
Ratgeber
Projekt Sleeper-PC: Die schlafende Hässlichkeit
von Kevin Hofer
Endlich ist es da. Frisch eingetrudelt aus Deutschland: Das Gewand für den Sleeper-PC, den ich verlose. Bevor ich mit der konkreten Planung anfange, nehme ich das Teil genauer unter die Lupe.
Es ist ein verregneter Donnerstagmorgen als ich ins Büro komme. Auf meinem Pult steht ein Paket. Das kann nur der alte Computer sein, den ich in einen Sleeper-PC umbauen will. Jetzt scheint meine innere Sonne und ich vergesse den Regen draussen. Zur Erinnerung: Ein Sleeper-PC ist ein Computer im Retro-Gehäuse, aber mit modernen Komponenten. Wie du den Gewinnen kannst, erfährst du am Ende des Artikels.
Ich kann’s kaum erwarten, den Karton aufzureissen und das Gehäuse genauer unter die Lupe zu nehmen. Ratsch, ratsch. Es muss schnell gehen. Den Karton reisse ich einfach auf. Da steht er vor mir, der Big Tower, der mir bestimmt noch viele schlaflose Nächte bereiten wird. Optisch gefällt er mir ganz gut. Er versprüht in all seiner grauen Hässlichkeit und mit seiner imposanten Grösse so richtig tollen Neunzigerjahre-Retro-Charme. Genau sowas habe ich gesucht. Zwei Floppy-Laufwerke haben sich ins Innere des Gehäuses verabschiedet. Toll, das Ding ist so richtig schäbig. Ich bin verliebt.
Auf der Vorderseite des Towers prangt das AMD-Athlon-XP-Logo. Cool, so einen hatte ich auch mal – ich war schon immer Anhänger des Team Red. Underdogs sind einfach besser. Dennoch bin ich etwas enttäuscht. Der Athlon XP wurde von 2001 bis 2004 produziert. Das bedeutet, dass das Gehäuse des Sleeper-PCs nicht ganz so alt ist, wie ich es gerne gehabt hätte. Aber egal, es versprüht dennoch jede Menge Neunziger-Charme.
Selbstverständlich versuche ich den PC einzuschalten. Festplatte ist zwar keine drin, aber vielleicht komme ich ins Bios. Ich schliesse das Netzkabel an und drücke die Powertaste – nichts tut sich. Tja, der Verkäufer hat im Inserat vermerkt: Für Bastler. Das steht auf diesen Wiederverkaufsplattformen synonym für «läuft nicht mehr».
Jetzt will ich aber wissen, was genau verbaut ist. Beim Lösen des Seitenpanels stelle ich fest, dass nur noch eine von ursprünglich drei Schrauben vorhanden ist. Ich mag das Gehäuse immer besser, hier wurde viel rumgebastelt.
Einmal geöffnet, muss ich leer schlucken. Da ist einerseits die dicke Staubschicht, andererseits die Optik im Inneren. Ketchup-Senf-Kabel hängen herum wie Eingeweide. Die Flachbandkabel erinnern mich an mühsames Gestecke und den einen oder anderen blutigen Finger, den ich mir anno dazumal an den scharfen Kanten der Laufwerkschächte geholt habe. Aus heutiger Sicht ist das Innere alles andere als schön – geschweige denn praktisch, um daran rumzubasteln. Kabelmanagement kannst du vergessen. Kein Wunder waren Seitenfenster zu jener Zeit noch nicht an der Tagesordnung.
Was auch gleich auffällt: Das Netztteil ist mehr oder weniger mittig auf zwei Metallstangen montiert. Das wird mir die Arbeit nicht leicht machen und viel Platz verbrauchen. Ich werde es verschieben müssen. Am einfachsten oben im Gehäuse. Das ist zwar für die Belüftung nicht optimal, aber wenn ich es unten montieren würde, müsste ich die ganze Rückseite des Gehäuses neu machen. Ein Sleeper-PC sollte äusserlich möglichst unverändert bleiben – hinzu kommt, dass ich soviel Arbeit dann doch scheue.
