

Auf was es beim Ohrringe-Stechen zu achten gilt
Lange haben wir es hinausgezögert, jetzt ist es passiert: Unsere achtjährige Tochter hat sich durchgesetzt und endlich ihre ersten Ohrringe gestochen bekommen. Worauf sollten wir Erwachsene aber achten?
Da ist er nun also gekommen: der Tag, an dem meine Tochter ihre ersten Ohrringe bekommt. Doch plötzlich ist sie sich nicht mehr sicher, ob sie es machen soll oder nicht. Einerseits mag das an mir liegen, weil ich immer und immer wieder versucht habe, ihr diesen Wunsch mit Worten wie «Nein, mein Schatz, wieso nur? Du gefällst mir ohne Schmuck eh viel besser!» auszuschwatzen. Andererseits fürchtet sie sich wohl einfach vor dem Stechen, respektive Ohrring-Schiessen. Darauf sollten Eltern beim Ohrringe-Stechen ihrer Kinder achten.

Quelle: Martin Rupf
Am Anfang tun es noch Ohrring-Sticker
Doch beginnen wir von vorne. In einigen Teilen der Welt ist es gängige Praxis, dass Mädchen schon sehr früh Ohrringe erhalten. So werden vor allem in Asien, Afrika sowie Mittel- und Südamerika oft schon Babys Ohrringe gestochen. Auch in Italien ist es üblich, dass Babys Ohrschmuck tragen. Hierzulande sieht man das weniger. Und doch wünschen sich viele Mädchen auch hier eher früher als später Ohrringe. Entweder weil ihre Freundinnen schon Ohrringe tragen oder weil sie sich Frauen aus dem realen oder auch fiktiven Leben zum Vorbild nehmen.
Bei unserer Tochter war das nicht anders. Ihre ersten Begehrlichkeiten konnten wir zum Glück noch mit Ohrring-Stickern befriedigen.
Doch der Druck stieg nach und nach, zumal immer mehr Freundinnen meiner Tochter Ohrringe gestochen bekamen. Es war klar, dass wir dem Wunsch unserer Tochter nachgeben werden (müssen). Bevor wir uns an dieses Abenteuer wagten, holte ich mir noch fachkundige Informationen bei einer befreundeten Apothekerin ein, da ich mal gehört hatte, dass man sich seine Ohren auch in Apotheken stechen lassen kann. Ich wollte von ihr zuerst wissen, ob aus medizinischer Sicht etwas dagegenspricht, schon sehr kleinen Kindern – nicht nur Mädchen wollen Ohrringe – die Ohren zu stechen.
«Grundsätzlich gibt es keine Altersgrenzen. Wir haben uns jedoch entschieden, Kinder erst ab einem Alter von fünf Jahren zu stechen», sagt Sarah Ali, Inhaberin der Vindonissa Rotpunkt-Apotheke in Windisch. Dies, weil kleine Kinder sich oft noch unkontrolliert bewegen und sich nach dem Stechen oft ans Ohr fassen würden, weil das gestochene Ohrläppchen noch schmerzt oder juckt oder die Kinder auch einfach nur neugierig sind.
Als Nächstes will ich wissen, ob es stimmt, dass Stechen mit einer sterilen Nadel hygienischer sei als das Ohrringe-Schiessen. «Es kommt bei beiden Methoden auf die verwendeten Instrumente an. In unserer Apotheke stechen wir das Ohrläppchen sanft mit einem sehr spitzen geschlossen sterilen Steckersystem. Dies ist hygienisch, erfolgt schnell ohne lauten Knall und verursacht kaum Schmerzen», erklärt Apothekerin Ali. Auch am Knorpel werde übrigens gestochen, da der Knorpel sonst Schaden nehmen könnte. «Wir bieten aber nur das Stechen des Ohrläppchens an. Für alle anderen Stellen empfehlen wir den Gang in ein Piercing Studio.»
Weil es sich beim Ohrringe-Stechen oder -Schiessen streng genommen um eine Körperverletzung handelt, braucht es zwingend eine schriftliche Einverständniserklärung der Eltern, ergänzt die Apothekerin.
Sind die Ohrstecker mal drin, dürfen sie sechs Wochen nicht mehr raus
Dem Ohrring-Schiessen – nicht -Stechen – für unsere Tochter steht also nichts mehr im Weg. Nach langem Hin und Her überwindet sie ihre Angst und fährt zusammen mit meiner Frau in die Stadt. Ich gebe ihr einen Abschiedskuss auf den Mund und schaue sie mir ein letztes Mal ohne Ohrringe an. Als ich ein paar Stunden später wieder von der Arbeit nach Hause komme, empfängt sie mich mit einem grossen Strahlen und leicht geröteten Ohrläppchen. Ob es fest wehgetan habe, will ich von ihr wissen. «Nein, überhaupt nicht», sagt sie voller Stolz. Ob sie denn nach dem ersten Schiessen keine Angst vor dem zweiten gehabt habe? «Nein, beide Löcher wurden mir gleichzeitig geschossen.»

