Meinung

Wie ich ein Buch gelesen haben werde

Ich hatte plötzlich dieses Bedürfnis, wieder einmal ein Buch zu lesen. Ein Buch? Ja, dieses Ding aus Papier. Du weisst schon: voll eighties und so.

Der Mensch bewältigt seine Krisen auf unterschiedliche Arten. Die einen kaufen Klopapier, als gäb’s kein Morgen mehr. Und müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie heute überhaupt so viel stuhlen können. Dann gibt es die, die es schon immer gewusst haben. Egal was. Andere wittern die weltweite Verschwörung zur Abschaffung sämtlicher Senioren und mich packt plötzlich dieses Verlangen, ein Buch zu lesen.

Das sind diese meist rechteckigen Dinger. Also ein Blogpost in Papierform. Papier? Weiss, dünn … Die Senioren, die laut Verschwörungstheoretiker gerade abgeschafft werden, kennen es noch: Papier. Das Buch. Und lesen, stundenlang. Das Folgende ist jedoch keine Buchbesprechung. Ich wiederhole, KEINE Buchbesprechung.

Plötzliches Lesebedürfnis

Wie es zu diesem Bedürfnis kam? Da muss ich kurz ausholen. Es war einmal vor langer Zeit, da schenkte mir meine Frau zu Weihnachten den neuen Roman «GRM Brainfuck» von Sibylle Berg. Die gute Frau Berg hatte mich schon beim Titel im Sack. Und ich mag ihre Schreibe. Seit vier Monaten steht das Buch nun im Regal und wartet darauf, gelesen zu werden. Zweimal hatte ich damit begonnen, zweimal kapitulierte ich nach 50 Seiten. Zu düster, zu schwer die Kost. Schliesslich war Advent. Die Zeit der Lichter und Kerzen, der Weihnachtsmärkte und Glühweinbuden. Der verführerische Duft frischgebackener Zimtsterne hing in der Luft.

Nun also Homeoffice. Alleine in meinem Zimmer zimmere ich Texte. Draussen scheint die Sonne, drinnen qualmt der Schädel. Damit wir uns recht verstehen. Ich arbeite gerne im Homeoffice. Es fällt mir nicht schwer, mit einer gewissen Disziplin Struktur in den Arbeitsalltag zuhause zu bringen. Und ich bin wohl ein Einzelgänger. Rollläden runter, Licht an. Schotten dicht. Mit anderen Worten: Ich bin bereit für Sibylle Berg.

Social Media und der Brainfuck

Ich wäre bereit für ihren Roman. Die Welt hat andere Pläne. Nach drei Wochen Lockdown kommt unsere 24-Stunden-Spass-Gesellschaft an ihre Grenzen. Sie steht beinahe still. Unternehmen gehen pleite, Arbeitsplätze flöten. Das ist richtig Kacke. So viel WC-Papier kann niemand hamstern. Ostern steht vor der Türe. Wir sollen unsere Familien nicht sehen. It sucks!

Digital jedoch steppt der Bär. Alle Nase lang poppt irgendwas auf. Da nützen selbst die dichtesten Schotten nichts. Selbst ernannte Corona-Experten geben sich auf Facebook die mediale Klinke in die Hand. Präsidenten und Gouverneure twittern aufeinander ein. Auf Youtube und Instagram wird in Livestreams geturnt, gekocht, getanzt und gebacken, dass die Schwarte kracht. Wenn man dem französischen Philosophen Blaise Pascal glauben darf, war das schon im 17. Jahrhundert nicht anders:

Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.
Blaise Pascal

Warum fällt es uns so schwer, einmal die Füsse still zu halten? Raus aus unseren Hamsterrädern. Entschleunigung. Wann, wenn nicht jetzt? Oder sind unsere Gehirne schon so malträtiert, dass wir nach ein paar Wochen kollektiv die Nerven verlieren, wenn nicht die Permanentbespielung läuft? Die Antworten auf diese Fragen finden sich womöglich in Sibylle Bergs Roman.

Also. Auf ein Neues. «GRM Brainfuck» zum Dritten.

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Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


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