
Hinter den Kulissen
Mit Herz und Ruhe: Patricks Erfolgsformel im Retail
von Catherine Barth
Wenn bei uns ein neues Arbeitsreglement erscheint, dann lässt sich darin immer auch die Entwicklung eines Unternehmens ablesen, das mal mit drei Freunden gestartet ist und mittlerweile auf mehr als 1 300 Mitarbeitende an über einem Dutzend Standorten angewachsen ist. Zeit für Nostalgie mit zweien, die schon (fast) alles miterlebt haben.
Das Schweizer Parlament hat es vor kurzem vorgeschlagen, wir waren schon ein wenig schneller: Ab dem 1.9.2019 haben frischgebackene Väter bei Digitec Galaxus zwei Wochen Papi-Urlaub garantiert. Das passt in die Philosophie, denn die persönliche Entfaltung steht im Zentrum des Versprechens an unsere Mitarbeiter. Andere Unternehmen können zuweilen ja schon recht kreativ werden, wenn's um Mitarbeiter-Benefits geht. Firelefanz ist aber nicht so unser Ding. Bei uns kriegst du ganz konkret:
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Möglichkeit eines 80%-Pensums für alle. Ja, für alle. Auch Führungskräfte. Das Leben macht nicht halt, nur weil du eine Beförderung bekommen hast.
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Möglichkeit die Papi- bzw. Mami-Freitage um 10 Wochen unbezahlten Urlaub zu erweitern. Die Firma steht schon noch, wenn du zurückkommst.
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Mitarbeiter-Vergünstigungen. Denn: Wir kennen unsere Produkte, kaufen sie, testen und bewerten sie.
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Fünf Wochen Ferien pro Jahr für alle. Ehrensache.
Mögt ihr euch eigentlich noch an die erste Version eines Arbeitsreglements erinnern?
Florian Teuteberg, CEO: Das ist ja praktisch die erste Version. Aus dem Jahr 2005! Da gab's uns ja schon fünf Jahre. Die ersten Jahre ist das Arbeitsreglement immer so entstanden: Wir bekamen wegen irgendwas auf den Deckel und dann haben wir's ins Arbeitsreglement geschrieben. Ein gutes Beispiel: Früher gab's ja noch diese CD-Rohlinge. Einige Mitarbeiter nahmen damals einfach welche aus dem Lager mit nach Hause, um Musik drauf zu brennen. Dem mussten wir dann irgendwann den Riegel vorschieben und haben ins Arbeitsreglement geschrieben, dass das nicht geht.
Cornelia Möller, HR Manager Payroll: Bei meinem Arbeitsreglement steht noch, dass, wenn du krank bist oder ein Unfall hast, du dann dem Teamleiter per Telefon Bescheid gibst. Explizit per Telefon! Mail und SMS waren nicht zulässig. Und das Lustige an der Sache: Wenn der Teamleiter nicht erreichbar war, dann musstest du der Reihe nach Marcel Dobler; wenn du den nicht erwischt hast; Florian; wenn du ihn nicht erwischt hast; Marcel auf dem Handy anrufen.😊 Und dann stand noch, du müsstest die in deinem Mobiltelefon abspeichern. Habt ihr jemals solche Anrufe bekommen?
Florian: Ja, schon. Klar. Ich bekam früher oft Anrufe, wenn die Leute krank waren!
Was hat sich sonst noch geändert?
Cornelia: Früher wurden immer zwei Exemplare ausgedruckt – eins für den Mitarbeiter selber und eines musstest du unterschreiben und zurückschicken fürs Dossier. Mein Dossier ist immer noch extrem dick, weil's so viel so Zeugs drin hat: Sicherheitsreglement, Arbeitsreglement, Diebstahlreglement. Jetzt schicken wir das Arbeitsreglement per Mail und dazu gibt es dann einen Anhang, in dem alle Reglemente aufgelistet sind. Du unterschreibst nur noch den Anhang und nicht mehr das ganze Dokument.
Das HR entstand ja in der Form, wie wir es heute kennen, erst 2009. Vorher waren HR und Buchhaltung nicht getrennt, sondern flossen ineinander rein. Anfänglich hat Marcel (Dobler) auch noch die Lohnabrechnungen gemacht. Die hat er jeweils gemacht, wenn er gerade Zeit hatte. Irgendwann haben wir dann entschieden, dass das nicht geht und man den Leuten den Lohn immer zur selben Zeit auszahlen muss. Erst 2009 war es dann so, dass es einfach zu viel Arbeit war, beides zusammen zu machen.
Was war früher drin, das es heute nicht mehr gibt?
