Hintergrund

Zu Fuss durch Norwegens Nationalpark: Gescheitert! Und was jetzt?

Arthur und Jannik sind zwei Fotografen in Ausbildung. Letzten Winter begeben sie sich in den Sportferien auf eine abenteuerliche Expedition in den Norden Norwegens. Das ist ihr Reisetagebuch.

Sonntag, 17. Februar

Wir schlafen bis nach dem Mittag. Jannik ist zuerst wach. Verschlafen tappt er ins Wohnzimmer unseres Hüttchens, um sich ein Frühstück zuzubereiten. Da steigt ihm der Geruch unserer frisch getrockneten Kleider in die Nase. Während unser Wohnzimmer auslüftet, frühstücken wir in unseren Jacken. Den Nachmittag beginnen wir mit einem Erkundungsgang durch das Campingareal, wobei wir den Waschraum entdecken. Während unsere Kleider gewaschen werden, erkundigen wir uns beim Campingplatz-Team nach möglichen Tagestouren in der Region um Røkland. Davon scheint es viele zu geben. Wir nehmen uns vor, den Rest unseres Aufenthalts mit Tagestouren zu verbringen.

Die Laune wird besser.
Die Laune wird besser.

Montag, 18. Februar

Es nieselt den ganzen Tag über. In der Nacht, in der es zum Glück nicht geregnet hat, haben wir Arthurs Nikon D850 auf einem Stativ vor der Hütte deponiert. Die Kamera sollte automatisch in regelmässigen Intervallen Aufnahmen des Himmels machen. Dies in der Hoffnung, allfällige Nordlicht-Erscheinungen festzuhalten. Am Morgen ist die Kamera leicht angefroren.

Frozen camera
Frozen camera

Mangels Alternativen und quasi als Beschäftigungstherapie durchsuchen wir die Bilder einzeln nach Nordlichtern, die wir leider nicht finden und räumen unsere Ausrüstung auf. Dabei fällt uns auf, dass wir viel zu viel Essen, beziehungsweise NRG-5 übrig haben. Als wir unsere Reise geplant haben, gingen wir noch von einem hohen Kalorienverbrauch aus. Jetzt aber, da wir in einer warmen Hütte schlafen und leben, müssen wir viel weniger Nahrung zu uns nehmen und so stehen wir ratlos vor einem Berg Notration. Wir sind bestürzt, als wir realisieren, wie viel NRG-5 uns für die verbleibenden sechs Tage bis zu unserer geplanten Ankunft in Zürich noch verbleibt: Über 20 Packungen, die zusammen mehr als 45 000 Kcal entsprechen, liegen in unserer Küche.

Wer will nochmal, wer hat noch nicht?
Wer will nochmal, wer hat noch nicht?

Zum besseren Verständnis: NRG-5 ist eine vegane Notfallnahrung, die aufgrund ihres hohen Kaloriengehalts oft von Hilfsorganisationen verteilt wird, etwa in Kriegsgebieten oder während Hungersnöten. Sie hat zudem fast keinen Wasseranteil und kann deshalb kaum gefrieren.Trotz all dieser beeindruckenden Eigenschaften ist NRG-5 vor allem eines: ein geschmackloses Pulver, das mit etwas Wasser als ebenso geschmackloser Brei gegessen wird.

Wir beschliessen, in den verbleibenden Tagen so viel NRG-5 wie möglich zu essen und beginnen mit einer grossen Portion Eintopf.

Schmeckt so, wie es aussieht.
Schmeckt so, wie es aussieht.

Dienstag, 19. Februar

Der Morgen beginnt mit gutem Wetter und wir beschliessen, den Tag für eine Wanderung entlang der Strasse zu nutzen. Um im Falle einer Elch-/ Renntier-Sichtung (ja, wir haben immer noch Hoffnung) möglichst mobil und leise zu sein, lassen wir unsere Schneeschuhe in der Hütte und begeben uns nur mit leichtem Gepäck hinaus auf den Campingplatz. Als wir an der Strasse am Rande des Campingplatzes angelangt sind, stellen wir fest, dass der Boden nun noch eisiger ist als am Tag zuvor. Auf dem Weg treffen wir den Campingplatz-Besitzer, von dem wir erfahren, dass es über Nacht stark geregnet hat und das Winterdienst-Fahrzeug erst am Abend nach Røkland kommen kann. Die schneefreien Wege und Strassen könnten bis dann «a bit slippery» sein.

Obwohl dies eindeutig der Fall ist, rutschen wir schicksalsergeben im Schneckentempo über den weitläufigen Parkplatz und entlang der Strasse. Nach einer Stunde beginnt es wieder zu regnen.

Schon nach wenigen Minuten bildet sich auf der eisigen Strasse ein Wasserfilm, auf dem es fast unmöglich scheint, weiterzugehen. Nach einigen schmerzhaften Stürzen beschliessen wir, durch den feuchten Schnee zu laufen. Und das, obwohl wir unsere Schneeschuhe nicht dabei haben. So zieht sich der Rückweg rund eine Stunde länger hin als der Hinweg und als wir am frühen Nachmittag endlich wieder in unserer Hütte vor der Heizung sitzen, beginnen wir die zahlreichen Stürze des Tages zu spüren.

