
Hintergrund
Einer ist immer der Deckel
von Michael Restin
Menschen mit Vollgesichtsmasken sind in einigen Badebuchten häufiger zu beobachten als Fische. Dieses Modell mit «aktiver Luftzirkulation» ist mir allerdings neu. Nach kurzer Recherche verstehe ich, woher der Wind weht.
Seit einigen Jahren schnorcheln auch Leute, die keine Schnorchel mögen. Statt eine klassische Tauchermaske zu tragen und auf ein Mundstück zu beissen, ziehen sie einfach eine Vollgesichtsmaske über. So schauen sie sich, meist an der Oberfläche dümpelnd, die Unterwasserwelt an. Wie ein einsamer Goldfisch, der aus seinem Glas guckt. Sportschnorchelfans schnauben bei diesem Anblick verächtlich eine Wasserfontäne in die Luft. Sie können tief abtauchen und Maske wie Schnorchel ausblasen, falls Wasser eindringt. Durch ihr Equipment fühlen sie sich eher frei als eingeschränkt. Meine Freunde vom Unterwasserrugby zum Beispiel brauchen garantiert nichts anderes.
Doch viele fühlen sich im Wasser eben nicht so zuhause. Beim Schnorcheln wie an Land durch Mund und Nase atmen zu können, empfinden sie als angenehmer. Die Vollgesichtsmasken ermöglichen das, deshalb sind sie so beliebt. Damit es noch einfacher geht, hilft das Modell E-AirWave von Mint Lama bei der Frischluftzufuhr nach. Solange der Schnorchel aus dem Wasser ragt, leitet ein Ventilator frische Luft in den Nasen-Mund-Bereich. Ausgeatmete Luft wird über zwei separate Kanäle wieder abgeführt. Die Luft kann immer nur in eine Richtung fliessen, die Kanäle für Frisch- und Abluft sind getrennt.
Soviel zur Theorie. Bevor ich zu meinem kleinen Praxistest des vermeintlichen Rundum-sorglos-Systems komme, muss ich kurz ausholen. Warum solltest du dir überhaupt Sorgen machen?
Die erste Antwort auf die Frage lautet, dass du nie ganz sorglos ins Wasser gehen solltest. Ein Risiko schwimmt immer mit. Wer seine Ausrüstung, die Umgebung und mögliche Gefahren kennt, kann es immerhin minimieren. Mit dem Körper unter Wasser durch Kunststoffröhren zu atmen, ist nicht natürlich. Und es passieren Unfälle. Als die Todeszahlen beim Schnorcheln auf Hawaii Anfang 2018 deutlich anstiegen, gerieten die immer beliebter werdenden Integralmasken unter Generalverdacht. So makaber es ist, war das ein schönes Medienthema mit Gruselfaktor: Kommt der Tod durch die Vollgesichtsmaske? Ist eine CO2-Vergiftung das Problem?
Die Theorie von der Atemfalle war in der Welt. Forschungsergebnisse dazu kamen erst später. Im Rahmen einer an der Duke University durchgeführten Studie wurden verschiedene Vollgesichtsmasken getestet. Bei keiner davon wurde der Atemgasaustausch als problematisch eingestuft. Wohl aber funktionierten nicht alle Maskentypen wie angegeben. Es fanden sich Modelle, bei denen Wasser eindrang und der Atemwiderstand anstieg.
Der Abschlussbericht der auf Hawaii durchgeführten Snorkel Safety Study kommt zu der Einschätzung, dass Lungenödeme die Hauptursache für Todesfälle und Beinahe-Todesfälle auf dem Archipel waren. Genauer: SI-ROPE, was für «Snorkel Induced Rapid Onset Pulmonary Edema» steht. Die fatale Abfolge lässt sich so zusammenfassen: Die Atmung ist durch den Schnorchel beeinträchtigt, es kommt zu einem übermässigen Unterdruck in der Lunge. Es bildet sich ein Ödem: Flüssigkeit sammelt sich in der Lunge. Das hat Sauerstoffmangel im Blut zur Folge. Diese Hypoxie kann binnen Minuten tödlich sein. Tückisch ist, dass das still und leise passieren kann. Ob jemand bewusstlos im Wasser treibt oder in Ruhe Fische guckt, ist nicht einfach zu unterscheiden.
In der Snorkel Safety Study wird – unabhängig vom Maskentyp – der Atemwiderstand durch den Schnorchel als Risikofaktor Nummer 1 genannt. Danach folgen körperliche Gründe. Vor diesem Hintergrund scheint die Idee logisch, per Ventilator Luft in die Maske zu blasen. Was sie wirklich wert ist, kann ich nicht objektiv beurteilen. Ich werde hier nur meine persönlichen Erfahrungen während eines kurzen Test-Schwumms wiedergeben.
Mein erster Eindruck der Maske ist so, wie der eben beendete Textabschnitt: eher kopflastig. Ein spürbarer Teil des Gesamtgewichts von 590 Gramm sitzt oben im Schnorchel. Das beeinträchtigt mich nicht weiter, fällt aber sofort auf. Zusätzlich verrät der Power-Button, dass hier etwas anders ist. Natürlich drücke ich ihn sofort. Der Ventilator surrt los und ich stülpe die Maske übers Gesicht. Tatsächlich ist beim Einatmen ein kleiner Luftzug zu spüren, der mir bis an die Nasenspitze weht. Ich flute mir die Lungen mühelos mit frischem Stoff. Stelle ich wieder auf Off, wird es still. Glücklicherweise kann ich auch dann noch ohne nennenswerten Widerstand atmen. Und beides sieht doof aus, so ganz ohne Wasser in der Nähe. Also melde ich mich mit beim Chef, der offenbar sowieso schon am Strand sitzt, ab, und schmeisse mich in die Limmat.
