
Hintergrund
Zu Fuss durch Norwegens Nationalpark: Planung eines Himmelfahrtskommandos
von Arthur Gamsa und Jannik Kaiser
Arthur und Jannik sind zwei Fotografen in Ausbildung. Letzten Winter begeben sie sich in den Sportferien auf eine abenteuerliche Expedition in den Norden Norwegens. Das ist ihr Reisetagebuch.
Am 26. Januar 2019, zwei Wochen vor unserer Abreise nach Norwegen, ziehen wir zu dritt nach Amden. Spontan hat sich unsere Kollegin Deborah dazu entschieden, uns bei unserem Schneeschuh-Winter-Biwak-Test-Weekend oberhalb des Walensees zu begleiten. Sie wird das Ganze mit ihrem Handy fotografisch dokumentieren.
Da Jannik von Basel aus kommt und am Freitagabend noch im Ausgang war, treffen wir uns erst am Mittag in Zürich. In unserem Schulzimmer, zu dem wir einen Schlüssel haben, gehen wir nochmals unser Gepäck durch, bevor wir uns am Nachmittag auf den Weg nach Amden machen. An der Postauto-Endstation «Amden, Arvenbüel» angekommen, beginnen wir, unsere Ausrüstung auf die Materialschlitten, sogenannte Pulkas, zu verladen. Wir packen pro Pulka und Person ungefähr 50 Kilogramm Gepäck. Darunter auch «Ballast-Material», um das fehlende Gewicht von zehn Tagen Norwegen-Nahrung zu simulieren.
Weil wir spät dran sind und es schon dunkel ist, bauen wir unser Zelt in Dorfnähe auf, um am nächsten Morgen für den Aufstieg bei Kräften zu sein.
Nach rund zwölf Stunden im Zelt, und einer Portion Brot und Nudelsuppe vom Gaskocher, fühlen wir uns bereit für den Aufstieg in Richtung Leistkamm. Wir bauen unser Zelt ab und beginnen unseren Weg entlang der Skipiste.
Das Gepäck gleitet auf unseren Pulkas erfreulich gut über den harten Schnee. Diese Freude währt jedoch nur kurz, denn als der Weg steiler wird, beginnt das festgeschnürte Material auf den Pulkas nach hinten zu rutschen. Mit dieser einseitigen Gewichtsverteilung wird es schnell anstrengend, die Schlitten zu ziehen. Zumal im Tiefschnee Schnee von der Seite in die Pulkas fällt.
Wir machen immer wieder kurze Pausen, um uns in der kargen Landschaft neu zu orientieren und den Schnee aus unseren Pulkas zu schippen. So kommen wir nur langsam voran. Nach etwa zwei Kilometern erreichen wir ein Waldstück. Da es in der Nacht zuvor nicht geschneit hat, können wir uns ab hier an den Schneeschuh-Trails unserer Vorgänger orientieren. Der Schnee ist schon vorgestampft und wir sinken mit unseren Schneeschuhen kaum ein.
Der Wald wird dichter, der Weg schmaler und hügeliger. Wer nicht konzentriert ist, bekommt nach jedem Buckel von seiner Pulka einen unsanften Stoss von hinten in die Fussgelenke. Auf einer Ebene, wenig unterhalb des Leistkamms, beschliessen wir, unser Nachtlager aufzuschlagen. Kurz nachdem wir unser 3-er Zelt aufgestellt haben, zieht starker Wind auf.
Aus Angst, später wegen des Winds nicht mehr auf dem Gaskocher kochen zu können, hebt Arthur einen Koch-Graben aus. Darin kann der Wind den Gaskocher nicht auslöschen, so der Plan. Übrigens: Schneeschuhe eignen sich in der Not super als Schneeschaufeln.
Eine Stunde nachdem Arthur den Bau seines Koch-Grabens beendet hat, beginnt es stark zu schneien.Während Jannik und Deborah im Zelt liegen, probiert Arthur erfolglos draussen im Schneesturm Wasser aufzukochen.
Eine halbe Stunde und viel Gas später, kommt Arthur notgedrungen wieder aus dem Graben heraus. Dieser hat sich, bei den vielen misslungenen Versuchen den Gaskocher zum Brennen zu bringen, mit Gas gefüllt. “Und, wie war's so im Graben?“, fragt Jannik als sich Arthur durchgefroren und nach Gas stinkend seinen Weg ins Zelt bahnt. “Wie damals in Verdun“, murmelt dieser. Kurz danach liegen wir alle drei im Zelt, während draussen der heulende Sturm Arthurs mühsam ausgehobenen Kochgraben wieder mit Schnee füllt. Am nächsten Morgen wird der Graben, zu Arthurs Bedauern, kaum noch sichtbar sein.
