Meinung

Hast du so viele Teile im Schrank wie der Schweizer Durchschnitt?

Laura Scholz
14.4.2022

Seit Kurzem weiss ich, wie viele Kleidungsstücke angeblich in einem Schweizer Kleiderschrank stecken. Meine Team-Kolleg:innen und ich haben mal nachgezählt, ob wir im Durchschnitt liegen.

Sonnenlicht fällt von draussen aufs Kopfkissen. Über dem Bett schweben diverse Phrasen wie nervös kreisende Gedanken. Ich bin nicht in meinem Schlafzimmer, sondern stehe im Schaufenster von Rrrevolve in der Zollstrasse im Zürcher Kreis 5. Hier soll mich eine interaktive Ausstellung – besagtes Bett mit schwebenden Phrasen – zum Nachdenken anregen. Über meine Beziehung zu Kleidung und Modekonsum.

So lädt das Schaufenster bei Rrrevolve aktuell zum Nachdenken ein. Bild: Rrrevolve
So lädt das Schaufenster bei Rrrevolve aktuell zum Nachdenken ein. Bild: Rrrevolve

«Contemplation Lounge» nennt sich das Ganze und kann im Rahmen der Fashion Revolution Week noch bis zum 30. April auch von dir angeguckt werden. Allerdings muss ich zugeben: Wenn du nicht zufällig eh in der Gegend bist, lohnt sich das meiner Meinung nach nicht. Denn viel habe ich von der Inszenierung nicht mitgenommen. Das einzige Statement, das mich noch für den Rest des Tages begleitet, ist folgendes:

Schweizer*innen haben im Schnitt 118 Kleidungsstücke im Schrank.

118 Kleidungsstücke. Kommt das hin? Obwohl es auf den ersten Blick nach einer grossen Zahl aussieht, beschleicht mich sofort das unangenehme Gefühl, dass mein Schrankinhalt das locker toppen könnte. Zurück am Laptop höre ich mich im Team um. Ok, wir zählen nach. Socken, Unterwäsche, Sport- und Badesachen bekommen eine Extrawurst und werden in unserem Experiment aussen vor gelassen.

«Rund 180», gesteht Kollegin Pia Seidel im gemeinsamen Chat. Und schiebt «Ich muss was ändern» gleich hinterher. Bei Stephanie Vinzens sieht die Zahl beinahe identisch aus.

«Ich bin bei 140-150», hält es Teamleiter Oliver Fischer diplomatisch vage.

Der Moment der Wahrheit. Ich schleiche aufmerksam an meiner Kleiderstange vorbei. 1, 2, 3, 4, … 23, oh oh … dann ziehe ich die Schranktüren auf. Ein paar Minuten später tippe ich beschämt «156» in den Chat. Als ich auf Enter drücke, fällt mir auf – Wäschekorb vergessen. Aus dessen Tiefe fische ich weitere acht Teile und korrigiere: «164». Ähem.

Der Irrtum von mehr ist mehr

Ist doch toll, immerhin eine Riesenauswahl und immer das Passende für jeden Anlass, magst du jetzt denken. Pustekuchen. Denn was ich davon effektiv trage, beschränkt sich auf einen peinlichen Bruchteil. Ich habe ein paar Lieblingsjeans, einen viel zu grossen Stapel weisser T-Shirts, eine Handvoll Sweatshirts und zwei Blazer, die ich über alles liebe. Der Rest? Sprechen wir nicht weiter drüber. Stattdessen frage ich mich: Wieso häufe ich so gerne Klamotten an, die ich weder brauche noch regelmässig trage?

Laut einer Studie des WWF kommen 40 Prozent der ominösen 118 Stücke gar nicht oder gerade einmal an maximal vier Gelegenheiten zum Einsatz. Das ist nicht nur vollkommen bescheuert, sondern auch absolute Geldverschwendung. Pia hat also recht: Man sollte etwas ändern. Ich zum Beispiel habe einen ausgeprägten Hang dazu, ein Teil, das mir gefällt, in minimal abweichenden Varianten immer und immer wieder als Backup zu kaufen. So könnte ich mal aufhören, meinen T-Shirt-Bestand bei jeder sich bietenden Gelegenheit um ein weiteres weisses Exemplar zu vergrössern. Ich könnte aufhören, in Secondhand-Shops wie besessen nach der nächsten, vermeintlich perfekt sitzenden Levi’s 501 zu suchen. Und ich könnte aufhören, mir einzureden, dass ich für diesen Sommer dringend noch ein x-tes schwarzes Slip Dress brauche. Fun Fact: Ich besitze mindestens drei dieser Art, trage aber äusserst ungern Kleider.

Zusammen schaffen wir das

Liebes Team, liebe Leser*innen, ich challenge euch: Fangen wir doch gemeinsam mit einem bescheidenen und hoffentlich leicht umzusetzenden Vorsatz an: Von 164 (beziehungsweise eurer eigenen Zahl) auf 118 Teile reduzieren. Somit wären wir Durchschnitt. Das klingt doch fürs Erste erträglich. Aufkommende Zweifel versuche ich persönlich mit dem Wissen zu ersticken, dass meine Mutter es nach 40 Jahren geschafft hat, von einem Tag auf den anderen mit dem Rauchen aufzuhören. Wenn sie das kann, kann ich wohl gerade noch meine Shopping-Gewohnheiten zügeln. Oder?!

Meine Fantasie gerät in Wallung und malt sich eine App aus, die mich wie einen angehenden Nichtraucher*innen bei meinem Vorhaben unterstützt, mir vorrechnet, wie viel Geld und CO2-Austoss ich mit jedem Teil spare, das ich gerne hätte, aber nicht kaufe. Ein kurzer Abstecher in den App Store. Exakt, was mir da eben vorschwebte, finde ich nicht. Dafür aber zum Beispiel den klimakompass oder The Mother Nature App, die mir immerhin dabei helfen wollen, meinen CO2-Fussabruck besser zu verstehen und im besten Fall zu reduzieren. Was das eifrige Aussortieren angeht, gelobe ich, sinnvoll zu spenden. An Refy, das Spendendepot Zürich oder das Schweizerische Rote Kreuz. Und für die Zukunft halte ich mich an diesen Guide meiner lieben Kollegin Stephanie Vinzens, der mich immerhin vor unnötigen Fehlkäufen bewahren wird.

Hand aufs Herz – wie viele Teile beherbergt dein Kleiderschrank?

  • Es bleibt unter uns, aber es sind viiieeel mehr als 118.
    56%
  • Ich liege locker im Durchschnitt, wenn nicht drunter.
    44%

Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.

Auftaktbild: Parker Coffman via Unsplash

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