Hintergrund

Birkenstock: Von Hippie-Latschen zu It-Sandalen

Vanessa Kim
9.7.2021

Die Schlappen von Birkenstock haben ihr altbackenes Image abgestreift. Das einst hässliche Entlein der Branche gehört zu den beliebtesten Sandalen. Zu Recht, finde ich.

Most wanted: Der «Arizona»-Slipper von Birkenstock war 2020 der zweitmeistgesuchte Modeartikel. Die beliebteste Sweatpants (von Nike) landet bloss auf Platz vier – im Jahr der Jogginghose will das was heissen! Trotzdem überrascht mich der Hype nicht. Nachdem ich während des (Teil-)Lockdowns Geld für Dinge ausgegeben habe, die ich nicht wirklich brauche, musste etwas Praktisches her. Etwas, das ich täglich verwende. Meine Wahl fiel auf meine ersten «Arizonas» von Birkenstock, mit denen ich – wie auf Wolken schwebend – bereits viele Kilometer in meiner Wohnung zurückgelegt habe. Bereut habe ich meine Wahl noch nicht, ich hätte mir die Latschen viel früher kaufen sollen. Denn sie waren schon immer da. Ich hatte sie bloss nicht auf dem Radar, weil sie so wuchtig aussehen. Mit diesem Sinneswandel stehe ich nicht alleine da: Seit 2018, der Sternstunde der hässlichen Dad Shoes, surfen die Latschen auf einer Erfolgswelle, die einfach nicht abreissen will. Wer den klobigen Ugly Sandals nicht schon lange verfallen ist, ist es spätestens jetzt. In Zeiten, in denen Komfort gross geschrieben wird.

Vom Orthopädieschuh zum It-Piece – eine kleine Geschichtsstunde

Den Grundstein für das bequeme Schuhwerk legt der Schuhmacher Johann Adam Birkenstock ab 1774 in der deutschen Stadt Langen-Bergheim in Hessen. Über Generationen wird sein Wissen rund um orthopädisches Schuhmacherhandwerk weitergegeben. Ab 1896 produziert Konrad Birkenstock flexible Einlagen und verkauft diese in seinen beiden Schuhgeschäften. Mit Erfolg. Die Nachfrage nach den Fussbetteinlagen steigt. Darum beschliesst er, aus den losen Einlagen feste Innensohlen für seine Massschuhe zu machen.

Es ist sein Nachkomme Karl Birkenstock, der 1963 die erste Tieffussbettsandale lanciert. Das Modell «Madrid» mit verstellbaren Riemen kommt allerdings nicht gut an. Als Novum in der Branche ist es für die Kundschaft ein gewöhnungsbedürftiger Anblick. Trotz der raschen Erweiterung des Birkenstock-Sortiments wollen die Schuhe niemandem gefallen. Karl lässt jedoch nicht locker und seine Hartnäckigkeit zahlt sich schliesslich aus: Per Versandhandel (unter anderem in die USA) und durch das steigende Interesse von Ärzten und Pflegepersonal gelingt dem Familienunternehmen doch noch der Durchbruch. Auch der Vertrieb in Kalifornien trägt massgeblich dazu bei, wo die Hippieszene auf die Latschen aufmerksam wird.
Im Jahr 1973 lanciert die Marke ihr Erfolgsmodell «Arizona». Fast zehn Jahre später folgt «Gizeh». Die erste Sandale mit Zehensteg. Die Marke expandiert und knapp vier Jahrzehnte später wird aus einem losen Verbund ein Konzern, den nach 240 Jahren Firmengeschichte erstmals kein Familienmitglied leitet. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Leitung: Birkenstock steigt ins Lizenzgeschäft ein, um neue Märkte zu erschliessen. So steigert das Label seinen Jahresumsatz von umgerechnet 325 (2014) auf 885 Millionen Franken (2019). Nicht einmal die Pandemie konnte dem Brand finanziell etwas anhaben.