Vier PCI-Steckkarten plus Grafikkarte sind auf dem Mainboard montiert. Das war um die Jahrtausendwende üblich. Die Mainboards hatten noch nicht so viele Features On-Board wie heute. Jetzt will ich aber nicht nur Retro sehen, sondern auch schnuppern. Ich nehme eine Nase voll und zucke zurück. Mann, das stinkt. Als ob Fäkalien und Erbrochenes ein Kind gezeugt hätten. Kollege Martin Jud läuft vorbei und teuflisch wie ich bin, bitte ich ihn eine Nase voll zu nehmen. Er ist etwas zurückhaltender: «Es riecht modrig. Als ob das Teil lange auf dem Estrich rumlag.» Mann Martin, jetzt war ich doch so stolz auf meinen Vergleich. Hast ja recht, es riecht mehr nach Brockenstube. Und eigentlich mag ich diesen Geruch.
Als erstes schraube ich die Laufwerke raus. DVD-Rom, DVD-Brenner, ein Floppy- und ein Super-Disk-Laufwerk sind verbaut. Und dann steckt noch ein Sonderling drin, ein CD ROM Storage System. Das Teil tut, was drauf steht. Du kannst bis zu zehn Scheiben im CD-Format darin lagern. Was es nicht alles gab. Ich behalte übrigens vorerst alle Laufwerke. Für die beiden DVD-Geräte und die Floppys habe ich bereits einen Plan. Was ich damit vorhabe, verrate ich dir in weiteren Artikeln der Sleeper-PC-Serie.
Die Laufwerke bleiben auch beim fertigen Sleeper-PC draussen. Ich werde jedoch die Blenden entfernen, und in der Front einbauen. So bleibt der Retro-Look erhalten.
Nach und nach entferne ich die übrigen Komponenten. Dazu gehören Modem, Netzwerk-, Sound-, IDE-Erweiterungskarte und eine MX440SE der Nvidia-Geforce-4-Serie. Das Teil wurde im Februar 2002 released, ist mit 250 MHz getaktet und verfügt über 64 MB Videospeicher. Damit konntest du «Battlefield 1942», «Doom 3» und «Max Payne» spielen.
Jetzt will ich aber wissen, was genau für ein Prozessor verbaut ist. Unter dem Lüfter kommt ein AMD Athlon XP 2200+ von 2002 hervor. Der Sockel 462 Prozessor taktete mit 1.8 GHz. Was bedeutet das von der Leistung her konkret? Zum Glück gibt es so tolle Tools wie UserBenchmark. Ich vergleiche kurzerhand den Athlon XP 2200+ mit dem Ryzen 7 2700X. Der Ryzen ist 1375 Prozent schneller als der XP. Das bedeutet eine jährliche Leistungssteigerung von 85 Prozent. Hier kannst du dir weitere Unterschiede zwischen den beiden Prozessoren ansehen.
Obwohl ich das Gehäuse perfekt für den Sleeper-PC finde, bin ich ob der verbauten Komponenten etwas enttäuscht. Gerne hätte ich etwas mehr Neunziger-Retro-Luft geschnuppert. Schliesslich bin ich mit diesen PCs gross geworden. Positiv ist jedoch, dass das Gehäuse im ATX-Format daherkommt. So sollte sich zumindest das Mainboard ohne grosse Modifikationen einbauen lassen. Ich modifiziere zwar gern, aber gleich beim ersten Projekt dieses Ausmasses die Rückwand von Grund auf neu zu erstellen, ist mir doch etwas zu anspruchsvoll.
Da ich im Schuss bin, löse ich noch alle weiteren möglichen Schrauben. Ich entferne unter anderem noch die Frontblende sowie die Mainboard- und Floppy-Halterungen. Leider ist die Halterung für das Netzteil vernietet. Die muss ich ausbohren, wenn ich sie oben im Gehäuse befestigen will. Dennoch sieht es bereits ausgeschlachtet aus, und ich kann mich schon bald an die Arbeit machen. Beim nächsten Mal erzähle ich dir, wie ich mir den Umbau genau vorstelle und vor allem sage ich dir, was für neue Komponenten in die Kiste kommen.
Was für eine Grafikkarte war im Sleeper-PC verbaut?
Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.
Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.