

Richtig aussortieren mit einer Professional Organizerin
Ich habe bei «Ordnungswunder» Dagmar Schäfer durchgeklingelt und mit ihr über emotionale Bindungen zu Kleidungsstücken, Fehlkäufe und professionelles Ausmisten gesprochen.
Das klassische Klischee vom vollen Kleiderschrank und nichts zum Anziehen kennen wir alle. Dass das in der Realität aber weder ein Klischee noch ein Wunder ist, weiss Ordnungscoach Dagmar Schäfer. Aus Erfahrung kann sie sagen, dass wir in der Regel nur ein Fünftel unserer Kleidungsstücke wirklich mögen und tragen.
Ich wollte von ihr wissen, wieso wir beim Shoppen offensichtlich so oft daneben greifen, wie wir all den überflüssigen Krempel endlich loswerden und wie zur Hölle wir es schaffen, nur noch Dinge zu kaufen, die uns glücklich machen.
Liebe Dagmar, weisst du, wie viele Kleidungsstücke sich in deinem Schrank befinden?
Tatsächlich habe ich erst vor Kurzem gezählt. Es sind etwa 100. Noch vor ein paar Jahren waren es aber rund fünfmal so viel. Dann habe ich radikal reduziert. Die 100 Teile, die jetzt noch übrig sind, trage ich wirklich alle. Ich stelle mir daraus pro Saison kleine Kapsel-Kollektionen zusammen, die ich auf eine separate Kleiderstange hänge. Danach wandert die Auswahl zurück in den Schrank und eine neue Kollektion kommt auf die Stange.
**Mit deinen 100 Teilen bist du unter dem Schweizer Durchschnitt. Der liegt bei 118, von denen nur rund 40 Prozent getragen werden. Was meinst du, warum wir so viel besitzen wollen? **
Aus meiner Erfahrung werden sogar nur 20 Prozent wirklich getragen. Einerseits liegt das sicher am Überangebot. An allen Ecken und Enden lauert die Verlockung. Ständig kommen neue Kollektionen raus und Social Media reibt uns permanent Inspiration unter die Nase. Dann denken wir «das brauche ich auch». Oder uns gefällt etwas an Freunden oder Bekannten und wir vergessen dabei, dass es gar nicht unserem eigenen Stil entspricht. So kaufen und kaufen und kaufen wir. Fast Fashion macht es möglich.
Dann ist auch eine Art verzerrte Wahrnehmung schuld?
Ja. Viel zu oft kaufen wir Dinge, die einen oder mehrere Haken haben. Und das sind dann genau die Teile, die als Schrankleichen enden.
Ist dieser ganze überflüssige Kram, seien es nun besagte Kleider, oder auch Dinge wie Deko und Möbel, auch emotionaler Ballast?
Würde ich absolut sagen. Denn ich erlebe ja ständig, wie die Leute sich fühlen, wenn dieser ganze Ballast endlich weg ist. Es hilft auch nichts, Dinge in eine Kiste zu verbannen und ganz hinten im Schrank oder im Keller zu verstecken. Unterbewusst wissen wir, dass die Last noch da ist. Noch dazu macht man sich mit zu viel Kram ja selbst das Leben schwer. Das Putzen ist aufwändig, man versinkt im Chaos, findet nichts auf Anhieb …
Mit dem sogenannten kreativen Chaos muss man Dir also gar nicht erst kommen?
Chaos ist erlaubt, das herrscht bei uns allen mal. Entscheidend ist nur, dass man es auch wieder beseitigt und für Ordnung sorgt.
Wie gehe ich diese Ordnung am besten an, ohne mich im Prozess überwältigt zu fühlen? Darum geht es in deinem Buch «Ordnungs-Quickies».
Kleine Schritte sind mein Mantra. Wenn du sie regelmässig gehst, kommst du schnell voran, ohne überfordert zu sein. Ich empfehle aufzuschreiben, welche Bereiche in deinem Leben geordnet werden sollen und diese nach Dringlichkeit zu sortieren. Dann wird die Liste stur abgearbeitet – 15 bis 30 Minuten pro Tag, mehr nicht. So lässt sich das Ausmisten gut in den Alltag integrieren und du läufst nicht Gefahr, entscheidungsmüde zu werden und die Motivation zu verlieren.

