

10 Wochen bis zum Start: Werde ich den Halbmarathon in Nnormal-Schuhen laufen?

Laufschuhe zu testen ist so eine Sache. Vieles hängt von der eigenen Fussanatomie, vom Laufstil und von persönlichen Vorlieben ab. Ich habe es trotzdem gewagt und den Nnormal Kjerag probegetragen. Jetzt will ich ihn gar nicht mehr ausziehen.
Wenn Kilian Jornet, die Ultramarathon- und Bergsportlegende schlechthin, einen Schuh entwickelt, dann sind die Erwartungen hoch. Schliesslich hat er so ziemlich alles gewonnen, was es im Trailrunning und bei Ultramarathons zu gewinnen gibt. Dazu zählen allein im Jahr 2022 der 100-Meilen Tjörnarparen Trail Ultra, der Hardrock 100 Ultramarathon und der 171 Kilometer lange Dacia UTMB Mont-Blanc. Bei den letzten beiden Rennen erzielte der Ausnahmeathlet neue Streckenrekorde. Kurz gesagt: Kilian Jornet weiss, worauf es beim Laufen ankommt.
All seine weiteren Leistungen einzeln aufzuzählen, würde einen ganzen Artikel füllen, aber darum geht es hier nicht. Es geht um den Schuh, den Kilian mit seinem neuen Unternehmen Nnormal in Zusammenarbeit mit dem spanischen Schuhhersteller Camper auf den Markt gebracht hat.

Quelle: Siri Schubert
Den Schuh will ich in meine Vorbereitung für den Hallwilersee Halbmarathon einbauen. In den knapp zehn Wochen bis zum Rennen teste ich unterschiedliche Sportbekleidung, Trainingsformen und Produkte, so dass ich am 14. Oktober gut vorbereitet und optimal ausgerüstet an der Startlinie stehe.

Die Nnormal (kurz für New Normal) Schuhe reizen mich, weil sie sowohl für flache Läufe als auch fürs Trailrunning geeignet sind. Schliesslich bin ich gerne auf Wald- und Forstwegen, aber auch in steilem, anspruchsvollem Gelände unterwegs – wenn ich also einen Schuh finden würde, der beides mitmacht, wäre das ein Volltreffer.
Ein Schuh für Wettkampf und Training
Kjerag heisst der Schuh, benannt nach einem ikonischen Berg in Norwegen, der durch seine spektakulären Aussichten, steilen Klippen und einen eingeklemmten Felsbrocken bekannt geworden ist. Dass Kilian, der mit seiner Partnerin, der Ultra-Trail-Läuferin Emelie Forsberg, und seinen beiden Töchtern in Norwegen lebt, diesen Berg locker mit den Nnormal Kjerag Schuhen hinauf läuft, kann ich mir gut vorstellen.

Quelle: Arhadij/Vecteezy.com
Nicht vorzustellen brauche ich mir, dass er den Kjerag Schuh bei seinen grossen Wettkämpfen 2022, dem Sierre Zinal, dem Hardrock 100, dem Zegama und UTMB Rennen trug und insgesamt schon 800 Wettkampf-Kilometer in ihm zurückgelegt hat. In ein und demselben Paar. Das hat er mehrfach bekundet. Offensichtlich ist der Schuh perfekt für eine Lauflegende wie ihn. Doch wie würde er sich an meinen Füssen, also den Füssen einer durchschnittlichen Läuferin, die zwar sehr gerne, aber nicht besonders gut läuft, machen?
Schon als ich den Schuh aus dem Karton nehme, bin ich beeindruckt. Mit 200 Gramm ist der Schuh extrem leicht, wirkt dabei aber keineswegs gebrechlich. Das soll er auch nicht sein. Kilian und sein Team haben sich zum Ziel gesetzt, einen umweltfreundlichen Schuh herzustellen, der auch Langzeitbelastungen standhält.
Hier ein paar technische Daten:
**–Gewicht: 200 g/Schuh (Gr. EU 42)
**–Sprengung: 6 mm
**–Profiltiefe: 3,5 mm
**–Höhe Zwischensohle: Ferse 23,5 mm / Vorfuss 17,5 mm
In den meisten Laufzeitschriften und -ratgebern wird empfohlen, Laufschuhe nach 400 bis 800 Kilometern zu wechseln. Kilian hat sein erstes Paar Kjerag Schuhe nach eigenen Angaben über eine Gesamtdistanz von 1’300 Kilometern und 70’000 Höhenmetern getragen. Zudem sollen die Schuhe für jedes Terrain geeignet sein, von der Strasse bis zum technisch anspruchsvollen Bergtrail. Der Gedanke dahinter: Wer die Schuhe nicht so häufig wechseln muss und für verschiedene Bedingungen das gleiche Paar tragen kann, spart Ressourcen und ist somit umweltfreundlicher unterwegs.
Der erste Eindruck ist positiv – minimales Material und gute Passform
Vor dem ersten Anprobieren bin ich trotzdem skeptisch. Der Schuh sieht schmal aus. Ich habe breite Füsse und viele gängige Laufschuhe sind zu eng für mich und verursachen Blasen, Druckstellen und Schmerzen. Als ich den Kjerag anziehe, bin ich positiv überrascht: Er hat eine breite Zehenbox, die für meine Treter ideal sind. Am Mittelfuss schmiegt er sich angenehm eng an und gibt mir guten Halt. Das Obermaterial besteht aus leichten und sehr robust wirkenden beschichtetem Polyamid- und Kevlarfasern und einer Zunge, die den Fuss auch seitlich umschliesst. Die Schnürung lässt sich gut anpassen und die Ferse ist extra gut gepolstert, was ein unangenehmes Herumrutschen im Schuh verhindert.

