

Profi-Tipps für mehr Gelassenheit im Alltag

Gib's zu, auch du regst dich hin und wieder über unnötige Dinge auf. Ich habe bei einem Life Coach nachgefragt, weshalb das so ist und was du dagegen tun kannst.
Noch vor vier Jahren war ich wie der Kerl in unserem TV-Spot. Ich habe mich über alles und jeden aufgeregt. Dass ich meine Wut wortwörtlich in mich hineingefressen habe, führte mich zum Entschluss, mir bei Brigitte Jenni professionelle Hilfe zu holen. Sie arbeitet als Ernährungspsychologin sowie Life Coach und hat mir geholfen, mein Leben in die richtige Balance zu bringen. Für den heutigen Artikel habe ich ihr erneut einen Besuch abgestattet.
Brigitte, wieso ist ein gelassener Gemütszustand erstrebenswert?
Brigitte Jenni, Life Coach: Wer sich regelmässig aufregt, setzt seinen Körper einem Dauerstress aus. Das bedeutet, dass er Stoffwechselprodukte wie Cholesterin und Insulin als auch Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin produziert. Aus einer Steinzeit-Perspektive gesehen, signalisiert das dem Körper, dass er sich in einer Kampfsituation befindet – und zwar nonstop. Gesund wäre hingegen ein Wechselspiel zwischen An- und Entspannung. Heutzutage stehen viele unter Dauerstress. Besonders betroffen sind Leute aus dem Management-Bereich, Politiker aber auch Hausfrauen mit Kindern.

Wie reagiert der Körper auf diesen Dauerstress?
In Kombination mit Übergewicht können Bluthochdruck, Diabetes und Hautprobleme die Folge sein. Das liegt daran, dass der Körper sich ein Ventil körperlicher oder psychischer Natur sucht, über das er das Adrenalin abbauen kann. Er gibt dann quasi das Signal, dass etwas an den Lebensumständen geändert werden muss. Symptome wie Druck in der Bauchgegend, Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, Rückenschmerzen oder verkrampfte Innenschenkel können ebenfalls Anzeichen für Stress sein.
Worin liegt deiner Meinung nach der Schlüssel zu einer ruhigen, gelassenen Grundeinstellung?
Wichtig ist es, diese alltäglichen Situationen, in denen wir uns aufregen, aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Das heisst: Wenn irgendwas geschieht, worauf ich mit Wut reagiere, mache ich einen Schritt zurück, betrachte das Szenario objektiv und frage mich, weshalb das so ist. Das Schlüsselwort ist Selbstreflexion. Die meisten Leute sind aber so gefangen in ihrem Ärger, dass sie die Gegebenheiten nicht mit Distanz betrachten können. Häufig sind es auch immer wieder dieselben Dinge oder Situation, über die sich jemand aufregt. Hier spricht man dann von einem Muster, das sich wie ein roter Faden durchs Leben zieht. Und diese Muster tauchen nicht ohne Grund auf. Viele fragen sich dann: Wieso passiert mir immer wieder dasselbe?
Lassen sich solche Verhaltensmuster unterbrechen?
Ja, indem der Betroffene die nervenaufreibende Situation als eine Art Spiegel betrachtet. Ein Spiegel, der seinen wunden Punkt trifft und ihn daran erinnert, dass er an sich selbst arbeiten muss. Jede Situation, in der du dich aufregst, gibt dir somit die Chance, etwas über dich und dein eigenes Verhalten zu lernen und dich weiterzuentwickeln.
Kannst du mir ein Beispiel nennen?
Es können mir fünf verschiedene Leute bei der Arbeit dieselbe konstruktive Kritik geben und über keine dieser Personen rege ich mich auf. Dann kommt eine sechste Person, die genau dasselbe sagt, aber irgendetwas an sich hat, einen Tonfall oder eine Geste zum Beispiel, und plötzlich macht sich der Ärger breit. Hier liegt es an mir, herauszufinden, weshalb das so ist. Das kann beispielsweise auf eine Begebenheit aus meiner Kindheit zurückzuführen sein, die ich nicht verarbeitet habe. Oder aber diese Person erinnert mich unbewusst an jemanden, mit dem ich in der Vergangenheit schlecht Erfahrungen gemacht habe.

