

Der Upright Go, das Tamagotchi 2.019

Beugst du dich gerade über dein Smartphone? Hängst du am Laptop? Bist du also ein ganz normaler Mensch, Version 2.019? Dann erscheint es dir vielleicht logisch, den lifestylebedingten Rundrücken mit Technik zu bekämpfen. Das ist der Ansatz des «Upright Go». Dem Haltungstrainer, der dir im Nacken sitzt.
Alleine die Idee ist so herrlich konsequent, dass ich dieses Gadget unbedingt ausprobieren muss. In einer Zeit, in der die Technik unser Leben mehr und mehr dominiert und der Körper unter der Last der vielen Terrabytes, die wir klicken, schicken, checken müssen, langsam kapituliert, hilft gegen die schlechte Körperhaltung – noch mehr Technik! Na klar! Mit diesem Versprechen haben die Macher des «Upright Go» auf Kickstarter 1 118 468 Dollar eingesammelt. Das hat etwas Optimistisches. Es bringt nix, sich der Zukunft zu verweigern. Die Frage ist nur, ob es auch so gut funktioniert wie das lustig gemachte Kampagnenvideo suggeriert.

Tamagotchis an die Macht
Entstanden ist aus der Millionen-Kampagne ein kleines weisses Ding, das du dir in den Nacken kleben kannst. Es sieht aus wie eine geschrumpfte Magic Mouse von Apple und vibriert, wenn du mal wieder zu sehr zusammensackst. Ich muss an Tamagotchis denken. Diese piepsenden Plastik-Dinger, die uns Kinder der 90er in der Prä-Handy-Ära darauf vorbereitet haben, sich pausenlos um ein Stück Elektronik zu kümmern. Füttern, pflegen, umsorgen. Lang ist's her. Nun kehren sich die Verhältnisse um. Die Tamagotchis sitzen uns im Nacken und schauen, dass wir nicht völlig degenerieren.
Verrückte Welt. Aber hey, alles vergessen! Denn der Upright Go, den ich aus seiner hübschen schwarzen Stoffschatulle nehme, fühlt sich mit seiner Silikon-Oberfläche richtig gut an. Ganze zwölf Gramm wiegt er. Ich entdecke einen Micro-USB-Port, die Energie saugt er mir also nicht direkt aus dem Rückenmark.

Auf der Rückseite befindet sich die Fläche zum Anbringen der Klebestreifen, mit denen sich das Gerät auf der Haut befestigen lässt. Neun davon sind im Lieferumfang, dazu sechs Alkoholpads zur Reinigung und ein «Entfernungstool», das wie ein Plektrum aussieht. Jeder Klebestreifen soll bis zu zehn Tage durchhalten, wenn er nach dem Tragen gereinigt wird. Ich bin gespannt und hänge den Winzling an den Strom, während ich mir die zugehörige App runterlade. Zwar speichert der Upright Go auch Daten auf dem Gerät, aber ohne App (Android / iOS) zur Auswertung geht natürlich nichts. Es gibt auch eine Desktop-Version für den Mac und an Apple-Watch-Besitzer wurde ebenfalls gedacht. Ich bin auf Android unterwegs. Nachdem ich eingegeben habe, wer ich bin (Michael, 38), wie schwer ich bin (68 Kilo) und wie ich meine Haltung einschätze (geht so), kann es auch schon losgehen.
Hoch soll er kleben
Alex hilft mir, eine ordentliche Haltung zu finden. Alex ist der Haus-und-Hof-Physiotherapeut von Upright, der sich auch später immer wieder in der App oder per Mail um mein Befinden sorgen wird. Ich lerne im von fröhlichem Pfeifen untermalten Video, dass Ohren, Schultern und Hüften in einer Linie liegen sollten. Krampfhaftes Überstrecken soll ich dagegen vermeiden. Alles klar. Ab in den Nacken mit dem Upright Go. Ich bin erleichtert, dass er überall am oberen Rücken getragen werden kann und ich mich nicht allzu sehr verrenken muss, um ihn korrekt zu platzieren. Solange er vertikal sitzt, ist egal, welche Seite nach oben und welche nach unten zeigt.

Ich entferne die Schutzfolie des ersten Klebestreifens und drücke mir das Gerät auf die Haut, die trocken und sauber sein sollte. Es klappt. Das Teil klebt, wie mir noch nie etwas im Nacken geklebt hat. Ich rüttle und reisse ein wenig daran, weil ich nicht gleich am ersten Testtag eine Verlustmeldung aufgeben will. Wer sich ein 89-Franken-Gadget auf den Rücken klebt und es verliert, dem ist Spott sicher. Und Wut, wie ich vereinzelten Kommentaren verärgerter Käufer entnehme, denen es unbemerkt von der Haut fiel. Andere berichten davon, mit dem Upright Go versehentlich unter die Dusche gestiegen zu sein. Ohne Folgeschäden.
Grünes Männchen, rotes Männchen
Mit dem Upright Go auf der Haut und dem Handy in der Hand kann es losgehen. Die Bluetooth-Verbindung klappt bei mir zuverlässig. Wenn die Verbindung steht, muss das Gerät vor jedem Einsatz neu kalibriert werden. Entweder per Knopfdruck, was mit einem Griff in den Nacken verbunden ist, oder über die App. Das ist die deutlich angenehmere Variante, denn ich muss dabei meine bequeme Idealhaltung einnehmen. Die Kalibrierung quittiert der Upright Go mit einem sanften Vibrieren, was im ersten Moment irritierend ist, aber schnell zur Gewohnheit wird.
Im Trainingsmodus gibt es diesen sanften Nackenwackler immer dann, wenn ich mich zu weit nach vorne beuge. Wie tolerant der elektronische Zuchtmeister ist, hängt vom gewählten Modus ab. Bei sitzenden oder stehenden Tätigkeiten lässt er dir den geringsten Spielraum, wählst du «moderate Aktivität» schon etwas mehr und im dritten Modus kannst du ordentlich mit dem Oberkörper wackeln, bevor sich der Upright Go meldet. In der App wird dein Verhalten von einem Männchen dargestellt, das sich in Echtzeit mitbewegt, wenn du du dich beugst. Verlässt du den «grünen Bereich», wird es rot. Eine nette Spielerei. Wenn ich das Handy quer halte, kann ich es Sit-ups machen lassen.
Wechselst du von Training auf Tracking, gibt das Gerät kein Feedback durch Vibration und präsentiert dir lediglich die Statistik, wie lange du aufrecht und wie lange du gebeugt warst.

