button Mashing.
Dabei steht dir eigentlich ein riesiges Arsenal an Fähigkeiten zur Auswahl wie eine Faust, die aus dem Boden schnellt, Eisringe, die Gegner einfrieren oder eine Feuerspur, die du beim Rennen hinterlässt. Zusätzlich gibt es unzählige Nahkampf- und Schusswaffen, die du selber zusammenstellen kannst. Auch deine Rüstung kannst du laufend verändern und verbessern. Die Ressourcen dazu findest du in der Welt verstreut. Der Loot macht einen grossen Teil des Spiels aus. Egal, wo du hingehst, überall gibt es irgendeinen Kofferraum zu plündern und Häuser oder Bunker zu durchstöbern, immer auf der Suche nach der nächste Superwaffe oder einem neuen Mod für deine Kreationen. Das Erkunden dieser verwunschenen Welt mit all den Hinterlassenschaften der untergegangenen Zivilisation sind für mich eines der Highlights des Spiels.
Zu viel des Guten

Wunderschöne Spielwelt, ein Berg an Waffen und Fähigkeiten und jede Menge schräges Kanonenfutter, das klingt doch nach einem guten Spiel. Ist es auch, aber bei fast allem Positiven gibt es auch etwas Negatives zu beanstanden. Das Problem rührt eindeutig daher, dass Entwickler Experiment 101 sich viel zu viel aufgeladen hat. Neben den üblichen Quests, Kämpfen, Looten und Craften gibt es Schlösserknackmechaniken, ein Begleitroboter, ein Gut-und-Böse-System, ein Dialogsystem, feindliche Aussenposten zu erobern, verseuchte Gebiete zu bereinigen, kleine Nager einzufangen, Schreine zu finden, Ressourcen abzubauen, drei verschiedene Upgrade-Währungen, verschiedene Fahrzeuge und Reittiere und noch vieles mehr, das mir grad nicht in den Sinn kommt.

Das wäre alles kein Problem, wenn jedes dieser Elemente sauber implementiert wäre. Stattdessen wirkt vieles nicht ganz zu Ende gedacht. Schlösser knacken ist meist unfassbar einfach und andere Male unnötig kompliziert, weil nicht klar erkennbar ist, was zu tun ist. Das Gut-Böse-System hat praktisch keine Auswirkungen, die Aussenposten sind nicht die geringste Herausforderung, so dass das Spiel dir nach der Hälfte sogar anbietet, den Rest zu überspringen (was ich sehr schätze). Und viele Mechaniken wie das Kombosystem werden nicht gut genug erklärt, so dass ich nur per Zufall drüber gestolpert bin, dass du nach drei unterschiedlichen Spezialangriffen deinen Superangriff zünden kannst.
Spass macht es trotzdem

Trotz einiger Unzulänglichkeiten habe ich nach 20 Stunden Spielzeit immer noch voll Bock auf «Biomutant». Ich mag diese verwunschene Welt mit all ihren flauschigen Bewohnern und der Prise Postapokalypse. Hinzu kommt, dass ich mit all meinen Mutationen, meinem riesigen Eishammer und meiner Elektro-Superwumme wie ein Pflug selbst durch grössere Gegnertruppen marschiere. So muss für mich ein Action-RPG sein. Ich bin es auch längst nicht leid, die Welt zu erkunden. Mein Questlog ist mittlerweile so überfüllt, dass meine Zwangsneurose längst aufgegeben hat und ich ganz entspannt erkunde, was mich gerade anlacht. «Biomutant» ist nicht für jede*n. Aber wenn du weisst, auf was du dich einlässt und dem Spiel ein paar Stunden Zeit gibst, sich zu entfalten, dann erwartet dich eine bunte Welt voller Loot, Action und Abenteuer.
«Biomutant» ist erhältlich für PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series S/X und wurde mir von THQ Nordic zur Verfügung gestellt.


Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.