Uuups, jetzt hast du dich aufgeregt. Was nun?
Wenn du dich doch mal ärgerst, schaffen laut Brigitte Jenni folgende Sofortmassnahmen Abhilfe:
1. Schau in den Spiegel
Ein wutverzerrtes Gesicht ist nichts Schönes. Durch den Blick in den Spiegel können wir uns im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen führen, dass Wut etwas Hässliches ist. Das liegt daran, dass unsere Haut an Farbe verliert und wir sofort älter wirken. Durch den Blick auf unser Spiegelbild lockern sich die Gesichtszüge wieder.
2. Mantras aufsagen
Sage wiederholt Sprüche oder Glaubenssätze auf. Alternativ kannst du sie auch singen oder hören. Beachte jedoch, dass ihre Wirkung sich verstärkt, wenn du sie laut aussprichst. Beispiele dafür wären: «Ich bin ganz ruhig» oder «Alles ist gut». Wichtig ist eine positive Formulierung. Entscheide dich für das Mantra, mit dem du dich am wohlsten fühlst. Weil das Gehirn keine Wiederholungen mag, schaltet es nach etwa 20 Repetitionen um, sodass und du dich nicht mehr gleichzeitig aufregen und ein Mantra aufsagen kannst. So trickst du dein Hirn aus.
3. Rauf auf's Trampolin
Sport ist gut, um Wut abzubauen. Besonders das Trampolin ist ein tolles Ventil. Es reicht bereits, sich abends drauf zu stellen und nur leicht zu wippen. Dabei kann man sich immer noch unterhalten oder etwas im TV schauen. Dadurch werden die Faszien durchblutet und du entspannst dich. Fünf bis zehn Minuten reichen, um das Adrenalin abzubauen, das du tagsüber aufgebaut hast. Wenn du bereits einen hektischen Tag hattest, solltest du jedoch aufs Joggen oder auf schnelle Spaziergänge verzichten, da du sonst dein Nervensystem weiter belastest.
4. Atme tief in den Bauch
Wenn du dich aufregst, ist deine Atmung flach. Versuche deshalb, tief in den Bauch zu atmen und deinen Körper zu spüren. Wenn bewusstes Atmen nicht dein Ding ist, kannst du auch ein Glas Wasser mit einem Strohhalm schlürfen. Auf diese Weise trickst du deinen Körper aus und gelangst automatisch in die Bauchatmung. Mehr solcher Tipps und Tricks findest du übrigens in diesem Büchlein, das Brigitte mir empfohlen hat:


5. Achte auf deine Körperhaltung
Jemand, der sich ärgert, hat eine hängende Körperhaltung. Wenn du dich jedoch aufrecht hinstellst oder hinsetzt und den Kopf gerade hältst, passen sich deine Gefühle dieser positiv gesinnten Haltung an. Alternativ kannst du dich, falls du die Möglichkeit dazu hast, auch flach hinlegen. Das hilft, weil dein Körper so programmiert ist, dass er in der Horizontalen nicht kämpfen kann. In einer sitzenden Position hingegen ist er kampfbereit. Auf diese Weise signalisierst du deinem Körper, dass du in einer sicheren Umgebung bist und er sich entspannen kann. Gleichzeitig fällt dir im Liegen das Atmen in den Bauch einfacher.
6. Hau die Nudel
Schnapp dir eine Schwimmnudel und halte sie mit beiden Händen fest. Hau sie anschliessend mit aller Kraft auf einen Stuhl oder ein Bett. Hol dazu weit über deinem Kopf aus. Dadurch setzt du deinen Körper einer hohen Anspannung aus. Mit jedem Schlag verpufft ein Teil des Ärgers, bis dich jegliche Kraft verlässt. Auch in den Boden stampfen funktioniert sehr gut. Wenn du keinen Lärm veranstalten möchtest, kannst du zu einem Handtuch greifen, das du nass machst und dann so lange auswringst, bis du keine Kraft mehr hast.

