
Ratgeber
10 schöne Stühle – meiner Meinung nach
von Pia Seidel
Setz dich auf jeden Stuhl, der dir begegnet. Das ist einer der Tricks von Esther Angulo, um gutes Design zu erkennen. Worauf sie bei der Wahl eines Stuhls fürs Esszimmer sonst noch achtet, erfährst du hier.
Die Suche nach dem geeigneten Stuhldesign kann schnell überfordern. Allein unser Sortiment zählt über 5000 Modelle. Da die Wahl der Esszimmerstühle oft eine grosse Investition ist, weil du mehr als nur einen kaufst, habe ich die Spezialistin Esther Angulo um Rat gebeten. Die Innenarchitektin hat schon zahlreiche Möbel für private und öffentliche Projekte ausgesucht. Das Hotel Walther in Pontresina oder das Restaurant Baretto in Zürich sind zwei Beispiele. Ich treffe Esther bei ihr zuhause in Basel. «Du musst dir zu Beginn eine Checkliste machen und gezielt Fragen stellen», schlägt sie vor, «dann simulieren und kreativ werden.»
«Lange sitzen können, sich wohlfühlen, spielerisch, flexibel sein – solche Schlagwörter notiere ich mir zu Beginn auf einer Seite», sagt Esther. Bevor du dir Gedanken zur Optik machst, empfiehlt sie, eine Checkliste mit Eigenschaften zu erstellen. So stellst du sicher, dass deine Bedürfnisse später erfüllt werden. Erst danach kommen Aussehen und konkrete Angaben zum Stuhl ins Spiel.
Ihren privaten Kundinnen und Kunden stellt Esther dafür Fragen zu ihren Gewohnheiten. Wie der Stuhl mit anderen Möbeln, zum Beispiel mit einem Esstisch, genutzt wird. Auch Punkte, wie die Raumgrösse, architektonische Merkmale des Raums und welche Möbel noch dort stehen, sind relevant. «Bei einer kleinen Küche wäre ein leichter Holzstuhl ohne Armlehne oder Polster optimal. Wo viel gekocht wird und schnell einmal etwas spritzt, sind abwaschbare Oberflächen oder wasserabweisende Stoffe vorteilhaft.»
Ein Stuhl ist wie ein Mitbewohner, der mit dir funktionieren muss.
Ist der Fragebogen ausgefüllt, fährt Esther mit Referenzbildern weiter. Haben die Auftraggebenden konkrete Vorstellungen, integriert sie ihre Bilder in die Recherche. Daraus entsteht eine Collage – ein Moodboard. Dort ergänzt sie eigenes Material, das sie entweder auf Social Media findet oder in ihrer umfangreichen Fotosammlung von Showroom- und Messebesuchen. So stellt sie sicher, dass alle Beteiligten von derselben Vision sprechen.
Wenn es bereits einen Esstisch gibt, fragt Esther zuerst nach den Massen. «Du solltest nicht zu niedrig am Tisch sitzen», erklärt sie. «Sonst fühlst du dich wie ein kleines Kind und tendierst dazu, die Ellbogen und Schultern hinaufzuziehen. Das kann in Ausnahmefällen passen, aber zum Wohlfühlen braucht es mehr.» Ausserdem fällt älteren Leuten das Aufstehen von tiefen Stühlen wie einem Lounge-Chair schwer. Bücher wie «Bauentwurfslehre» von Neufert sind ein tolles Nachschlagewerk. Sie geben unter anderem Auskunft über normierte Abstände oder Bauelemente in Wohnbereichen, Kirchen, Büros und vieles mehr. Vom Boden bis zur Sitzfläche gelten 40 bis 47 Zentimeter als bequem. In Restaurants gibt es vereinzelt auch 48 Zentimeter hohe Stühle. «Das kann oft schon zu hoch sein und unangenehm werden, wenn die Füsse in der Luft schweben», so Esther.
