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Das Beste aus dem Land der Bärentatzen

Ümit Yoker
12.9.2017

Was kann und will ich meinen Kindern aus dem Land vermitteln, in dem ich geboren bin und bis vor wenigen Jahren lebte? Kann die Schweiz für sie ein Zuhause sein, auch wenn sie in Portugal aufwachsen?

Meine portugiesischen Söhne sollen wissen, wie es klingt, wenn Jörg Schneider den Kasperli macht. Sie können die erste Strophe von «Det äne am Bergli» singen, obwohl im Umkreis von zweitausend Kilometern kaum jemand mitsingen kann. Sie kennen den Geschmack von Bärentatzen und auf ihren Geburtstagskuchen kommen Marzipanrüebli aus der Migros, auch wenn wir stets in Lissabon feiern. Sie lieben Cipollata und Ovi, sind mit der Badi Allenmoos vertraut und lassen sich ihre Fussnägel zu schweizerdeutschen Abzählreimen schneiden.

Drei Jahre sind vergangen, seit mein Mann und ich mit unseren Buben nach Portugal gezogen sind. Eineinhalb Jahre alt war der grössere damals, der jüngere gerade einmal ein paar Wochen. Was wird die Schweiz für sie dereinst bedeuten? Kann es für sie ein Zuhause sein, auch wenn sie nicht hier aufwachsen? Was will ich ihnen vermitteln aus dem Land, in dem ich geboren bin und bis vor kurzem gelebt habe, und was nicht?

Was sie von der Schweiz nicht zu wissen brauchen: Wie die Landeshymne geht. Dass es immer noch Orte gibt, an denen man sonntags nicht Wäsche waschen darf. Was in der Weltwoche steht.

Meine Kinder müssen sich nicht mit jeder Faser Schweizer heissen, um sich hier wohl fühlen zu können. Schliesslich ist auch mir manches stets fremd geblieben, obwohl ich hier geboren bin. Noch immer frage ich mich, wohin alle Menschen eigentlich Sonntag für Sonntag verschwinden, so dass ganze Stadtteile leblos zurückbleiben. Es ist mir auch ein Rätsel, wie man heute schon wissen kann, dass man sich am 9. Dezember mit Sabine auf einen Kaffee treffen wird. Um halb elf. Im Tibits. Hinten bei der Spielecke.

Andererseits bin ich wie viele Schweizer überzeugt davon, dass man auch bei Regen mit seinen Kindern durch den Wald stapfen kann, dass Bescheidenheit eine Tugend ist und eine Berufslehre einer akademischen Ausbildung in keiner Weise nachsteht. Wie oft es ein Privileg ist, Schweizerin zu sein, ist mir ebenso bewusst, wie die Tatsache, dass ich rein gar nichts dafür getan habe, in einem so sicheren und wohlhabenden Land zur Welt zu kommen, und es deshalb für mich (und alle anderen Schweizer) keinen Anlass gibt, mir etwas darauf einzubilden.

Eigentlich wünsche ich mir vor allem, dass meine Kinder im Wissen aufwachsen, dass es auf die meisten Fragen mehr als eine Antwort gibt. Dass sich ihre Identität nicht vorrangig aus dem einen oder anderen Land speist, dessen Pass sie besitzen, sondern aus der Tatsache, dass man sich an mehreren Orten daheim fühlen kann. Vermutlich ist Zuhause einfach ein Platz, an dem es Menschen gibt, die auf einen warten.

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Journalistin und Mutter von zwei Söhnen, beides furchtbar gerne. Mit Mann und Kindern 2014 von Zürich nach Lissabon gezogen. Schreibt ihre Texte im Café und findet auch sonst, dass es das Leben ziemlich gut mit ihr meint.<br><a href="http://uemityoker.wordpress.com/" target="_blank">uemityoker.wordpress.com</a> 

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