

Gut’ Bier will Weile haben!

Als Zürcher kenne ich die Schützengarten-Biere primär von Events wie dem «blues’n’jazz»-Festival in Rapperswil oder der berühmten Olma-Messe. Besucht habe ich die Brauerei nie. Höchste Zeit für meine erste Bierbrauerei-Gruppenführung, im Herzen von St. Gallen, bei der ältesten Brauerei der Schweiz, ganze 246 Jahre jung.
Im Vorfeld der Führung schaute ich mir die Webseite von «unserem Schüga» genau an und staunte über die Breite des Angebots. Du bist morgens um drei Uhr völlig unterhopft und brauchst ein Bier? Hier ist der Kurier, der es dir bringen wird. Ein Fanclub mit 2000 Mitgliedern? Natürlich.

Quelle: Christian Walker
Du willst Biere mit deiner eigenen Etikette individualisieren und eventuell verschenken? Here you are! Du möchtest mitmachen, wenn wie anno dazumal Bier hergestellt wird? Erst gerade fand das jährliche Hopfenzupferfest statt.
Fassgelagerte Spezialbiere? Sicher, ja. Du stehst auf Cocktails und willst dich in Kreationen mit Bier versuchen? Hier sind die Rezepte! Nebenbei bemerkt: Genau das habe ich als Cocktail-Liebhaber gemacht. Das ist ein «Schüga Campari». Zutaten: ein Lagerbier, Campari, Ginger Beer und Zitronensaft.

Quelle: Schützengarten
Kurz gesagt: Ich empfand Schützengarten vor meinem Besuch ein wenig wie ein Schweizer Bier-Disneyland. Und so erging es mir zu Beginn der Führung auch wieder, als ich mich am Treffpunkt umsah, dem Flaschenmuseum. Eine eindrückliche Sammlung historischer Flaschen aus allen Landesteilen, aus verschiedenen Brauereien. Auch Raritäten mit Druckfehlern sind dabei.

Quelle: Christian Walker
Soll man Schützen Bier geben?
Abgesehen von all diesen marketingtechnisch klugen Nebenschauplätzen liegt dem Unternehmen gute, ehrliche Braukunst erkennbar am Herzen. Als einzige Schweizer Brauerei ist die Schützengarten AG seit zehn Jahren Slow-Brewing-zertifiziert, was beispielsweise langsame Gärung, schonende Reifung, den Verzicht auf nachträgliche Verdünnung und die Verwendung natürlicher Rohstoffe bedeutet. Das entsprechende Institut prüft das Unternehmen wie auch das Bier regelmässig. Einmal pro Jahr findet ein grosses Audit statt, wofür Schützengarten 170 Seiten Formulare ausfüllt, Mystery Shopping gemacht wird, und so weiter.

Quelle: Christian Walker
Das mit dem langsamen Brauen will ich noch etwas genauer wissen und kontaktiere den technischen Direktor, Richard Reinart, den ich im Jagdurlaub erreiche. Bei der Führung habe ich erfahren, dass die Brauerei sich bei der Gründung das Domizil mit einer Schützengemeinschaft teilte. Den Leuten mit Gewehren und Pistolen gefiel es wohl in der Nähe des Biersuds. Ich fragte mich – und eben Direktor Reinart – aber: Ist es verantwortungsvoll, bewaffnete Männer mit Bier abzufüllen? Er lacht und meint, dass natürlich jeweils zuerst das Schiessen und erst danach das Trinken stattfinden würde.