Nach dem Ärger ist vor dem Ärger
Nun weiss ich, wie ich mich abregen kann. Aber wie verweile ich in diesem ruhigen Gemütszustand? Brigitte erklärt mir, dass Ungeduld, Hektik, Ehrgeiz perfekt zu sein, Überlastung und Multitasking die natürlichen Feinde meiner Gelassenheit sind. Sie sind an meine Erwartungshaltung gekoppelt. Denn aufregen kann ich mich nur, wenn diese nicht erfüllt wird. Im Umkehrschluss heisst das: Wenn ich nichts erwarte, kann ich gelassen bleiben. Das alles ist leichter gesagt, als getan und geht mit aktiver Arbeit an mir selbst einher. Deshalb gibt mir Brigitte Jenni konkrete Tipps mit auf den Weg:
Nimm immer nur etwas auf's Mal in Angriff
So hast du eine höhere Konzentration, bei dem, was du tust. Das erlaubt dir, simultan auf deinen Körper und deine Atmung zu achten und einen ruhigen Puls zu wahren. Nur wer einen ruhigen Puls hat, kann gelassen bleiben. Daher ist es empfehlenswert, grosse Projekte in kleine Sub-Tasks aufzuteilen, die du Stück für Stück in Angriff nimmst.
Vermeide Lärm
Krach sowie laute Musik, besonders Techno und Rock, wühlen dich auf. Generell solltest du dich einer Dauerbeschallung durch TV, Radio, Handy und Co. entziehen, da dies externe Reize sind, die dein System verarbeiten muss.
Meditiere
Es gibt viele einfache Meditationen für Leute, die keinen spirituellen Ansatz verfolgen, sondern einfach ihren Verstand beruhigen möchten. Fünf bis fünfzehn Minuten am Tag können schon helfen, das emotionale wie auch körperliche Wohlbefinden zu steigern.
Baue «Boxenstopps» in deinen Alltag ein
Damit sind kurze Zeitfenster gemeint, die dir über den Tag verteilt als Erholungsoasen dienen. Das kann heissen, morgens mit einer zehnminütigen Meditation zu beginnen, während des Tages immer mal wieder Mantras aufzusagen und den Abend mit einem Spaziergang ausklingen zu lassen. Achte darauf, dass du dabei keine Ablenkungen um dich herum hast und die Zeit nur dir widmest.
Schütze dich vor Energie-Vampiren
Umgib dich nicht mit Leuten, die permanent negative Gedanken äussern. Diese Energie-Vampire, wie Brigitte sie nennt, rauben gelassenen, positiv gestimmten Personen die Energie und ziehen sie herunter. Es liegt in deiner Verantwortung, dich vor solchen Einflüssen zu schützen. Für sie ist das Aufregen ein Stück Lebenselixier und gehört zu ihrer selbstgeschaffenen Identität. Atemübungen und Mantras bringen hier nicht viel, weil das Problem tiefer liegt. Eine Therapie kann in einem solchen Fall helfen. Wichtig ist laut Jenni, dass du bereits nach ein paar gewechselten Sätzen merkst, ob du es mit so einem Menschen zu tun hast. Falls ja, solltest du dich schnell aus der Situation herausnehmen.
Über Brigitte Jenni

Brigitte Jenni hat Ernährungswissenschaften und Psychologie an der Universität Kiel studiert und widmet sich in ihrer Arbeit zwei Kerngebieten: der Ernährungspsychologie sowie dem Krisenmanagement in verschiedenen Lebensbereichen. Dabei verfolgt sie einen ganzheitliche Ansatz, wodurch sie das Wechselspiel zwischen Ursache und Wirkung aus medizinischer, psychologischer und spiritueller Sicht betrachtet. Zurzeit praktiziert sie in Wabern bei Bern und Kreuzlingen (TG). Mehr Infos zu ihr findest du hier.


Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.