Die Windböen und die Lufttemperatur von minus 14 Grad Celsius sorgen dafür, dass Arthurs wiederholte Bemühungen, draussen doch noch eine Portion Nudeln zu kochen, jeweils nur von kurzer Dauer sind. Nach vier erfolglosen Versuchen, zwischen denen er sich im Zelt aufwärmt, gibt er auf.
In dieser Nacht schlafen wir fast gar nicht. Kein Wunder, bei minus 14 Grad Celsius fegen Windböen mit bis 100 Stundenkilometern über unser Zelt. Zwar frieren wir dank unseren Schlafsäcken und guten ISO-Matten nicht, aber der Wind macht dem günstigen Zelt zu schaffen. Die Zeltstangen biegen sich und drohen, unter dem Wind und dem Schnee zu zerbrechen. Fast 40 Zentimeter Neuschnee fallen in dieser Nacht. Wir wechseln uns damit ab, von innen mit den Füssen gegen die Zeltstangen zu drücken, um die Windböen, die wir schon einige Sekunden vorher durch den Wald rauschen hören, auszugleichen.
Als wir am nächsten Morgen aus unseren Schlafsäcken kriechen, hat sich der Sturm beruhigt. Zurück bleiben unsere Schuhe, die wir in der Hektik der vergangenen Nacht vor dem Zelt stehen gelassen haben
Wir schütten den Schnee aus unseren Schuhen, die danach überraschend trocken sind und beginnen rasch, das Zelt zusammenzubauen und die Pulkas zu schnüren. Der Sturm der letzten Nacht hat die Spuren im Schnee völlig unsichtbar gemacht. Als wir einen Wegweiser passieren, der am Tag zuvor noch höher war als wir, begreifen wir erst, wie viel Glück wir hatten, dass unser Zelt der Belastung stand hielt.
Ohne die Spuren im Schnee ist es schwierig, das Gelände einzuschätzen. Wir sind froh, dass unser Garmin 680T GPS unsere Aufstiegsroute aufgezeichnet hat. Mit der Track-Back-Funktion finden wir unseren Weg zurück. Mittlerweile ist das Skigebiet, wahrscheinlich wegen Lawinengefahr, geschlossen. Wir sind auf uns allein gestellt. Abgesehen von einigen Militärhelikoptern, die immer wieder über unsere Köpfe rauschen. Der Weg ist nun stellenweise fast unpassierbar. Wegen des vielen rutschigen Neuschnees und der starken Steigung am Hang fühlen sich unsere Pulkas schwerer als 50 Kilo an.
Etwas erschöpft, aber guten Mutes, erreichen wir die Busstation Arvenbühl und ziehen im Postauto mithilfe des Garmin GPS eine erste Bilanz unseres Test-Wochenendes.
Mit je 50 kg Gepäck konnten wir bei zwei Meter Schnee in zwei Tagen immerhin zwölf Kilometer und 800 Höhenmeter zurücklegen. Das wäre jedoch zu wenig, um unserem Norwegen-Zeitplan zu entsprechen. Mit Blick auf das wesentlich flachere Terrain unseres Norwegen-Tracks bleiben wir aber optimistisch, dass wir die Hütte erreichen können.
Durch den heftigen Schneesturm, in den wir in der zweiten Biwak-Nacht in der Nähe des Leistkamms geraten sind, haben wir gelernt, wie sich Feuchtigkeit in den Schuhen anfühlt und bis zu welchen Windgeschwindigkeiten auf einem GaskocherNudeln zubereitet werden können. Ausserdem wissen wir jetzt, dass wir unser Material auf den Pulkas mit wasserfesten Planen abdecken müssen, um sie vor dem Schnee zu schützen. Und es lohnt sich immer, ein GPS dabei zu haben.
Insgesamt war es ein sehr erlebnisreiches Wochenende mit vielen Höhenmetern und tiefem Schnee. Wir können es kaum erwarten, unsere Expedition zum Polarkreis anzutreten
Steig ein und begleite unsere Zugreise in den Hohen Norden. In unserem Reisetagebuch findest du Geschichten aus dem Tiefschnee mitten im Hochsommer.
Was bisher geschah:
Wie es dazu kam, dass Arthur und Jannik für Galaxus von ihren Erlebnissen berichten, erfährst du hier.
Wir sind zwei Fotografen in Ausbildung an der F+F (Schule für Kunst und Design) in Zürich.
Da uns die Natur sehr fasziniert, sind wir viel in den Bergen und Wäldern der Schweiz unterwegs. Meist mit Kamera, Zelt und einem Gaskocher im Gepäck.