
Meinung
Wie ich ein Buch gelesen haben werde
von Patrick Bardelli
Jetzt sind schon wieder ein paar Wochen vergangen, seit Endo Anaconda gestorben ist. Der Frontmann von Stiller Has erlag Anfang Februar mit 66 Jahren einem Krebsleiden. Mein Abschied.
Ciao Endo. Wir haben uns zwar nie persönlich kennengelernt und dennoch fühlte ich mich dir stets nahe. Darum habe ich ein wenig Zeit gebraucht, um meine Gedanken zu deinem Tod zu ordnen.
Angefangen hat meine Karriere als Stiller-Has-Fan 2005. Ich sass um drei Uhr morgens, frisch verliebt, in der Küche meiner heutigen Frau. Alles neu, alles aufregend, alles noch ungewiss. Was wird daraus? Nun, es wurden 17 Jahre Beziehung inklusive Familie. Still counting. Und du trägst daran eine «Mitschuld».
«Wie findest du eigentlich Stiller Has?», fragte mich Daniela damals in ihrer Küche und schaute mir dabei mit ihren blauen Augen tief in die meinen. «Äh ..., keine Ahnung?». Ich hatte bis zu jener Nacht nur gerade «Aare» schon mal gehört und wohl den Zugang zu deinen Texten noch nicht so gefunden. Das sollte sich jedoch im nächsten Moment schlagartig ändern. CD in den Player, klack, Deckel zu und los:
Schon nach den ersten Takten «Znüüni näh» war's um mich geschehen: genialer Text, brillante Musik von Balz Nill und Schifer Schafer. Eine Offenbarung um drei Uhr morgens in einer Kleinbasler Küche.
Seither war und bin ich erstens ein Fan und zweitens sicher, dass das mit der Schönen in der Küche was Ernstes wird. Eine Frau, die solche Musik gut findet, finde ich gut. Danke für deine Vermittlungsdienste.
17 Jahre sind seit jener Nacht im März vergangen. Unsere gemeinsame Tochter ist unterdessen ein Teenager, der den Zugang zu deinen Texten (noch) nicht gefunden hat. Ganz der Papa halt. Und unzählige CD's und Konzerte mit Stiller Has später steht noch immer fest: Tief in uns drin sind wir alle Walliseller, die morgens um neun ihr Znüüni nehmen und den Moudi füttern. Du hast mir mit deinen Liedern meine Schweizer Befindlichkeit oft wunderbar gnadenlos um die Ohren gehauen.
Und trotzdem haben sich mir deine Texte, die sich mit deinen österreichischen Wurzeln beschäftigen, am stärksten in meine Seele gegraben. «St. Veit» und die Sache mit den zwei Herzen in der Brust. Das eine links, das andere rechts. Und geht's dem einen Herzen gut, dann geht's dem andern Herzen schlecht.
Vor ein paar Tagen stand Daniela plötzlich neben mir, mit einem Buch in der Hand. Fürs Radio machte sie 2006 einen Beitrag zur Lesereihe von «Sofareisen». Deine gesammelten Kurzgeschichten zur unendlichen Schwierigkeit der menschlichen Existenz. Vor allem der eigenen.
Mit dem Leben ist es ähnlich wie mit dem Snowboarden. Entweder man kann es oder man kann es nicht.
Sie hatte dich damals um ein Autogramm für mich gebeten. Während ich diese Zeilen tippe, «St. Veit» in den Ohren, liegt es vor mir auf dem Schreibtisch. Es fühlt sich fast an wie deine Abschiedsbotschaft nur für mich. Irgendwie stirbt ja immer auch ein Stück der eigenen Geschichte mit, wenn ein Künstler oder eine Künstlerin geht. Das ging mir schon bei David Bowie so, bei Prince und jetzt bei dir.
Mach's gut Endo. Ich werde dich vermissen.
Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.