

Mein erstes Vision Board: Was bringt der Visualisierungs-Hype von Pinterest?

Seit Jahren will ich lernen, die Mandoline zu spielen. Heute pinne ich es auf mein Vision Board. Und, bin ich schon Profi-Mandolinistin? Ich visualisiere meine Ziele und erzähle dir, ob sich der Aufwand lohnt.
Lebst du noch oder träumst du schon? Bestimmt hast du Ziele, Visionen und Sehnsüchte, die dir in weiter Entfernung erscheinen. Vielleicht eine Reise, eine besondere Fähigkeit oder der Traumjob? Egal, was es ist: Wenn du es dir vorstellen kannst, kannst du es aller Wahrscheinlichkeit nach auch in die Realität umsetzen. In einer Welt, in der sich Amazon-Gründer Jeff Bezos mit einer Penis-Rakete ins Weltall katapultieren konnte, kannst auch du nach den Sternen greifen und deine lang ersehnte Beförderung erreichen.
Ein erster Schritt dorthin ist das Vision Board: Eine Methode zur Visualisierung deiner Ziele – bei der du kreativ und gerne auch ein bisschen größenwahnsinnig werden kannst. Wo der Trend seinen Ursprung hat, ist schwer zu sagen. Immerhin tapeziert jeder Teenager sein Zimmer mit Collagen der aktuellen Stars und Sternchen und manifestiert ein Treffen mit ihnen.
Aber: Hochkonjunktur dürfte das Vision Board in den frühen 2000-er Jahren durch das Selbsthilfebuch «The Secret» von Rhonda Byrne bekommen haben, worin die Autorin das «Gesetz der Anziehung» beschreibt: Gleiches zieht Gleiches an und willst du Positives erleben, musst du Positives denken.