Mittwoch, 20. Februar

Wir stehen mit der Sonne auf, die ausnahmsweise auch mal kurz durch die Wolken drückt. Noch immer haben wir Rücken- beziehungsweise Knieschmerzen von den Rutsch-Stunden des Vortages, beschliessen aber dennoch, eine Wanderung durch den Wald auf der gegenüberliegenden Talseite zu machen. Der Weg ist sehr steil, doch ohne unsere Pulkas und ohne Regen fällt uns der Anstieg leicht.

Ein erfreulicher Nebeneffekt dieser Tour: Bis am Abend haben wir wieder genügend Hunger, um uns über einige Portionen NRG-5 mit Nudeln zu freuen. Nachdem wir uns am Esstisch heroisch geschlagen haben, stellen wir fest: nur noch 18 Packungen Notfallnahrung sind übrig! Wir beschliessen, am nächsten Morgen in Richtung Norden in die Stadt Bodø zu fahren.

Donnerstag 21. Februar

Und weg ist er.
Und weg ist er.

Heute stehen wir schon um halb Acht an der Busstation vor dem Campingplatz, an der Kreuzung zur E-6. Als der Bus ohne zu halten an uns vorbeifährt, kehren wir zurück zur Receptions-Hütte des Campingplatzes, zurück dahin wo wir noch kurz zuvor einen Kaffee getrunken hatten. Der Campingplatz-Besitzer zeigt sich sehr erheitert über unser Missgeschick und erklärt uns, man müsse sich zu dieser Zeit im Jahr bemerkbar machen, wenn man den Bus nehmen wolle. Es führen nur sehr wenige Menschen von Røkland aus mit dem Bus.

Zwei Stunden später und nachdem wir dem Busfahrer schon von Weitem Handzeichen gemacht haben, sitzen wir im Bus nach Bodø. Auf der langen Fahrt bessert sich das Wetter zusehends und als wir in Bodø ankommen, ist der Himmel zum ersten Mal seit Tagen blau. Nachdem wir mehrere Stunden ziemlich ziellos in Bodø, einer etwas touristischen Hafenstadt, herumspaziert sind, gehen wir früh wieder auf den Bus in Richtung Røkland, um diesen nicht wieder zu verpassen.

Glücklicherweise fahren von Bodø aus mehr Menschen mit dem Bus und wir erreichen Røkland früh genug um nochmals tüchtig auszuschlafen, bevor es am nächsten Tag zurück in die Schweiz geht. Aber nicht ohne vorher noch ein paar NRG-5 Portionen zu futtern. Nach dem Essen sitzen wir im Wohnzimmer und treten, wie jeden Abend, in Abständen von 15 Minuten den Nordlicht-Wachdienst an. Es ist schon zehn Uhr, als Arthur an diesem Abend den üblichen zweiminütigen Nordlicht-Kontrollspaziergang über den Campingplatz macht. Plötzlich sieht er etwas grünes am Himmel: pflichtbewusst und weil er seine Kamera noch in der Hütte hat, rennt er zurück, um den Nordlicht-Alarm an Jannik weiterzugeben. Zu zweit, mit unseren Stativen unter den Armen, rennen wir wieder nach draussen. Als wir die Kameras aufgebaut haben, ist das Spektakel jedoch schon wieder vorbei.

Frustriert beschliessen wir, noch eine Weile draussen auszuharren. Als sich jedoch nach Stunden noch immer kein Nordlicht am Himmel zeigt, richten wir unsere Kameras in verschiedene Richtungen aus und gehen zu Bett. Während die Kameras draussen automatisch in regelmässigen Abständen Bilder des Nachthimmels aufnehmen, schlafen wir gemütlich in unseren Etagenbetten.

Freitag, 22. Februar

Keine Minute nachdem unsere Handys uns geweckt haben, stehen wir, noch im Pyjama, draussen im Schnee neben unseren Kameras. Hastig wechseln wir die Akkus, die über Nacht leer geworden sind und beeilen uns, die Intervallaufnahmen durchzusehen. Und tatsächlich: Eine der Kameras hat die grünen Lichter in regelmässigen Abständen festgehalten! Zwar regen wir uns etwas darüber auf, dass wir die Kameras aus Angst vor Verlust nicht weiter weg vom Campingplatz aufgestellt haben, aber immerhin: Nordlicht-Bilder!

Wir packen unsere Ausrüstung, mit der wir unsere Hütte in den letzten Tagen fast schon gemütlich eingerichtet haben und verabschieden uns vom Campingplatz-Besitzer. Ein Freund von ihm fährt uns ohne Gegenleistung zurück zur Zugstadtion in Røkland, wo wir um halb elf Uhr abends in den Zug nach Trondheim steigen. Unsere Rückreise nach Zürich beginnt. Mehr dazu liest du im nächsten Teil: Geschichten aus dem Tiefschnee mitten im Hochsommer.

Was bisher geschah:

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Wie es dazu kam, dass Arthur und Jannik für Galaxus von ihren Erlebnissen berichten, erfährst du hier.

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Wir sind zwei Fotografen in Ausbildung an der F+F (Schule für Kunst und Design) in Zürich.
Da uns die Natur sehr fasziniert, sind wir viel in den Bergen und Wäldern der Schweiz unterwegs. Meist mit Kamera, Zelt und einem Gaskocher im Gepäck.


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