
Hinter den Kulissen
Die Schweiz flickt ihre Velos neuerdings selbst
von Alex Hämmerli
Die Corona-Pandemie hat einen weltweiten Veloboom ausgelöst. Ob der enormen Nachfrage kam es letzten Herbst zu Engpässen. Dieses Jahr dürfte die Auswahl spätestens im Sommer knapp werden.
Durchs Social Distancing haben wir reihenweise aufs Fahrrad umgesattelt: Gemäss einer Auswertung der ETH Zürich haben wir im März und April 2020 fast dreimal so viele Velo-Kilometer runtergespult wie vor dem Lockdown.
Diesen Trend spürt auch der Handel: Bei Galaxus hat sich der Verkauf von Velos und Velo-Zubehör im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt, ab März lag der Absatz gar jeden Monat höher als im bisherigen Rekordmonat August 2019. «2020 war für uns ein verrücktes Jahr», sagt Oliver Rinderknecht, der bei Galaxus für den Ausbau des Velo-Angebots zuständig ist. «Im Sommer waren 90 Prozent der Lieferanten ausverkauft, und Ende Saison gab es dann auch bei uns fast keine Bikes mehr.» Selbst im Winter sei die Nachfrage kaum abgeflacht, «und dieses Jahr geht es mit den Verkäufen ungebrochen weiter.»
Das gelbe Trikot ging letztes Jahr ans E-Bike: Galaxus verkaufte 2020 neunmal so viele Elektrovelos wie 2019. Und wer sich eins leistete, der war auch bereit, für die ÖV-Alternative tiefer ins Portemonnaie zu greifen als in den Jahren zuvor: Der Umsatz nahm im Vergleich zu 2019 gleich ums Zehnfache zu. Inzwischen hat jedes dritte bei Galaxus verkaufte Fahrrad einen Elektromotor.
Vor allem in den warmen Monaten legte zudem das Trekkingrad einen Sprint hin: Übers ganze Jahr lagen die Verkäufe 340 Prozent im Plus, der Umsatz stieg gar um 520 Prozent. Der Boom dürfte mit den Reisebeschränkungen zusammenhängen: «Statt zum Surftrip nach Bali ging es dieses Jahr halt bei vielen auf eine Velotour durch die Schweiz», sagt Rinderknecht.
Und die Fahrräder wurden auch tatsächlich genutzt. Das zeigt der Verkauf von Veloschläuchen, Reinigungs- und Pflegeutensilien, Pedalen, Reifen oder Velowerkzeug: Dieser hat sich letztes Jahr verdrei- bis vervierfacht. Mit vielem davon haben die Kundinnen und Kunden von Galaxus bestimmt auch ihre alten Drahtesel wieder fit für die Strasse gemacht.
Die Hersteller haben auf den Corona-Boom reagiert und ihre Produktion ausgeweitet. Trotzdem dürfte die Auswahl an Velos spätestens ab dem Sommer mager sein, je nach Wetter und Verlauf der Pandemie sogar schon ab März oder April. Für die nächsten grossen Lieferungen im Frühling konnte laut Rinderknecht nämlich kaum ein Händler die gewünschten Mengen bestellen. Ausserdem seien Bauteile wie Rahmen, Gabeln, Bremsscheiben oder Schaltungen knapp, weshalb die Velomarken ihre Produktion nicht nach Belieben hochfahren können. «Manche Hersteller sind bis 2023 ausgebucht», sagt Rinderknecht.
Die Galaxus-Einkäufer gehen zudem davon aus, dass sich die Knappheit bei den Velos dieses Jahr auf deren Ersatzteile und aufs Zubehör ausweiten wird. «Ein Container voller Sättel wartet heute Wochen bis Monate, bis er im Hafen aufgeladen wird», gibt Rinderknecht zu bedenken. Und auch die Preise dürften wegen der Container-Knappheit steigen: Lag der Preis für den Transport eines 40 Fuss langen Seefracht-Containers von Shanghai nach Hamburg im Januar 2020 noch bei rund 1000 Dollar, war es im Dezember bereits das Fünffache.
Infolge der Knappheit sind Aktionen und Ausverkäufe dieses Jahr sehr unwahrscheinlich. Weil die Hersteller mit höheren Kosten im Einkauf von Komponenten, in der Produktion und in der Logistik konfrontiert sind, ist mittelfristig sogar ein Preisanstieg zu erwarten. Rinderknechts Ratschlag: «Wer gerade mit einem neuen Rad liebäugelt, ist gut beraten, dieses möglichst bald zu kaufen.»
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Ich bin bei Galaxus und Digitec zuständig für den Austausch mit Journalistinnen und Bloggern. Gute Geschichten sind meine Leidenschaft, deshalb bin ich immer auf dem neusten Stand.