«Compression Carpet»: Eine Maschine, die dich mal so richtig drückt. Bild: Ariel Fisher
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Eine Maschine, die dich umarmt – wenn ein anderer kurbelt

Pia Seidel
7.1.2020

Je mehr wir über digitale Geräte kommunizieren, desto grösser ist die Gefahr, dass Berührungen immer seltener werden. Um diese zu ersetzen, hat die Scifi-Künstlerin Lucy McRae eine Maschine konzipiert, die dich umarmt.

Die Scifi-Künstlerin Lucy McRae beschäftigt sich schon heute mit Problemen von morgen. Sie malt sich Szenarien aus, um uns optimal auf die Zukunft vorzubereiten und entwickelt daraufhin «Future Survival-Kits». Dafür arbeitet sie mit Wissenschaftlern und synthetischen Biologen zusammen, die darauf spezialisiert sind aus biologischen Materialien nützliche Produkte für die Gesellschaft herzustellen. So ist die Maschine namens «Compression Carpet» entstanden, die dich umarmt. Bei Berührungen wie einer Umarmung wird das Hormon Oxytocin im Gehirn freigesetzt, das Glücksgefühle fördert. Bleiben diese aus, wirkt sich das negativ auf unser Wohlbefinden aus. Die Künstlerin erklärt mir, was sie zu ihrem Design bewegt, das uns vor einer möglichen sozialen Isolation bewahren soll.

Wie bist du auf die Idee gekommen, eine Umarmmaschine zu bauen?
Lucy McRae: Eine Berührung ist der erste Sinn, der sich im Mutterleib entwickelt, und dennoch bleibt sie eine Art Phänomen. Unser unterwürfiges Verhalten gegenüber Technologie hat zu einer Berührungskrise geführt. Umarmungen werden aufgrund des technologischen Wandels und durch die steigende Kommunikation via Social Media und Smartphones immer seltener. Deshalb setzte ich bereits 2015 eine ähnliche Maschine namens «Future Day Spa» um, die 360-Grad-Umarmungen ausführt. Einer der Probanden, der unter Berührungsängsten litt und keinen physischen Kontakt zu anderen hatte, war nach seiner neunminütigen Behandlung so gerührt, dass er mich daraufhin persönlich umarmte. Diese unerwartete Begegnung hat mich motiviert, den «Compression Carpet» zu kreieren.

Der Compression Carpet wurde erstmals auf der Ausstellung «Festival of Impossible» 2019 in San Francisco vorgestellt.
Der Compression Carpet wurde erstmals auf der Ausstellung «Festival of Impossible» 2019 in San Francisco vorgestellt.
Die Bedienung erfordert zwei Personen: jemanden, der sich hinlegt, und jemanden, der den Hebel zum Umarmen bedient. Images: Lucy McRae
Die Bedienung erfordert zwei Personen: jemanden, der sich hinlegt, und jemanden, der den Hebel zum Umarmen bedient. Images: Lucy McRae

Warum hast du Compression Carpet anders als Future Day Spa so entwickelt, dass es eine zweite Person braucht?
Das Problem beim Erleben einer Revolution besteht darin, dass es unmöglich ist, einen reflektierten Blick auf das zu werfen, was gerade passiert. Erst im Nachhinein sehen wir klar. Ist eine Maschine, die dich umarmt, eine Lösung für eine drohende Umarmungskrise? Oder ist sie eine Kritik an der Situation, in der sich unsere Gesellschaft im digitalen Zeitalter befindet? Wir erleben den technologischen Wandel so als wären wir Marionetten. Einen Teil können wir davon beeinflussen, doch das meiste ist fremdgesteuert. Deshalb hat jemand anderes die Kontrolle über die Umarmung.

War deine Arbeit von der Erfinderin der «Hug Machine» Temple Grandin inspiriert?
Ja, Temple Grandin ist seit langem eine Inspiration. Vor dem Future Survival Kit war meine Kunst automatisiert und liess sich über Maschinen bedienen. Angesichts der Einschränkungen in der Galerie, in der Compression Carpet ausgestellt wurde, wollte ich ähnlich wie ihre «Hug Machine» eine Version kreieren, die sich manuell bedienen lässt – keine Kabel, nur an eine andere Person.

Gibt es andere Interaktionen, die genauso wichtig sein könnten, um einen Mangel an Intimität zu verhindern?
Das Glückshormon Oxytocin wird beim Umarmen, Sex oder Stillen freigesetzt. Bei der Triennale in Mailand stellte ich die Maschine «Compression Cradle» aus, die den Körper mit Luft umhüllt, um denselben Effekt zu erzielen und zu verstärken. Der Körper wurde vollständig von einer Folie bedeckt. Das kann keine menschliche Berührung leisten. Es sei denn, mehrere Personen mit gleichem Gewicht sind so platziert, dass jeder Teils des Körpers bedeckt ist. Ich spekuliere, dass diese künstliche Oberfläche für die zukünftige Intimität bedeutend und kritisch ist.

Was kommt als nächstes für das Future Survival-Kit?
Im meinem Studio agieren wir mit einer Startup-Mentalität: Wir entwickeln Prototypen, lösen frühzeitig Probleme und lernen aus Fehlern. Diese Einstellung verändert sich und ist das Gegenteil zum Perfektionismus. Das bedeutet, dass wir von einem Ort des Unbekannten aus agieren und dies erfordert, dass alle Beteiligten zum Riskieren bereit sind. Als Kind arrangierte ich getrocknete Blumen zu nachhaltigen Bündeln. Als nächsten Schritt würde ich es lieben, wenn sich aus heute ähnlich aus meiner Arbeit langlebige kommerzielle Produkte machen liessen, die Einfluss auf unser Verhalten haben und uns für die Zukunft wappnen.

Zwischen einer Reihe von Kissen sollte sich der Benutzer ungefähr drei Minuten lang hinlegen. Image: Ariel Fisher
Zwischen einer Reihe von Kissen sollte sich der Benutzer ungefähr drei Minuten lang hinlegen. Image: Ariel Fisher
In meiner Serie «Social Design» beleuchte ich Projekte wie das Future Survival-Kit und zeige dir, wie Designer heutzutage unser Wohlbefinden steigern wollen. Folge mir, um auf dem Laufenden zu bleiben.
Titelbild: «Compression Carpet»: Eine Maschine, die dich mal so richtig drückt. Bild: Ariel Fisher

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Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit. 


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