Das hat sich auch Amerikas hochverehrte Talkshow-Moderatorin und Schauspielerin, Oprah Winfrey, zu Herzen genommen. Sie schreibt ihren millionenschweren Erfolg der Manifestierung durch Vision Boards zu und hat so bereits 2008 den Wahlsieg von Barak Obama visualisiert. Aber schon im Buddhismus heißt es: «Gedanken werden Dinge». Wenn man will, liegt also bereits dort die Wiege der Vision Boards.
Ich springe spät auf den Trend. Aber heute wie schon zu Zeiten Buddhas gilt: Mut zu träumen, lohnt sich. Und um deine Ziele zu erreichen, ist das sogar eine Grundvoraussetzung.
Vision Board: Was ist das?
Ein Vision Board ist eine Form der Manifestierung und des Mentaltrainings. Es ist eine Collage mit Bildern, Sprüchen und Dingen, die dich dazu inspirieren sollen, deine Ziele zu verwirklichen. Mit einem Vision Board werden Ziele greifbar, vorstellbar und damit am Ende auch umsetzbar.
Du kannst das Vision Board privat nutzen oder auch beruflich. Allerdings, Achtung: Das Teil ist kein 5-Stufen-Plan zur Beförderung oder ein Organigramm deiner Abteilung für die effiziente Aufgabenteilung. Ein Vision Board wird auch «Dream Board» genannt, eben weil du darauf träumen sollst. Es soll dich inspirieren, neue Fähigkeiten wie eine neue Sprache oder einen Spagat zu lernen, deine beruflichen Ziele zu erreichen oder um selbstbewusster und glücklicher zu werden.
Du musst außerdem nicht analog arbeiten, es gibt mittlerweile eine große Auswahl an digitalen Vision Boards im Internet. Kurzum: Regeln gibt es keine, wichtig ist nur deine Vorstellungskraft.
Manifestation und Visualisierung: Wie funktioniert ein Vision Board?
Fakt ist: Dein Gehirn verändert sich, passt sich an verschiedene Reize an und bildet stetig neue Synapsen (auch «Neuroplastizität» genannt) – und das ein Leben lang. Das zeigen Studien und auch andere Untersuchungen unterstreichen die These:
Visualisieren wir Ziele, werden dieselben Gehirnareale aktiv wie bei äußeren Auslösern – also wenn das Ziel tatsächlich erreicht wird –, nur in einer leichteren Intensität. Deutlich wird das in einer im Fachblatt Neuropsychologica veröffentlichten Studie, bei der Versuchspersonen Muskelmasse nur durch die Kraft ihrer Gedanken anstatt mit Krafttraining aufbauten.
Wenn du es dir vorstellen kannst, kannst du es also ohne jede Ironie auch in die Realität umsetzen. Das Vision Board hat dabei eine Art Katalysator-Funktion: Alle scheinbar absurden Wünsche, Ziele und Ideen werden plakativ zu Papier gebracht und verlieren dadurch plötzlich an Absurdität.
Träum‘ ein bisschen mit mir: Mein erstes Vision Board
Ich starte also mein erstes eigenes Visualisierungs-Projekt. Dazu besuche ich das Mutterschiff der Vision Boards – die Inspirationsplattform Pinterest. Ich stoße auf viel Input, den ich 1:1 für mein Vision Board verwenden könnte – das ist mir aber viel zu unpersönlich. Ich entscheide mich lieber für chaotischen Freestyle und habe ein Ziel für mein erstes Vision Board im Sinn:
Ich möchte lernen, Mandoline zu spielen. Ich will das kleine Zupfinstrument akribisch beherrschen, die Tremolos und aufwendigen Melodieverläufe spielen können und die klassischen Schläge auf dem Off-Beat perfektionieren. Das ist schwierig und benötigt nicht nur Zeit, Mühe und Ausdauer, sondern auch ein bisschen Fantasie und Verträumtheit.
Alte Magazine, Schere, Kleber und eine Pinnwand hole ich aus meinem Büro und lege alles auf den Wohnzimmerboden. Die «Pinnwand» ist eigentlich nur ein Gitter im DIN A2-Format, das ich über die Jahre mithilfe von Buchklammern mit Dokumenten, Rechnungen und To-Do-Listen beschwert habe. Ich entferne den kunstlosen Mist und starte frisch.
Glitzerpapier und eine Prise Größenwahn
Pinterest nutze ich nur noch, um ansprechende Bilder der Mandoline zu finden. Ich entdecke ein paar ästhetische Nahaufnahmen des Instruments und Bilder von Menschen, die darauf spielen. Über ihre Köpfe klebe ich Fotos von mir, schließlich will ich mich beim Mandoline spielen manifestieren und nicht andere Menschen. Ich finde außerdem eine Tabelle der wichtigsten Akkordgriffe und eine Darstellung der korrekten Körperhaltung beim Mandoline-Spiel.
Aus den Magazinen schneide ich nun Illustrationen, Überschriften und Textpassagen aus, die mir passend erscheinen und klebe sie collagenhaft zu neuen lyrischen Ergüssen zusammen. Die Akkord-Tabelle und Mandolinen-Bilder montiere ich nun willkürlich rund um rosa Papier. Fertig.
In der Mitte meines Boards steht nun in großen Druckbuchstaben: «Wir können aus Liebe. Vieles spricht dafür». Einen Spruch, den ich sehr passend finde. Schließlich braucht es für mein Mandolinen-Projekt nicht zuletzt Hingabe und die Zuversicht, das zu erreichen, wofür ich Leidenschaft empfinde.
Unter dem Zitat steht eine Figur im Applausregen, umgeben von Beifall für ihre musikalischen Bemühungen. In einer ihrer Sprechblasen steht: «Es klimpert und klirrt, dort, wo der Wille sitzt.» Den Satz finde ich selbst so genial, dass ich ihn zu meinem neuen Mantra erkläre – nicht nur für die Mandoline, sondern für alle Lebenslagen. Darunter und darüber schweben meine ausgeschnittenen Köpfe auf fremden Körpern und beherrschen Akkordgriffe der Mandoline perfekt. Mut zum Träumen? Viel mehr: Mut zum Größenwahn.
Fazit: Bin ich schon Profi-Mandolinistin?
Leider dauert das Manifestieren von Zielen seine Zeit und erspart mir letztlich nicht, tatsächlich Mandoline zu üben. Wenig überraschendes Fazit dieses Experiments ist daher: Leider bin ich noch keine professionelle Mandolinistin.
Aber: Der Prozess, ein Vision Board zu gestalten, war ein wichtiger erster Schritt, um mich gedanklich auf mögliche Realitäten einzulassen und die dargestellten Wünsche nicht als absurde Träumereien abzutun.
Ganz egal, wie sehr ich mir mein (oder du dir dein) Ziel aber vorstelle. Um es zu erreichen muss ich meinen Hintern hochkriegen und etwas tun. Weil ich inzwischen daran glaube, dass ich es schaffen kann, fällt mir das aber sehr viel leichter.
Titelfoto: shutterstock

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.