Cornelia: Wir hatten mal so ein Punktesystem. Magst du dich noch daran erinnern?
Florian: Ja, das war ausgeklügelt! Das tat mir sehr weh, als wir das abgeschafft haben. Im Prinzip war es so: Wenn du zu spät gekommen bist, wurdest du nicht sofort verwarnt – wie das andere Unternehmen z.T. machen –, sondern es gab eine Art Strafpunktesystem, wie im Autoverkehr. Hier stand z.B.: «Pausenzeiten nicht einhalten; zu spät kommen; melden von Krankheit und Unfall nicht einhalten; Kundenreklamation über Verhalten einer Person; private Nutzung von Telefon, Internet, E-Mail, Handy; sowie abteilungsspezifische, speziell vereinbarte, Regeln. Insgesamt gab es fünf Punkte zu "holen".
Irgendwann haben wir das aber wieder abgeschafft. Das Problem war: es wurden nie fünf Punkte vergeben. Die Führungskräfte haben sich schon massiv schwer getan, überhaupt einen Punkt zu vergeben. «Du hast einen Punkt» war eigentlich schon wie eine Verwarnung. Dann haben wir gesagt, das machen wir jetzt individueller.
Wie unterscheidet sich das heutige Dokument denn bspw. von dem damaligen?
Florian: Massiv! Du siehst’s nur schon am Umfang. Früher waren es sechs Seiten. Heute sind's 18.
Cornelia: Es ist definitiv um einiges komplexer geworden... gerade bei den Versicherungen! Je mehr Leute du hast, desto mehr hast du Leute, die die Dinge auch hinterfragen.
Florian: Wir haben jetzt eine ganze Seite über unsere Philosophie. Ausserdem haben wir es ein wenig entschlackt und dem neuen Mindset angepasst. Was jetzt wirklich noch klarer rüberkommt ist, dass man vom Positiven ausgeht und nicht probiert, jedes Problem ab Front zu lösen. Man muss nicht jeden Fall im Arbeitsreglement abdecken, sondern geht grundsätzlich davon aus, dass die Mitarbeiter gesunden Menschenverstand walten lassen, und probiert einfach die Fälle zu regeln, die unklar sind oder extrem wichtig. Dass man nicht klaut, ist z.B. allen klar.
Kann man überhaupt Pirat sein, wenn man ein Arbeitsreglement hat?
Florian: Gute Frage. Ich hab mich ehrlich gesagt immer wieder schwierig getan mit dem Arbeitsreglement. Wir haben uns auch schon überlegt, dieses ganz wegzulassen. Aber ich denke schlussendlich verhindert es Diskussionen im Alltag... die Punkte kommen ja sowieso auf. Ferien, Krankheitsfälle, Arbeitszeiten: Das muss geregelt sein. Wenn wir sie nicht aufschreiben, dann tauchen sie an allen Ecken und Enden auf und es gibt Diskussionen. Diese Energie und Zeit dort zu investieren lohnt sich nicht. Da macht man lieber von Anfang an klaren Tisch und kann sich dann auf echte piratische Missionen konzentrieren.
Unterscheidet sich unser Arbeitsreglement eigentlich von anderen? Kommt der DG-Mindset auch in so einem trockenen Dokument rüber?
Florian: Bei uns ist sicher die «Du-Kultur» explizit ge-highlightetet. Das macht das Ganze unkompliziert und persönlicher. Wir haben auch häufiger versucht, nicht einfach nur den sachlichen Punkt zu dokumentieren, sondern auch ein bisschen zu erklären, wieso wir das so machen. Z.B. haben wir bei der Diskriminierung eine kleine Einleitung drin. Und wir legen ausführlich dar, wieso Diversität für uns extrem wichtig ist.
Seid ihr froh, dass die Sache jetzt nach Wochen der Arbeit durch ist?
Cornelia: Es ist in der Tat so, dass viel Arbeit in das Dokument geflossen ist.😊
Florian: Ich denke, dass der Spirit in unserem Unternehmen jetzt auch gut rüberkommt. Schlussendlich spiegelt so ein Arbeitsreglement ja auch mit die wichtigste Beziehung, die wir als Unternehmen haben, wieder – die mit unseren Mitarbeitern. Wir sind bei jeder Überarbeitung mit den alltäglichen und weniger alltäglichen Anliegen unserer Mitarbeiter konfrontiert. Da lohnt es sich auch genauer und länger hinzuschauen.
Ob im Lager in Wohlen, in den Shops oder bei der Finanzabteilung: Als Springer im Digitec Galaxus-Wald schwinge ich mich von Liane zu Liane und leuchte den Dschungelboden nach interessanten internen Geschichten ab.