Produkttest

«Soft Minimal» von Norm Architects – ein Buch für die Sinne?

Pia Seidel
13.2.2023
Bilder: Pia Seidel

An den Bildern und Textpassagen in Norm Architects’ erstem Buch kann ich mich berauschen. Aber etwas könnte die Euphorie noch grösser machen.

Norm Architects sind davon überzeugt, «dass gutes Design ein wichtiges Element eines guten Lebens ist», wie sie in dem Editorial ihres ersten Buches namens «Soft Minimal» schreiben. Das kreative Kollektiv aus Kopenhagen arbeitet in den Bereichen Industriedesign, Architektur, Innenarchitektur, Fotografie und Art Direktion und hat viel Erfahrung darin, Wohn- und Gewerbebauten zu gestalten. Auf 304 Seiten haben sie die Werke der letzten 15 Jahre gesammelt, um zu zeigen, welche Werte und Gestaltungsprinzipien sie vertreten.

Soft Minimal (Deutsch, Norm Architects, 2022)
Sachbücher
CHF66.–

Soft Minimal

Deutsch, Norm Architects, 2022

Das Inspirationsbuch und Manifest ist in acht Kapitel aufgeteilt. Es enthält Essays, die dazu anregen sollen, über den Designbegriff nachzudenken, sowie Bilder, die die Sinne stimulieren sollen.

Erster Eindruck: Augenschmaus

Bereits das Cover macht «Soft Minimal» für mich zum Pole-Position-Kandidaten im Bücherregal. Es ist nahezu einfarbig und wird nur von wenigen Fotos geziert, die meinen Augen einen optischen Spa-Aufenthalt verheissen. Beim Durchblättern bewährt sich der erste Eindruck. Ich schweife mit dem Blick durch die Räume – ohne dass ein Kabelsalat oder Product-Placement stören.

Schon die Bilder auf dem Cover strahlen Ruhe aus.
Schon die Bilder auf dem Cover strahlen Ruhe aus.
Quelle: Pia Seidel
Der Effekt hält über das ganze Buch an.
Der Effekt hält über das ganze Buch an.
Quelle: Pia Seidel

Dank Grossaufnahmen entgeht mir kein Detail. Von einem Türgriff im Forest Retreat über einen Kleiderbügel im Concept Store The Audo bis hin zu einer Rückenlehne des Braid-Sessels – die Zoom-Ins zeigen, dass Norm Architects nichts dem Zufall überlassen haben.

Wie die gezeigten Projekte kommt auch das Design des Buches aus einem Guss. Die Übergänge sind so fliessend, dass ich das Gefühl kriege, auf allen Seiten in ein und demselben Gebäude zu sein. Selbst die Cappuccino-Farbpalette wiederholt sich. Der angenehme Fluss zwischen den einzelnen Seiten tut meinen Augen, die für gewöhnlich die kunterbunte Reizüberflutung von Instagram und Pinterest-Feeds gewohnt sind, gut.

Ob Sockel oder Türgriffe – Norm Architects legen Wert auf Details.
Ob Sockel oder Türgriffe – Norm Architects legen Wert auf Details.
Quelle: Pia Seidel
Trotz der wenigen Farbtupfer strahlen die Fotos Wärme aus.
Trotz der wenigen Farbtupfer strahlen die Fotos Wärme aus.
Quelle: Pia Seidel

Gedankenspiele

In den Essays vermitteln Norm Architects ihre Werte und erklären ihre auf den Menschen ausgerichtete Designphilosophie. Beim Kapitel «Licht» sprechen sie beispielsweise über die Notwendigkeit von Schatten, um sich zurückzuziehen. «Schatten sind ein übersehener Aspekt der räumlichen Gestaltung, doch ihre düsteren Reiche bieten notwendige Bedingungen, um tiefe psychologische Zustände zu erwecken». In einer Randnotiz stosse ich auf ein Gestaltungselement, was dieses Konzept etwas mehr veranschaulicht: «Tokonoma» sind kleine, ein bis zwei Meter breite Nischen oder Erker. In der Regel kommen sie in der traditionellen japanischen Architektur vor. Norm Architects setzen sie in ihren Projekten ein, um damit ausgewählte Objekte hervorzuheben. In den Nischen fangen sie einerseits Licht ein. Andererseits wird ihnen durch den Schatten mehr Tiefe verliehen.

Ein Auszug aus dem Essay zum Thema «Licht».
Ein Auszug aus dem Essay zum Thema «Licht».
Quelle: Pia Seidel
Weil die Vase in einer Nische steht, fällt sie mehr auf als im grossen Raum.
Weil die Vase in einer Nische steht, fällt sie mehr auf als im grossen Raum.
Quelle: Pia Seidel

Taktile Erfahrung

Im Editorial schreiben Norm Architects, dass das Buch «taktile Bilder» enthält und selbst ein «taktiles Objekt» sei. Wenn ich das lese, erwarte ich, dass früher oder später unterschiedliche Papiersorten oder -stärken vorkommen. Genaugenommen sind jedoch nur in den Fotos taktile Objekte zu sehen. Das Cover ist das einzige, das eine andere Struktur als die folgenden Seiten hat. Es besteht aus einem Leinenstoff, auf dem die Schrift eingestanzt und die Oberfläche bedruckt wurde. Der Rest ist aus dem gleichen Papier.

Fazit: Poetisch literarisches Werk, aber kein besonders taktiles Objekt

Das Studio will laut Beschrieb mit seinem Buch «das oft nicht Greifbare greifbar machen». In meinen Augen ist das nur ein Stück weit gelungen. «Soft Minimal» bietet zwar jede Menge ästhetische Inspiration, aber es enthält keine konkreten Umgestaltungstipps. Stattdessen gibt es Essays, die anregen, sich mit dem Designbegriff auseinanderzusetzen und darüber zu reflektieren. Für meinen Geschmack sind sie teilweise jedoch zu abstrakt. In den Bildern und Randnotizen finde ich dafür anschaulichere Ideen für Gestaltungselemente. Weniger greifbar finde ich auch das Buch selbst, obwohl es von Norm Architects als «taktiles Objekt» beschrieben wird. Deshalb empfehle ich das Buch vor allem Designprofis und -enthusiasten, die in einem schönen Räumerausch versinken wollen.

Das Buch ist eine Sammlung schöner Bilder und Essays zum Nachsinnen.
Das Buch ist eine Sammlung schöner Bilder und Essays zum Nachsinnen.
Auftaktfoto: Pia Seidel

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Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit. 


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