Ich liebe es, Listen abzuarbeiten. Es ist so befriedigend.
Siehst du.
Und wenn es dann wirklich ans Eingemachte geht, hast du ein Rezept, um professionell auszumisten?
Das besteht aus drei Stufen. Dem «Warum und mit welchem Ziel möchte jemand ausmisten», dem Reduzieren und dem Organisieren.
Fällt beim Reduzieren auch mal der berühmte Marie-Kondo-Satz «does it spark joy»?
Den empfinde ich ehrlich gesagt als etwas zu abstrakt. Die Fragen «Benutze ich’s?», «Mag ich’s?», «Brauch ich’s?» fallen da schon eher. Und: «Würde ich es mir noch einmal kaufen?».
Du hast doch aber sicher auch schon Härtefälle erlebt? Ich zum Beispiel kann mich nicht von meiner Lieblingsjeans trennen, obwohl sie einen riesigen Riss hat und ich sie schon lange nicht mehr tragen kann. Was rätst du in so einer Situation?
Emotionale Bindung an Gegenstände oder Kleidungsstücke gibt es häufig. Wichtig ist einfach, dass das damit verbundene Gefühl ein positives ist. Das Klammern an etwas Negatives braucht wirklich kein Mensch. Bei positiven Assoziationen hilft oft das Verdeutlichen, dass du dich nicht von der Erinnerung an sich trennst, sondern nur von etwas Materiellem. Oder du machst ein Foto von deinem Lieblingsstück, so kannst du es bei Bedarf immer wieder ansehen.
**Wie gehst du in Stufe drei vor, dem Organisieren? **
Hier gehe ich ganz auf die jeweiligen Bedürfnisse ein. Da spielen zum Beispiel der Alltag und die Grösse der Wohnung oder des Kleiderschranks eine Rolle. Das Endergebnis soll praktisch sein und das tägliche Leben erleichtern.
Was macht es schliesslich mit mir, wenn ich mich von allem getrennt habe, was ich gar nicht brauche und nichts als Ordnung herrscht?
Es ist wirklich befreiend! Ich kenne es ja von mir selbst und liebe es auch, das bei anderen zu beobachten. Diese Erleichterung, der Überblick, die Motivation, diese Ordnung auch beizubehalten.
Man fällt also nicht schnell in alte, chaotische Muster zurück?
In den meisten Fällen tatsächlich nicht. Wenn du dir erstmal aller Vorteile bewusst bist und merkst, wie sich dein Alltag zum Positiven verändert, bist du motiviert, diesen Zustand beizubehalten.
Hast du trotzdem noch einen Tipp, falls das Kaufverlangen wieder einsetzt?
Nimm dir Zeit bei der Kaufentscheidung und frage dich ganz ehrlich: Gefällt mir alles(!) daran? Wie gesagt, macht es keinen Sinn, etwas zu kaufen, das einen oder mehrere Haken hat. Farbe, Stoff, Schnitt, Tragegefühl, Kombinationsmöglichkeiten – all diese Kriterien müssen stimmen.
Was hältst du von der «1 rein, 1 raus»-Methode? Also für jedes neu gekaufte Kleidungsstück ein altes auszusortieren?
Damit kannst du dich am Ende doch wieder selbst beschummeln und bist schneller verleitet, Dinge zu kaufen, die nicht all deinen Kriterien entsprechen. Ausserdem: Hast du deinen Schrank wirklich gewissenhaft ausgemistet, besitzt du ja nur noch Teile, die du wirklich magst und trägst. Es wäre doch schade, wenn du davon etwas aussortieren müsstest.
Was bewegt dich trotz perfekt ausgestattetem Schrank und strengen Kriterien heute noch zum Kauf? Und vor allem: Wie oft?
Ich würde grob geschätzt sagen, dass ich etwa zehnmal im Jahr etwas kaufe. Weil ein Teil nicht mehr schön oder sogar kaputt ist und ich Ersatz brauche. Oder, weil ich etwas gesehen habe, das eine gute Ergänzung zu meiner Kapsel-Kollektion wäre und all meine Kriterien erfüllt. Und dann setze ich auf Qualität, was man sich natürlich plötzlich leisten kann, wenn man nur noch so selten etwas kauft.
Noch ein abschliessender Rat an alle, die jetzt ihre Schranktüren aufreissen, um auszumisten?
Ich rate dazu, erst die paar Stücke rauszufischen, die du magst und regelmässig trägst. Hast du die vor dir liegen, lässt sich schnell analysieren, in welchen Schnitten, Farben und Materialien du dich wohlfühlst. Anhand dieser Erkenntnis kannst du dir den Rest des Kleiderschranks vorknöpfen und ganz strikt aussortieren.
Vielen Dank.

Quelle: Dagmar Schäfer
Dagmar Schäfer geht seit ihrer Kindheit das Herz auf, wenn Dinge, schön, strukturiert und gut sortiert sind. Seit 2008 lebt sie in Zürich und ist hier (neben ihrem Beruf als Tierärztin) als Ordnungscoach und Professional Organizerin tätig. Auf ordnungswunder.ch findest du mehr Wissenswertes sowie ihre Kontaktinformationen.
Titelbild: Alireza Khatami via UnsplashImmer zu haben für gute Hits, noch bessere Trips und klirrende Drinks.