Birkenstock Madrid Birko-Flor Nubuk schmal
Sandalen
CHF84.78

Birkenstock Madrid Birko-Flor Nubuk schmal

Birkenstock Arizona Birko-Flor Nubuk normal
Sandalen

Birkenstock Arizona Birko-Flor Nubuk normal

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Birkenstock Arizona Birko-Flor Nubuk normal

Birkenstock Arizona Birko-Flor Nubuk normal

Der Homeoffice-Schuh

Die Marke Birkenstock zählt sogar zu den Gewinnern der Pandemie. Im Homeoffice liefen die Tasten heiss: Gemäss der Modesuchplattform Lyst ist die Nachfrage nach der «Arizona»-Sandale um 225 Prozent gestiegen. Kein Wunder, wer sie bis dahin nicht eh schon trug, kaufte sie sich spätestens in Zeiten wie diesen, wo Komfort und Funktionalität entscheidend sind. Wer jobbedingt nicht unter Leute kommt und viele Stunden allein im stillen Kämmerlein verbringt, will das in bequemen Latschen tun. Sieht ja keiner. So ist es jedenfalls mir ergangen. Jetzt, wo ich auf den Geschmack gekommen bin, will ich meine «Arizonas» nicht mehr missen. Ein Glück, dass ich sie nicht nur als Pantoffeln, sondern nach dem Aufheben der Homeoffice-Pflicht auch draussen tragen kann.

Was die Slipper ausmacht

Birkenstock ist eine Gesundheitsmarke. Das ist den Schuhen auch anzusehen. Trotzdem muss ich zugeben, dass sie mir immer besser gefallen, je mehr ich mich an ihren Anblick gewöhnt habe. Viel wichtiger sind jedoch die inneren Werte. Sprich: Dass sie dank ihres anatomisch geformten Fussbetts wahnsinnig bequem sind. Es soll einem Fussabdruck im Sand nachempfunden sein. Das macht das Gehen in den Sandalen auch nach stundenlangem Tragen komfortabel. Eine Quergewölbestütze, Zehengreifer, ein Bettungsrand und die Ausformung des Fersenbereichs machen das Gehen besonders angenehmen. So hast du im Gegensatz zu anderen Sandalen denselben starken Halt wie in geschlossenen Schuhen. Das kann ich aus persönlicher Erfahrung bestätigen. Die Sohle besteht aus zwei dämpfenden Jute-Schichten, einer flexiblen Kork-Latex-Bettung und einem Velourslederbezug, der Feuchtigkeit absorbiert.

Werden die Gesundheitsschuhe nun zu Luxussandalen?

Auch die Amerikaner und Franzosen haben inzwischen das Potenzial der deutschen Sandalen erkannt: Um Märkte wie China und Indien zu erobern, hat die Schuhdynastie Anfang Jahr die Mehrheit ihrer Anteile an die Investmentgesellschaften L Catterton und Financière Agache, eine Holdinggesellschaft von Bernard Arnault, den Eigentümer des Pariser Luxusgüterkonzerns LVMH, verkauft. Neben Marken wie Möet & Chandon und Louis Vuitton gehören dem Branchenführer auch Fashion Labels wie Givenchy, Celine und Dior.

Birkenstock x Valentino Garavani. Bild @birkenstock
Birkenstock x Valentino Garavani. Bild @birkenstock
Birkenstock x Proenza Schouler. Bild: @proenzaschouler
Birkenstock x Proenza Schouler. Bild: @proenzaschouler

Ob den Latschen damit der Eintritt in den Luxusmarkt gelingt und sie noch begehrter werden? Fakt ist, dass Birkenstock 2012 einen Erfolgsschub hatte, nachdem Phoebe Philo, damalige Chefdesignerin von Céline (damals noch mit einem «é» geschrieben), auf dem Laufsteg ihre fellbesetzte Neuinterpretation der Sandalen präsentierte. Nachdem das Modell «Arizona» von weiteren Luxuslabels kopiert wurde, beschloss Birkenstock selbst gemeinsame Sache mit anderen Modehäusern zu machen. Es folgten Kooperationen mit Valentino, Proenza Schouler und jüngst Jil Sander, die der Traditionsmarke den gewissen It-Faktor verleihen. Ich bin gespannt, wer als nächstes nachziehen wird. Mit Dior dürften die Sandalen erst recht zu einem der «most wanted» Modeartikel werden.

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Wenn ich mal nicht als Open-Water-Diver unter Wasser bin, dann tauche ich in die Welt der Fashion ein. Auf den Strassen von Paris, Mailand und New York halte ich nach den neuesten Trends Ausschau und zeige dir, wie du sie fernab vom Modezirkus alltagstauglich umsetzt. 


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