Quelle: Martin Rupf
So, das Gröbste wäre überstanden. Die nächsten sechs Wochen darf sie die Ohrringe jetzt nicht aus dem Ohr entfernen und muss die Löcher im Ohrläppchen mehrmals täglich desinfizieren, wurde meiner Tochter und meiner Frau nach dem Ohrring-Schiessen mit auf den Weg gegeben. Klammer auf: Hätte eine Freundin von mir diesen Artikel schon früher lesen können, hätte sie nicht den folgenschweren Fehler begangen und ihrer Tochter die Ohrstecker aus dem Ohr genommen, um sie zu desinfizieren. Vergeblich, und unter Zuführung grosser Schmerzen, habe sie dann versucht, ihrer Tochter die Stecker wieder ins Ohr zu drücken.
Doch zurück zu meiner Tochter. «Weiter empfiehlt es sich, die Ohrringe ein- bis zweimal pro Tag zu drehen, damit die Stecker locker bleiben im Loch», erklärt Sarah Ali. Ganz wichtig sei zudem, nicht mit unsauberen Händen an die Stecker zu fassen und den Stecker nicht ins Ohrläppchen zu drücken. Von einem generellen Wasserkontakt-Verbot, wie es meiner Tochter auferlegt wurde, will Sarah Ali aber nichts wissen. «Man kann zum Beispiel ins Hallenbad. Wichtig ist einfach, sich die Ohren unter der Dusche gut zu spülen und danach jedes Mal zu desinfizieren.»
Und was, wenn es trotzdem zu einer Entzündung kommt? «Ein wenig durchsichtiges Wundwasser ist kein Problem», erklärt Sarah Ali. «Wenn sich das Ohrläppchen jedoch rötet, zu eitern beginnt oder plötzlich Fieber ausbricht, empfehle ich, eine Apotheke oder Arztpraxis aufzusuchen.»
Ich geb’s zu: Die Ohrringe stehen meiner Tochter super
Die erste Nacht nach dem Stechen hat meine Tochter fast kein Auge zugetan. Dies lag aber nicht etwa daran, dass ihre Ohren geschmerzt hätten. Nein, sie war schlicht dermassen aufgeregt, ihren Freundinnen in der Schule ihre Ohrringe präsentieren zu können, dass an einen tiefen Schlaf nicht zu denken war.
Das Stechen ist nun schon eine Woche her. Noch sieht alles gut aus. Gut aussehen tun – ich muss es hier zugeben – auch ihre Ohrringe. Meine Vorbehalte waren wohl doch unbegründet.

Quelle: Martin Rupf
Und überhaupt: Was sind schon ein paar Ohrringe, wenn vielleicht in weniger als zehn Jahren Piercings oder Tattoos zur Diskussion stehen. Eines ist gewiss: Mit «Lass das doch sein, du gefällst mir ohne natürlich viel besser» wird sich meine Tochter dannzumal noch viel weniger von ihren Vorhaben abbringen lassen.
Titelfoto: ShutterstockZweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.