
Hintergrund
Im Abwechslungsreich
von Michael Restin
Es gibt sie seit über 150 Jahren. Sie existiert als Suppe, Sprichwort und Lernspiel. Buchstaben-Pasta ist perfekt für Spielkinder und alle, die es mal werden wollen. Aber bitte mit Cervelat.
Es gibt Kindheitsfreuden, die im Laufe des Lebens völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Mit Anlauf in eine Pfütze springen. Tiere in Wolkenformationen erkennen. Buchstabensuppe essen und am Tellerrand Wörter zusammensetzen. Ich hatte schon länger kein Alphabet mehr auf dem Löffel. Und bin davon ausgegangen, dass es sich bei Pasta in Buchstabenform um eine neuere Errungenschaft der Wohlstandsgesellschaft handelt. 50er Jahre, 60er Jahre, so etwa. Dass das Zeug schon mindestens seit 1867 zu haben ist, hat mich überrascht. Bereits kurz nach dem Bürgerkrieg wurde in den USA die Innovation beworben.
Kein Wunder, dass die Bildungsbürgerbrühe von dort stammt, lag doch die Alphabetisierungsrate in den Neuengland-Staaten der Ostküste damals schon bei rekordverdächtigen 95 Prozent. Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Trend über den grossen Suppenteller Atlantik zu uns geschwappt. Ein Trend, gekommen um zu schreiben. Und zwar eine Erfolgsgeschichte, an der sich Generationen satt geschlürft haben. Trotzdem verschwinden die Buchstaben meiner Erfahrung nach irgendwann nach der Pubertät vom Speiseplan. Dann wird seriöse Pasta in der Suppe versenkt oder cremigeres gelöffelt. Dabei gibt es Gründe, der «Alphabet Soup» treu zu bleiben. Die Wiederentdeckung der schwimmenden Buchstaben verdanke ich einem Appenzeller, einem Mexikaner und einer Paddeltour durch die Rheinschlucht.
Da Stauraum im Kajak knapp ist, hat es die Suppe an Bord und auf unseren Speiseplan geschafft. Teigwaren gewordene Buchstaben sind derart kompakt, mehr Pasta pro Kubikzentimeter geht kaum. Und darauf kommt es in diesem Fall an. Spirelli, Farfalle oder Rigatoni können dagegen einpacken. Die reinste Platzverschwendung. Fotograf Tom und ich werden auf unserem Trip mit Ruedi Gamper und Yair Camacho hocheffizient abgefüttert: Ein Powerpack Buchstabensuppe und ein paar Cervelat, fertig ist das Feinschmeckermenü für vier.
Das Rezept:
Vom Rhein geduscht und leicht fröstelnd in der Herbstsonne sitzend, jubelt der Magen beim ersten Löffel Suppenbrühe. Dieses Hochgefühl, das sich an schönen Orten bei perfektem Wetter und nach etwas Bewegung zuverlässig einstellt, macht selbst eine simple Mahlzeit zum Highlight. Wärmende Brühe und bissfeste Buchstaben, flankiert von fetten Cervelat-Brocken – von A bis Z ein Genuss. Besser geht es in Momenten wie diesen nicht. Die Zutaten finden auch im kleinsten Rucksack Platz und wir wissen die wärmende Mahlzeit zu schätzen.
Wie die Idee entstand, Pasta in Buchstabenform zu pressen, ist nicht zweifelsfrei überliefert. Doch ihren Platz im amerikanischen Wortschatz hat sie spätestens seit Präsident Franklin D. Roosevelt sicher. Der liess in den 1930er Jahren so viele Behörden mit Abkürzungen wie AAA, FDIC oder NLRB gründen, dass bald nur noch von «alphabet agencies» oder «alphabet soup» die Rede war. Gewürzt mit Legenden um verliebte Köche, die der Angebeteten Botschaften in die Brühe drapierten, sind die kleinen Buchstaben ganz gross rausgekommen. Wenn du es weniger klebrig magst, kannst du deine Suppe online mit Botschaften anreichern, ohne dir die Finger zu besudeln. Oder ein Brettspiel spielen.
Lustiger ist es aber immer noch, direkt in der Suppe zu panschen. Was in der Kantine vielleicht nicht so gut ankommen würde, fühlt sich am rauschenden Rhein absolut richtig an. Kaum ist der erste Hunger gestillt, angeln wir in den Resten der Brühe mit dem Zeigefinger nach passenden Buchstaben. Mit unbeschreiblich viel Spass und bescheidener Ausbeute.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.