

«Plötzlich ist es Mitternacht und ich sitze immer noch da»

In einem Zimmer voller bunter Stoffe und Fäden, dort fühlt sich Anne Chapuis wohl. Beim Nähen entspannt sie sich , vergisst die Zeit und kreiert Dinge, die sonst keiner hat.
«Es ist wunderbar, etwas Selbstgemachtes in den Händen zu halten», so beschreibt Anne Chapuis, Übersetzerin bei digitec und Galaxus, ihre Faszination fürs Nähen. Ausserdem finde sie dadurch einen Ausgleich zu ihrem doch sehr kopflastigen Job. «Beim Nähen bist du im Moment, du kannst an nichts anderes denken, da sich sonst Fehler einschleichen.»
Mit Mama genäht
Das Nähen hielt schon früh Einzug in Annes Leben. Sie wuchs in der Region Savoyen in Frankreich auf, wo ihre Mutter viel mit ihr und ihrem Bruder genäht hat. Anfangs beschränkten sich Annes Projekte auf Taschen und Kissenbezüge. «Diese Sachen verlangen noch nicht allzu viel Geschick und Wissen», meint sie. Irgendwann hat sie mit Kleidern begonnen, was gut geklappt hat und so blieb sie dabei. Auch als sie zu ihrer Oma nach Hüttikon zog, blieb sie dem Nähen treu, obwohl die Oma nichts mehr mit Nähen am Hut hatte. «Meine Oma hat früher sehr viel für ihre Kinder genäht, irgendwann war dann aber die Luft draussen.»
Eigener Onlineshop
Seit gut zwei Jahren verkauft Anne ihre Unikate über ihren eigenen Onlineshop «Swanne». «Bisher arbeite ich nur auf Kundenwünsche und auf Basis von Mundpropaganda.» Hauptsächlich näht sie Kleider, es finden aber auch immer wieder andere Stücke einen Platz in Annes Sortiment. «Ich habe für Arbeitskollegen schon ein paar Plüschhasen gemacht, die aus einer Idee von Videoproduzentin Stephie Tresch entstanden sind.» Sie könnte sich gut vorstellen, vom Nähen zu leben, doch das ist wahnsinnig schwierig. «Ich müsste etwas finden, das niemand anders kann oder anbietet. Ansonsten gibt es Kleider zu viel günstigeren Preisen.»

Zeitgefühl bleibt auf der Strecke
Wenn Anne näht, kann es auch einmal spät werden. «Wenn ich in meinem Nähzimmer an der Maschine sitze, dann will ich mein Projekt auch beenden.» Dabei unterschätzt sie die nötigen Handgriffe öfters einmal. «Plötzlich ist es nach Mitternacht und ich sitze immer noch da.» Zum Glück hat ihr Freund ein ähnlich intensives Hobby und versteht die Situation. «Beat baut gerne Modellflugzeuge zusammen und hat sein Bastelzimmer genau neben meinem.» So hat jeder seinen Rückzugsort, um sich ganz in sein Hobby zu vertiefen und alles drumherum zu vergessen.

Einmal Pfaff, immer Pfaff
In ihrem Nähzimmer befinden sich neben vielen Stoffen und Fäden auch zwei Nähmaschinen. Eine Pfaff, die sticken kann, sich mit dem WLAN verbinden lässt und natürlich auch super näht und eine Overlock-Maschine, die Stoff in einem Arbeitsschritt zusammennäht und sauber abschneidet. Diese kommt aber weniger zum Einsatz als ihre Allrounder-Nähmaschine. «Schon meine Mama hatte eine Pfaff, auf der ich meine ersten Nähversuche unternommen habe. Die ist aber kein Vergleich zu dem supermodernen Teil, das ich jetzt habe.» Grundsätzlich reicht eine «normale» Maschine aus, doch die Luxus-Variante macht mehr Spass. Annes vorheriges Modell hatte seine Tücken. Die Maschine hat gemächlich begonnen, ist aber beim kleinsten Tritt aufs Pedal durchgedreht. «So wurden meine Näharbeiten teilweise unpräzise.» Wenn jetzt etwas nicht klappt, dann ist es immerhin ihre eigene Schuld.


Sie drückt die Schulbank
Damit sich die eigenen Fehler in Grenzen halten, besucht Anne seit einem Jahr die Textilfachschule in Zürich. «Ich könnte mir das Wissen wahrscheinlich auch über Jahre durch Trial and Error aneignen, doch es ist nicht schlecht, schon vorher zu wissen, wie man an die Sache herangehen soll.» Jedes Semester steht ein Kleidungsstück im Fokus. «Angefangen hat es mit dem Jupe, dann kam die Bluse und dieses Jahr erst die Hose und dann Jacke/Blazer.» Dabei lernt sie alles rund um diese Klamotte, vom Schnittmuster über die verschiedenen Stoffe bis hin zum richtigen Bügeln und Flicken.
Reissverschlüsse müssen nicht sein
Trotz Schule zweimal wöchentlich hat sie ihr Nähzimmer zu Hause aber nicht satt. Drei- bis viermal die Woche setzt sie sich an ihren Tisch, um zu nähen oder Schnittmuster und technische Zeichnungen zu machen. Denn diese beherrscht sie durch den Unterricht nun viel besser. «Vorher musste ich auf Schnittmuster aus Magazinen zurückgreifen, die ich leicht abgeändert habe. Jetzt kann ich auf Pinterest oder andere Seiten und Kleider nachahmen, da ich nun weiss, wie sie in der Theorie funktionieren.»

Bei so viel Näherfahrung müssten sich doch eigentlich Präferenzen herauskristallisiert haben. «Ich habe kein Lieblingsprojekt und keine Lieblingstechnik, nur auf Reissverschlüsse könnte ich verzichten.» Doch bei der Frage, wo sie einmal hin will, zögert sie keine Sekunde. «Ich will so gut nähen können, dass das Endprodukt genauso aussieht, wie ich es mir vorgestellt habe und es der vorgesehenen Person wie angegossen passt.»


Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.