Quelle: Siri Schubert
Was fehlt, ist eine Innensohle. Ich finde das gut, denn mit Innensohlen bewegt sich der Fuss, zumindest meiner Erfahrung nach, auch stärker im Schuh. Weil das zu Blasen führen kann, nehme ich die Innensohlen ohnehin meistens raus. Dass der Kjerag von vornherein keine hat, kommt mir gelegen. So bin ich direkt mit der Zwischensohle verbunden und habe ein Element weniger am Fuss, das stören, rutschen und Reibung verursachen kann. Natürlich wird der Schuh ohne Innensohle auch leichter.
Los geht’s – schliesslich bin ich gespannt auf den ersten Eindruck. In den nächsten Wochen werde ich den Schuh auch auf längeren Läufen und in steilerem Gelände testen, aber zunächst nehme ich ihn mit auf einen lockeren 10-Kilometer-Lauf in meiner Nachbarschaft – auf Kies- und Waldwegen.
Auf den ersten Kilometern zeigt der Schuh, was er kann
Kurz gesagt: Der erste Eindruck überzeugt. Die Zwischensohle hat keine übermässig starke Polsterung und gibt mir ein gutes Gefühl für den Untergrund. Der Schuh fühlt sich beim Laufen kein bisschen schwammig an. Ich persönlich mag das sehr. Das gibt mir Feedback zum Gelände und sorgt für eine bessere Balance.
Generell mag ich Schuhe, die mir ein gutes Bodengefühl geben. Deshalb bin ich gerne mit minimalistischen Schuhen und auch mit Barfussschuhen unterwegs. Ich weiss aber auch, dass andere Läufer eine stärkere Dämpfung bevorzugen und viele Schuhhersteller, nachdem der Trend für minimalistische Schuhe abgeebbt ist, auf Schuhe mit extrem dicker Zwischensohle setzen. Wenn du am liebsten mit stark gepolsterten Schuhen unterwegs bist, ist der Nnormal Kjerag nicht für dich geeignet. Wenn du aber hin- und wieder mit Barfussschuhen läufst und auch sonst weniger Polsterung bevorzugst, könnte der Kjerag dein neuer Lieblingsschuh werden.

Quelle: Siri Schubert
Ebenfalls gefallen hat mir die so genannte Rückfederung der Zwischensohle. Sie beschreibt Materialeigenschaften des Schaumstoffs, der sich nach der Komprimierung beim Aufprall schnell wieder ausdehnt und so Energie zurückgibt. Ich bin keine Physikerin und kann die Energierückgewinnung nicht messen oder beweisen. Was ich sagen kann, ist, dass ich beim 10-Kilometer-Lauf mit einer geringeren Herzfrequenz schneller als in den Tagen zuvor gelaufen bin. Ob das an besserer Erholung, an meinen Erwartungen an den Schuh oder tatsächlich an der Nnormal Zwischensohle liegt, vermag ich nicht zu beurteilen. Der Schuh fühlt sich jedenfalls extrem gut an und das Laufen mit ihm fällt mir sehr leicht. Er unterstützt meinen natürlichen Laufstil und bietet mir ausreichend Halt, Dämpfung und Rückfederung bei einem ebenso guten Gefühl für den Untergrund.
Die sehr leichte, aber sehr griffige Vibram Megagrip Sohle ist ebenfalls ein Plus. Auf nassen, rutschigen Steinen und Wurzeln habe ich den Schuh schon getestet und er hat dort jeweils gut gehalten. Demnächst werde ich ihn auch auf Bergtrails mitnehmen und schauen, wie sich der Grip im steilen Gelände macht. Die Stollen sind mit 3,5 mm für die meisten Bedingungen geeignet, für sehr matschige Strecken scheinen sie allerdings etwas kurz.

Quelle: Siri Schubert
Fazit: Ein Schuh nicht nur für Lauflegenden
Inzwischen bin ich rund 50 Kilometer mit dem Nnormal Kjerag gelaufen. Das Training umfasste neben dem 10-Kilometer-Lauf einen 16-Kilometer-Lauf, eine Strides-Session, also ein Training, bei dem ich jeweils für 20 Sekunden auf 90 Prozent meines Maximaltempos beschleunigt habe, einen 5-Kilometer-Tempolauf und zwischendurch kurze lockere Laufeinheiten. Jedes Mal hat sich der Schuh sehr gut angefühlt und mein Training unterstützt. Deshalb nehme ich ihn schon jetzt auf die Liste meiner optimalen Ausrüstung für den Halbmarathon am 14. Oktober.
Titelfoto: Siri Schubert

Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.