
Hintergrund
Bündner Hochjagd: auf Spurensuche im Calancatal
von Patrick Bardelli
Die Sonne brennt vom Himmel. Überall stehen grosse, Schatten spendende Bäume. Doch daruntersetzen läuft heute nicht. In den Baumkronen hängen kletterwütige Baumpfleger, die sich beweisen wollen.
Ich befinde mich auf dem Sportplatz der Uni Lausanne, gleich am Ufer des Genfersees. Ein schönes Fleckchen haben sich die Veranstalter der Schweizer Baumklettermeisterschaften ausgesucht. Noch schöner wär’s, wenn ich nicht knapp drei Stunden Zugfahrt hinter mir hätte. Ich hätte nie gedacht, dass mich Herumsitzen so auslaugen kann. Ich fülle die Zeit mit Lesen, auf dem Handy herumtöggelen und Notizen machen, doch die Zeit geht trotzdem kaum vorbei. Ich hätte Lust zu jammern, aber es ist leider keiner da, den ich vollheulen könnte. Besser so wahrscheinlich. In Lausanne angekommen, schwing ich mich in die Metro, geh noch ein paar Meter zu Fuss und komm dann endlich am Ziel an.
Erst habe ich das Gefühl, dass ich die einzige Zuschauerin bin. Alle anderen tragen entweder Crew-, Organisatoren- oder Teilnehmershirts. Aber egal, ich bin ja wegen des «Sports» und nicht wegen des Drumherums da. «Sport» deshalb, weil alle Teilnehmer entweder in der Baumpflege oder einem verwandten Beruf arbeiten und es deshalb genau genommen eine Berufsmeisterschaft ist. Genau das schätzt Louise Groenbaek an dem Event. Es ist kein Sportevent, sondern ihr täglich Brot, das unter verschärften Bedingungen stattfindet. Louise ist Dänin und nur für etwa fünf Wochen in der Schweiz. Sie ist hier, um Leute eines früheren Wettbewerbs zu treffen und ihre Fähigkeiten zu verbessern. Und natürlich, um an der Meisterschaft teilzunehmen.
Den ersten Wettkampf, den ich mir anschaue, ist das Arbeitsklettern. Ziel ist es, in möglichst kurzer Zeit Aufgaben im Baum zu lösen. Die korrekte Ausführung wird in den meisten Fällen in Form eines Glockenklingelns deutlich gemacht. Dabei wäre es gut, auch noch sauber zu klettern, sonst gibt’s Abzug in der B-Note. Zwischen all den Männern entdecke ich auch eine Frau, die gleich an den Start geht. Ziemlich selten in diesem Gebiet. Auch heute ist das Baumklettern noch fest in Männerhand. Das bestätigt auch Louise, die ich leider nie klettern sehe. «Ich war schon ein paarmal in Dänemark an Meisterschaften und war meist die einzige Frau. Hier sind wir zu viert, was toll ist!» Sophie, die jetzt dran ist, hat ein eigenes Baumpflegegeschäft in Frankreich und dadurch viel Erfahrung. Kleinigkeiten gehen schief, alles in allem aber beeindruckend, zumindest für mich als Laie.
Ich wechsle den Baum, von Laub geht’s zu Nadel. Die Zuschauer haben sich nun auch vermehrt. Bevor ich genau sehe, was hier abgeht, rieche ich die Kiefer. Schon das allein ist super. Mit besserer Sicht sehe ich dann auch, was hier gefordert wird: Rettung aus dem Baum. Ein Dummy hängt in den Seilen und muss von den Teilnehmern ohne weitere Blessuren befreit werden. Das ist spannend mit anzusehen und auch spannend für die Kletterer, sagt zumindest Louise. «Da wir im Alltag kaum damit in Berührung kommen, ist es spannend und wichtig zumindest hier damit konfrontiert zu werden. So denken wir über die Situation nach, führen sie praktisch aus und sind im Ernstfall darauf vorbereitet.»
Eine andere Disziplin, die im realen Leben so nicht wirklich vorkommt, ist das Schnellklettern. Wie der Begriff schon sagt, geht es dabei darum, möglichst schnell einen Baum hochzuklettern und an einem Glöckchen zu klingeln. Das ist schön anzuschauen, da es schnell geht und die Sicht in den Baum gut ist. Nach einem kurzen Spaziergang gelange ich zum Seilwerfen. Dabei muss ein Seil vom Boden aus so in den Baum geworfen werden, dass es über einem bestimmten Ast hängt. Ich verweile nicht lang, da sich der Unterhaltungswert in Grenzen hält. Deshalb gehe ich weiter zum letzten Posten, dem Aufstiegsklettern. Innerhalb eines Zeitlimits muss der Teilnehmende an einem frei hängenden Seil eine vorgegebene Höhe erreichen. Auch diese wird per Glöckchen angegeben. Das geht wie beim Schnellklettern ziemlich zügig und ist auch dadurch spannend anzusehen. Da ich als Zuschauer leicht erhöht stehe, ist auch die Aussicht nicht von schlechten Eltern.
Nach wenigen Stündchen trete ich schon wieder den Heimweg an. Du erinnerst dich vielleicht, dass dieser etwa drei Stunden dauert und damit noch einiges vor mir liegt. Alles in allem ist es aber ein gelungener Tag. Es ist schön zu sehen, wie sehr sich die Baumpfleger und Baumpflegerinnen mit ihrer Arbeit identifizieren. Konkurrenzdenken Fehlanzeige. Alle unterstützen einander und spornen sich gegenseitig an. Die Stimmung ist locker und freundlich. Irgendwann habe ich das Ganze aber gesehen. Da ich als Laie die kleinen aber feinen Unterschiede nicht wirklich sehe, wirken die Klettereinlagen redundant. Genauso wie die Zugfahrt nach Hause. Die kommt mir auch irgendwie bekannt vor ...
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.