Um zu testen, welche Sitzhöhe für dich stimmt, rät sie zur Simulation. «Du hast immer einen Stuhl zu Hause, der sich abmessen lässt. Platziere zum Beispiel ein Buch darunter, damit du dir die Höhe vorstellen kannst und weisst, wie sie sich anfühlt.»
Für die Distanz zwischen Tischplatte und Sitzfläche sollen 23 bis 28 Zentimeter eingerechnet werden. So kannst du die Beine übereinanderschlagen. Mehr als 28 Zentimeter lassen dich hingegen wie am Kindertisch fühlen. Der Abstand zu anderen Möbeln oder der Wand sollte mindestens ein Meter sein. Für den Abstand zwischen den Stühlen gelten 65 Zentimeter als optimal. So kannst du deine Ellenbogen ausstrecken, ohne den Sitzenden neben dir zu streifen.
Probesitzen lohnt sich – egal, ob im Laden, im Hotel oder bei Freunden. «Du sollst dich strecken und nach hinten rücken können, ohne dass es wackelt, oder knarzt», sagt Esther. «Wenn du nach dem Essen einmal Lust hast, jemand anderem auf den Schoss zu sitzen, sollte der Stuhl nicht gleich zusammenbrechen.»
Wie viel du dich beim Essen bewegst, entscheidet darüber, ob sich Armlehnen für dich eignen. Falls du dir unsicher bist, ob sie dich stören könnten, rät Esther zur Kombination unterschiedlicher Stühle – mit und ohne Lehne. Schliesslich brauchen sie mehr Platz und haben Einfluss auf den Abstand zum Esstisch. «Stelle sicher, dass die Lehnen unter den Tisch passen», sagt sie. «So geht kein Platz verloren.» Als Alternative eignen sich Stühle mit kurzer Armlehne. Sie bieten Komfort und passen bei tiefen Tischen zumindest einen Teil darunter.
Für den Heimgebrauch und bei Oberflächen, die direkten Hautkontakt haben, greift Esther ungern zu Metall. Es ist kalt und kann am Körper ungemütlich sein. Geschlossene Kunststoff-Sitzflächen meidet sie, weil du im Sommer daran kleben bleibst und Feuchtigkeit wegen der schlechten Luftzirkulation nicht entweichen kann. Neben Holz bevorzugt Esther gepolsterte Stühle oder solche, die nur eine gepolsterte Sitzfläche haben. «Polster lädt zum Verweilen ein», sagt sie. «Besonders auf der nackten Haut ist eine weiche Oberfläche angenehm.» Die Innenarchitektin achtet darauf, dass der Stoff imprägniert ist. Optisch merkst du den Unterschied nicht. Geht aber einmal etwas daneben, perlt die Flüssigkeit einfach ab. Ausserdem fragt sie beim Hersteller nach, ob sich der Stoff erneuern oder der Stuhl neu polstern liesse, falls etwas schief geht. Dies ist zwar nicht ganz günstig, lohnt sich aber langfristig.
Esther wählt Stühle für ihre Projekte nach umweltfreundlichen Kriterien aus. Ihr ist wichtig, dass ein Stuhl oder seine Einzelteile nicht um die halbe Welt geflogen sind. Vorzugsweise schlägt sie für ihre Projekte ein schönes Design aus der Schweiz und Europa vor. Sie empfiehlt, sich vorab zu versichern, wie einfach Reparaturen bei Bedarf wären. «In der Gastronomie ist es essenziell, dass Ersatzteile nachbestellt werden können», erklärt sie. «Spezielle Produzenten von Möbeln für den öffentlichen Bereich achten darauf oder Designfirmen wie Vitra bieten diesbezüglich auch einen guten Service. Bei Anbietern günstiger Stühle ist das oft anders.»