Quelle: Christian Walker
Slow Brewing als Alleinstellungsmerkmal
Richard erklärte mir, dass sich Zeit für Qualität zu nehmen unter anderem bedeutet, die Gärtemperatur unter 12 Grad zu halten, sodass weniger Fusel-Öle entstehen. Hefe vergärt bei höheren Temperaturen schneller, sodass man nicht wie bei Schüga zwei bis drei Monate auf das fertige Bier warten muss, sondern innert ein bis zwei Wochen Biere abfüllen und verkaufen kann, allerdings mit entsprechender Qualitätseinbusse.
Ferner setzt Schützengarten keine künstlichen Enzyme ein, und auch Zusatzstoffe werden nicht beigemischt, um beispielsweise auf die Schnelle aus hellen Bieren eine dunkle Produktreihe zu erschaffen.
Nachhaltigkeit als Maxime
Dank ihres Kohlensäure-Rückgewinnungsverfahrens musste Schüga kürzlich nicht darben, als das Gas am Markt knapp wurde. Wo immer möglich, verwendet die Brauerei lokale Ressourcen. Das Malz stammt aus dem grossen Kanton (Deutschland), da es in der Schweiz nur noch ein paar kleine Mälzereien gibt, die den Bedarf nicht decken können. Die eigene Mälzerei hatte Schützengarten 1985 abgebaut.
Ausserdem pushen die St. Galler den Handel mit Mehrwegflaschen, die bis zu 15 Jahre lang immer wieder gebraucht werden können. Der Anteil an allen Flaschen beträgt hier bereits 60 Prozent. Was beim Brauvorgang übrig bleibt, der Treber, wird unter anderem zu Viehfutter verarbeitet oder in der Bäckerei Lichtensteiger verwendet, um Bierbrot herzustellen. Der St. Galler Koch Rolf Caviezel produziert damit auch den sogenannten Klösti-Gin.

Quelle: Christian Walker
Auch energietechnisch ist Schützengarten autark. Die Brauerei produziert mit ihrem eigenen Wasserwerk an der Sitter und den Solarpanels so viel Strom, dass sie ungefähr die Hälfte davon als Überschuss ins öffentliche Netz einspeisen kann.

Quelle: Christian Walker
Brauerei als Stromproduzent
Das Wasserkraftwerk besteht seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Das Bier-Unternehmen übernahm anno dazumal die Kosten, um die Stadt St. Gallen zu beleuchten. Nicht ganz uneigennützig, da so mehr Personen den Weg für ein, zwei Biere auf sich genommen hatten …
Mit über 2500 Gastrobetrieben, 1000 Lebensmittelbetrieben und 3000 Events ist das Schüga praktisch omnipräsent. Auch in meinem Zürcher Umfeld sehe ich immer wieder Schüga-Werbung. Die Biere werden regelmässig prämiert, zum Beispiel konnten sie an den letztjährigen World Beer Awards gleich 16 Auszeichnungen entgegennehmen. Mein liebstes Schüga, das IPA, gewann Gold beim European Beer Star.

Quelle: Christian Walker
Schützengarten ist eine Familien-AG und die Eigentümerfamilie Kurer wohnt oberhalb der Brauerei. Apropos Wohnen: Ein weiterer Schüga-Geschäftszweig sind Immobilien. Es gibt eine Vielzahl von Liegenschaften, in denen im Erdgeschoss ein (Pacht-)Restaurantbetrieb betrieben wird, während oben Wohnungen zu bezahlbaren Preisen vermietet werden.

Quelle: Christian Walker
Bei der Betriebsführung machten unter anderem die Roboter Eindruck auf mich. Ihre Aufgabe: mit Kameras die Flaschen kontrollieren, ob sie beschädigt oder verunreinigt sind. Andere Roboter verschieben im Lager rasant Harassen. Ab und zu fallen auch einmal einige Harassen Bier herunter, dann rotieren statt Maschinen die Mitarbeitenden, um das Malheur zu beheben.
Das Beste zum Schluss
Nachdem die Führung beendet war, kam der Teil, auf den ich mich wie die 16 anderen Teilnehmenden sehr gefreut hatte: das Verkosten der Biere! Ich probierte das feine Gallus 612, das mit Wacholder gewürzt ist, sowie das Klosterbräu. Ein willkommener Durstlöscher!

Quelle: Christian Walker
Zu diesem geselligen Teil wurden Brezeln aufgetischt. Auf diese verzichtete ich allerdings, denn ich ging danach in das hauseigene Restaurant «netts» rüber, wo ich mir zum Znacht im Biergarten die hausgemachten Tagliolini an Trüffel-Rahmsauce gönnte. Es war mehr als nur nett! Montage sollten immer so sein …


Ich interessiere mich für den Geist aus den Flaschen oder zwischen zwei Buchdeckeln. Ich bin Cineast und obwohl die meisten Hunde gute Hunde sind, bin ich mehr der Katzenmensch. Wie sie habe ich meinen eigenen Kopf...