Die Hoffnung, dass der Ventilator mit dem Kopf unter Wasser nicht mehr zu hören ist, erfüllt sich nicht ganz. Es bleibt ein Sound, als würde in der Ferne jemand staubsaugen. Das passt nicht zum angestrebten Strandfeeling. Dafür ist das Sichtfeld grösser, als ich es von meiner klassischen Tauchermaske kenne. Diese Integralmaske hat ein Flachglas, das kaum verzerrt und auch an den Rändern nicht einschränkt.
Sobald ich mit dem Schnorchel untertauche, herrscht Ruhe. Ein Schwimmkörper verschliesst die Luftzufuhr, der Ventilator setzt aus und wenn ich trotzdem einatme, sauge ich mir die Maske fester ans Gesicht. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich den Kopf demnächst wieder etwas nach oben nehmen sollte. Kurz darauf springt der Ventilator wieder an und frische Luft strömt ein. Erquickend. Genau wie die Tatsache, dass nichts beschlägt und kein Wasser eindringt. Es gibt auch ein Auslassventil an der Unterseite, über das eingedrungenes Wasser wieder abfliessen soll.
Die Maske lässt sich mit elastischen Textilbändern gut am Hinterkopf fixieren. Allerdings hat sie damit den Kopf von allen Seiten im Griff. Während die Snorkel Safety Study keinen generellen baulichen Nachteil von Vollgesichtsmasken bezüglich des Atemwiderstands nennt, verweist sie doch auf ein paar Punkte, die du beachten solltest:
Von den Personen, die ihren Schnorchelunfall überlebt hatten und für die Studie befragt werden konnten, hatten 38 Prozent eine Integralmaske getragen. Ganze 90 Prozent dieser Gruppe machten ihre Maske für die Probleme mitverantwortlich. Ein Quick-Release-System, mit dem die Maske sich auf Knopfdruck öffnen und einfach abnehmen lassen soll, hat die E-AirWave nicht. Aber auch das scheint nach den Erfahrungen aus der Studie nicht zu helfen. Wenn nur ein bisschen Panik aufkommt, können selbst einfache Handgriffe (zu) kompliziert werden. Mir ist das in den vergangenen Sommern mehrfach bewusst geworden. Zum Beispiel, als ich kopfüber in einem Kajak hing. Oder als ich das Rettungstraining der SLRG besucht habe.
Zur E-AirWave gibt es ein Ladekabel, eine Kamerahalterung, ein Aufbewahrungsnetz und Ohrstöpsel, die ich nicht ausprobiert habe. Bei den Kleinteilen herrscht latente Verlustgefahr. Aber die Maske lässt sich per Scharnier zusammenklappen und so ganz gut verpacken, ohne dass der Schnorchel stört. Details, die im Wasser weniger relevant sind. Was die Belüftung und Features angeht, ist an diesem Modell einiges dran.
Oben gibt es meiner Meinung nach Optimierungsbedarf. Zwar heisst es «die Spitze des Schnorchels ist von Weitem sichtbar». Doch schon die Farbbezeichnung «Night Sky» meines Testmodells spricht Bände. Die Kombination aus Schwarz und Blau ist nicht gerade das, was ich im Wasser als gut sichtbar bezeichnen würde. Ich würde hier auf Farbkonzepte pfeifen und eine knallrote Spitze bevorzugen, um von anderen Wassersportler:innen besser gesehen zu werden. Aber dieses Detail geht nicht nur bei Vollgesichtsmasken gerne vergessen.
Als Kaufargument für die elektrisch belüftete Maske wird zuallererst genannt, dass sie einen zu hohen CO₂-Anteil in der Atemluft verhindert. Ich verstehe die Idee hinter dem Konzept und habe es dir hiermit vorgestellt. Eine Meinung musst du dir selber bilden. Wie fast überall gibt es zwei Philosophien. Die eine ist, möglichst puristisch unterwegs zu sein. Maske, Schnorchel, fertig. Je simpler der Schnorchel, desto geringer sei in der Regel der Widerstand, heisst es auf der Seite der Safety Study. Sie rät dazu, zunächst den Umgang mit der Basisausrüstung zu lernen. Die zweite Philosophie ist, auf technische Lösungen zu setzen. Wer diesen Ansatz bevorzugt, wird die E-AirWave interessant finden.
Wie gross der Mehrwert ist? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass mehr Technik keinesfalls dazu führen sollte, sich in Sicherheit zu wähnen oder damit körperliche Beschwerden ausgleichen zu wollen. Wichtig ist, dass du dich mit deiner Ausrüstung, deiner körperlichen Verfassung und der Umgebung kritisch auseinandersetzt. Auf Hawaii ist die Unfallwahrscheinlichkeit für Tourist:innen zehnmal höher als für Einheimische. Routine ist durch nichts zu ersetzen. Wer die nicht hat, sollte umso vorsichtiger sein. Egal mit welcher Ausrüstung.
Welche Schnorchelausrüstung bevorzugst du?
Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.
Jetzt könnt ihr dreimal tief Luft holen und dann die Kommentarspalte fluten. Sinnvoll? Unsinn? Ich tauche ab. Kommt gesund und sicher durch den Sommer!
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.