Den Stuhl anzuheben und zu begutachten hilft beim Erkennen der Qualität: Wie ist er verarbeitet? Wurde er geklebt oder verschraubt? Es gibt gute und trotzdem günstige Stühle. Schlechte Qualität erkennst du unter anderem daran, dass die Schrauben aus Plastik statt aus beständigem Metall sind. Dann gibt es regelrechte Klassiker: Esther besitzt eine Reihe «Classic»-Stühle von Horgenglarus aus zweiter Hand. «Die Stühle des Schweizer Herstellers sind unter anderem so beständig, weil sie gute Verbindungen haben und aus einem schön alternden Massivholz gefertigt sind.» Mit anderen Worten: Ein wertiges Holz und eine gute Oberflächenbehandlung machen einen Stuhl haltbarer. Esther hakt auch hier bei den Produzenten nach. Wie ist der Stuhl behandelt? Ist er lackiert oder geölt und wie muss er gepflegt werden? Bei Onlinekäufen ist auch ein Blick auf das Gewicht wertvoll. Es verrät dir, wie standfest das Design ist.
Ein Detail, das oft vergessen geht: der Untergrund. Gewisse Marken liefern den passenden Möbelgleiter für deinen Boden, wenn du nachfragst», meint Esther. Andernfalls gibt es Kunststoff- und Filzgleiter zum Einschrauben für Parkettböden oder solche aus Metall für Teppiche oder Kunststoffböden. Auf einem Teppich sind Filzgleiter unpraktisch, da sie nicht rutschfähig sind. Von selbstklebenden Filzgleitern für einen Stuhl rät sie ab: «Sie sind oft sichtbar und fallen schnell ab. Oder es sammelt sich unschöner Staub an.»
Stühle können die Optik von Räumen auflockern und prägen das Gesamtbild. «Es muss stimmig sein, aber ein auffälliges und aufwendiges Design wertet schnell den ganzen Raum auf», sagt Esther. Stühle wie der berühmte Eames Plastic Chair von Charles und Ray Eames sind dafür bekannt und gelten als Designobjekt. Sie werden oft fälschlicherweise als Vitra-Stuhl bezeichnet. Das Phänomen erklärt sie sich durch gelungenes Marketing (seitens Vitra) und den Wow-Effekt: Elemente wie die farbige Sitzschale und Verstrebungen ziehen Blicke auf sich.
Es braucht in jedem Interieur etwas Lebendiges. Exotische Möbel und einen Hingucker hier und da habe ich gern.
Hingegen bewähren sich Stühle wie von Horgenglarus durch ihre klaren und zurückhaltenden Formen. Im Zweifelsfall kannst du verschiedene Stühle miteinander kombinieren. «So haben wir es beim Hotel Walther gemacht», erzählt sie. Dort wurden im Speisesaal vier verschiedene Modelle mit Polsterstoffen eingesetzt. Das bringt Abwechslung.
Esthers Innenarchitektur ist von den unterschiedlichen Orten, an denen sie gearbeitet hat, geprägt. Angefangen hat sie bei der Interiordesignerin Iria Degen in Zürich, die für einen klassischen und eleganten Stil steht. Daraufhin ging sie nach Kopenhagen, um für David Thulstrup zu arbeiten. Die Projekte des Studios sind bekannt für ihren skandinavischen Minimal-Chic. Von Virginia Maissen nimmt sie einen Sinn für das Eklektische mit. Die Zürcher Innenarchitektin ist für ihren Freigeist und ihr Händchen für Vintage-Möbel bekannt. Heute arbeitet Esther Angulo für den Architekten Rolf Stalder. Sie ist unter anderem beteiligt am Ausbau einer Innenarchitekturabteilung und am Redesign eines Restaurants und Hotels in Birsfelden bei Basel. Ihren eigenen Stil beschreibt sie heute als klassisch, zeitlos und als locker. «Es braucht bei mir nebst einem harmonischen Zusammenspiel auch etwas Kräftiges und mindestens einen Blickfang im Raum, der ihm einen Charakter verleiht.»
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.