Training? Wirklich?
Insgesamt trage ich den Upright Go an zehn Tagen im Büro und in der Freizeit. Mein automatisch erstellter Trainingsplan beginnt mit schlappen acht Minuten, die ich am ersten Tag aufrecht bleiben soll, und steigert sich bis zum zehnten Tag auf dreimal 14 Minuten. Ich weigere mich, das Training zu nennen. Im Büro sitze ich die Zeiten ganz locker ab. Denn ich sinke im Drehstuhl eher nach hinten und lasse die Schultern hängen, als dass ich nach vornübergebeugt am Bildschirm kleben würde. Dagegen hat der Upright Go gar nichts. Im Gegenteil. Ich bekomme Lob, das ich nicht wirklich verdient habe. In der Freizeit erwischt mich die kleine Haltungspolizei öfter und vibriert, wenn ich staubsauge oder in Schränken krame. Natürlich in formvollendeter Haltung, aber das ist dem Gerät egal. Es kennt nur meine Lage im Raum und vergibt danach Haltungsnoten.
Ich trage den Upright Go zwischen zwei und sieben Stunden pro Tag und vergesse ihn dabei völlig. Er ist wirklich nicht zu spüren. Und wenn er nur trackt, ohne per Vibration zu strafen, präsentiert er im Anschluss die Quittung. Tatsächlich ist bei mir rein statistisch eine positive Entwicklung zu erkennen. Während ich am ersten Tag nur auf 65 Prozent in aufrechter Haltung komme, bin ich ab dem fünften Tag stabil über 90 Prozent. Vielleicht, weil ich vermehrt über meine Haltung nachgedacht habe. Ab und zu ertappt er mich wirklich auf frischer Tat und ich richte mich wieder auf.


Ein futuristischer Zuchtmeister alter Schule
Ich bezweifle, dass ich die ganze Zeit ergonomisch und in vorbildlicher Position verbracht habe. Ich bin hibbelig, ständig am Wippen und Wackeln. Rutsche auf dem Bürostuhl herum, was die Sitzfläche hergibt. Es soll ja auch gut sein, die Position immer wieder zu wechseln. Der Upright Go ist dagegen ein Zuchtmeister alter Schule, obwohl er futuristisch daher kommt. Kerzengerade und ruhig, so hat er es gern. Aber er hat auch blinde Flecken. Wenn ich mich nach hinten bewege, entgeht ihm das ebenso, wie wenn sich meine Schultern aus der Idealposition verabschieden. Deshalb geniesse ich die Zahlen mit Vorsicht.
Viel mehr beeindruckt mich, wie gut das Teil klebt. Einen Klebestreifen kann ich tatsächlich tagelang verwenden, ohne dass ich ihn allzu intensiv reinigen würde. Abends wird das Gerät geladen und kommt in seine kleine Schatulle, morgens klatsche ich mir den Upright Go wieder in den Nacken. Hält. Einmal wechsle ich den Klebestreifen. Nicht, weil es schon nötig gewesen wäre, sondern weil ich es auch mal gemacht haben wollte. Es klappt problemlos und ohne Rückstände. Auch meine Haut nimmt keinen Schaden – und die sammelt für gewöhnlich Allergien und Unverträglichkeiten.


Fazit: Kein Griff ins Klo, aber nichts für mich
Das ganze Produkt ist hübsch gemacht und tut, was es kann: Es registriert, ob du gerade bist, und warnt, wenn du nach vorne kippst. Für den Rest musst du schon selbst sorgen. Wenn dich Gadgets faszinieren und Statistiken motivieren, kann der Upright Go hilfreich sein. Du setzt dich damit ganz automatisch mehr mit deiner Haltung auseinander. Und – auch das gehört zur Wahrheit – wir Menschen sind grundverschieden, bringen andere Voraussetzungen und ein unterschiedliches Mass an Selbstdisziplin mit. Ich schummle wohl zu oft. Von fühlbaren Trainingsfolgen wie Muskelkater kann ich nicht berichten, unsere Community-Mitglieder buyout007 und jwssnr in ihren Kommentaren zum Produkt dagegen schon.
Für mich funktioniert ein Haltungstrainer wie der Blackroll Posture besser, der nicht vibriert, sondern meine Schultern ganz real in die richtige Position bringt. Wenn du dir so ein Teil in der Öffentlichkeit nicht umschnallen kannst oder willst, ist der Upright Go eine gute Alternative für Tech-Fans, die bereit sind, ab und zu in neue Klebestreifen zu investieren. Dazu noch einmal jwssnr aus der Community:
«Meistertipp: Wenn der Kleber nicht mehr so toll hält, würde ich mit dem Ding am Rücken nicht auf den Topf sitzen … 🙂»
So ein beschissenes Ende hätte der Upright Go nicht verdient.


Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.